Was die Leiterinnen des Stuttgarter Theaters Rampe Marie Bues und Martina Grohmann mit 75 000 Euro Preisgeld unternehmen, wie sie zur Frauenquote stehen und und was sie sich für die freie Szene wünschen.

Bauen/Wohnen/Architektur : Nicole Golombek (golo)

Stuttgart - Es ist gar nicht so einfach, einen gemeinsamen Termin zu finden, Marie Bues und Martina Grohmann, die Intendantinnen des Theaters Rampe, sind viel unterwegs – Talente aufstöbern, an anderen Theatern inszenieren – weshalb es am Ende ein Treffen mit lautgestelltem Telefon wird. Am seitlichen Rand der tagsüber geräumig leeren Zahnradbahnhofshalle im Theater steht ein großer Holztisch.

 

Martina Grohmann bringt aus der Küche zwei Becher Kaffee mit und ein Telefon, das sie auf den Tisch legt: Hallo Marie, hörst du uns? – Ja.

Zu besprechen gibt es einiges. Kürzlich ist das von ihnen ausgerichtete Festival „6 Tage frei“ mitsamt der Verleihung von zehn Stuttgarter Tanz- und Theaterpreisen plus mehreren Gastspielreisen für die Tanz- und Theaterszene Baden-Württembergs zu Ende gegangen. Wenige Tage später gab’s eine Bestätigung für die Theatermacherinnen von höchster Stelle. Eine Jury hat aus 119 Bewerbungen dem Stuttgarter Theater den Theaterpreis des Bundes zugesprochen. Erstmals geht die Auszeichnung nach Baden-Württemberg. Der Preis, er auch an zehn weitere Theater vergeben wurde, soll kleinere und mittlere Häuser belohnen, die vor Ort gesellschaftlich wichtige Debatten anstoßen und das Leben der jeweiligen Stadtgesellschaften mitgestalten.

Frau Bues, Frau Grohmann, was machen Sie mit dem schönen Preisgeld von 75000 Euro?

Martina Grohmann: Wir machen zum ersten Mal seit den sechs Jahren, die wir hier sind, einen Betriebsausflug! Wir wissen aber noch nicht, ob’s an den Strand, in die Berge oder doch in die nächste Stadt geht. Aber natürlich wollen wir vor allem Projekte ermöglichen, für die unser Budget nicht reicht.

Marie Bues: Vielleicht schaffen wir es, die neue Produktion von She She Pop zu uns zu holen, die Gruppe hat ja soeben während des Berliner Theatertreffens den Berliner Theaterpreis erhaltet. She She Pop sind schon oft in Stuttgart gewesen, im Staatstheater, und kürzlich bei uns während des Festivals „6 Tage frei“. Auch im Sinne der Nachhaltigkeit würden wir gern weiter mit dieser Gruppe arbeiten.

Grohmann: Und dann planen wir ab Juni das Projekt „Volks*theater“, das ein Jahr später Premiere feiern soll. Dafür können wir Produktionsgeld gut brauchen. Es geht uns darum, den Begriff des Volkstheaters in seinem ursprünglichen, subversiv gesellschaftskritischen Geist neu zu beleben. Wir suchen Stuttgarter und Stuttgarterinnen, mit denen wir gemeinsam das Theater neu aufstellen können. Wir werden das Projekt auf dem Marienplatz initiieren und im Juni eine Laborwoche mit Gästen auf unserer Bühne veranstalten.

Bues: Außerdem wollen wir gern unseren Atelier-Raum für Konzerte und kleine Performances renovieren.

Der Preis ist als „Ermutigungspreis“ gedacht. Wozu wollen Sie ermutigt werden?

Grohmann: Dazu, weiter zeitgenössische Ästhetiken zu hinterfragen. Und Risiken einzugehen – unabhängig von finanziellem Druck. Mit der Frage nach wirtschaftlichen Kennzahlen werden wir wie andere Häuser auch oft genug konfrontiert.

Bues: Genau. Jetzt können wir immer auf den Bundespreis verweisen und sagen, dass wir für das Stadttheater der Zukunft stehen (lacht), wie es die Jury formuliert hat. Ernsthaft: Es tut gut, eine Bestätigung zu bekommen. Wir fühlen uns ermuntert, weiter heftig daran zu arbeiten, lokale und überregionale Künstlerinnen und Künstler bei uns zu zeigen, den Begriff des Autorinnen- und Autorentheaters zu weiten und auch weiter mit nicht klassischen Theaterformen zu experimentieren.

Für klassisches Autorentheater sind vor allem Sie, Frau Bues, zuständig. Wollen Sie hier noch auf weitere andere künstlerische Positionen setzen?

Bues: Am Theater Rampe wollen wir die Frage nach Autorschaft im Theater neu stellen. Klar, ich arbeite mit Dramatikerinnen und Dramatikern und Schauspielerinnen und Schauspielern, die deren Texte performen – das ist recht klassisch von der Setzung. Dennoch sehe ich das Autorinnen- und Autorentheater als eine kollektive und interdisziplinäre Sache an, und versuche Konstellationen zu schaffen, die eine erweiterte Form der Autorschaft sichtbar macht. . .

Grohmann: . . . denn der Begriff muss nicht nur textbasiert gemeint sein und eine Stück nicht nur von einer Person kreiert werden. Auch Kollektive, Tanztheatergruppen sind Autorinnen und Autoren. Ich denke dabei an Nicki Liszta von Backsteinhaus, an die Tanz-Gastspiele von Edan Gorlicki und Monika Gintersdorfer. Auch das Publikum kann sich in einen Theaterabend durch Partizipation einschreiben.

Bei der Rampe hat das inzwischen so gut geklappt, dass sich vergangenes Jahr ein Förderverein begeisterter Rampe-Besucher zusammengetan hat und sich kürzlich bei einem Gründungsfest der Öffentlichkeit präsentiert hat. Mitmachen im Verein, als stilles oder aktives Mitglied, kann man ab 10 Euro pro Jahr. Über den „Rückhalt von Bürgerinnen in der Stadt“, sagen die beiden, freuen sie sich sehr. Martina Grohmann und Marie Bues haben das Theater zu einem Ort gemacht, an dem auch Tanz und Performance gezeigt wird. Und sie setzen aufs Experiment – manchmal gedanklich schlicht, manchmal herrlich theorieselig. Unberührt vom Geschehen auf der Bühne verlässt der Zuschauer das Haus jedenfalls selten.

Aus der Bildenden Kunst und Musik kommen Nana Hülsewig und Fender Schrade, die unter dem Künstlerkürzel NAF bekannt sind und mit klug gestellten, lässig dargebrachten Fragen zu Geschlechterzugehörigkeit viel Publikum erreichen und die auch einem der Stuttgarter Tanz- und Theaterpreise bedacht wurden. Mit Fördermitteln vom Land und vom Bund ist eine längerfristige Entwicklung künstlerischer Positionen möglich, etwa im Bereich Tanztheater mit Nicki Liszta von Backsteinhaus Produktion.

Neben Gastspielen, die sie einladen, sind die Theatermacherinnen längst mit Künstlern und Institutionen aus der Umgebung verbandelt, laden lokale Interessensgruppen ein, um über Themen zu sprechen, die dann wieder in künstlerische Projekte münden können. Regelmäßig kooperieren sie mit interdisziplinär agierenden Gruppen wie O-Team oder Post-Theater. Und mit Herbordt/Mohren, deren Arbeit überregional Beachtung findet. Gruppen hierin zu unterstützen, ist das Ziel von dem alle zwei Jahre stattfindenden Festivals „6 Tage frei“. Den Rampe-Intendantinnen ist es gelungen, wie sie mit Stolz berichten, Verantwortliche von vielen wichtigen Festivals und sehr vielen Produktionsstätten in Deutschland nach Stuttgart zu holen, damit sie sichten, was die Szene in Baden-Württemberg zu bieten hat.

Bei der Eröffnung und Preisverleihung zum Festival sah man eher weniger Politiker. Wünschen Sie sich mehr Wertschätzung?

Grohmann blickt fragend aufs Telefon: Was meinst Du, Marie, wir würden uns schon eine stärkere kulturpolitische Wahrnehmung wünschen, oder?

Bues: Generell wäre es wünschenswert, wenn es im Land bessere Produktionsbedingungen und mehr Spielstätten für die freie Szene gäbe.

Grohmann: Es herrscht ein gewisses Defizit, auch im Blick auf die freie Szene und ihre faktische Bedeutung für zeitgenössischen Tanz und Theater. Es bräuchte mehr Produktionsleiterinnen und Produktionsleiter, Dramaturginnen und Dramaturgen, die die Gruppen in ihrer Arbeit unterstützen. Es fehlt dringend an Räumen und höheren Projektetats. Andere Städte haben größere Häuser, die dem Gewicht der Freien auch gerecht werden. Zum Beispiel in einer ähnlich großen Stadt wie Stuttgart, nämlich in Frankfurt, können freie Darstellende Künste im Künstlerhaus Mousonturm deutlich größer auftreten und erfahren entsprechend auch insgesamt mehr Aufmerksamkeit.

Bues: Das Problem in Stuttgart ist zudem, dass viele Künstlerinnen und Künstler nach ihrem Studium dann gleich lieber nach Berlin gehen, weil sie sich dort mehr Chancen ausrechnen.

Sie haben nun ja den Überblick über die freie Szene – war es eine richtige Wahrnehmung, dass auf dem Festival viele Theatermacherinnen zu sehen waren? Sind kleine Bühnen weiter als die Stadt- und Staatstheater?

Grohmann: In den kleineren und mittlere Häusern sind sehr viele Frauen unterwegs. Und auch in den Künstlerinnen- und Künstlerkollektiven mischt sich das ganz gut.

Vielleicht kommen Frauen an Stadt- und Staatstheatern nicht in die Positionen und sind anders als Männer schlicht eher bereit, an kleinen Theatern für weniger Geld zu arbeiten?

Grohmann: Das ist auch möglich, denn es hat etwas mit Zugängen zu tun. Was den zur Macht betrifft, bleibt eben das Gefälle noch bestehen.

Pause. Frage direkt in den Telefonhörer gesprochen: Wie erleben Sie das an den Stadttheatern in Ihrer Arbeit, Frau Bues? Fürs nächste Theatertreffen wurde jetzt eine Quote von 50 Prozent verlangt. Ist das nötig?

Bues: Offenbar. Es war schon lange Zeit an den Stadttheatern sehr hart! Wenn man ein gewisses Standing erreicht hat, ändert sich das natürlich. Trotzdem ist eine Gleichstellung noch lange nicht erreicht.

Sie kennen durch Kooperationen auch die verschiedenen Publikumsstrukturen. In der Rampe sieht man oft das Publikum unter 40, das sich Stadt- und Staatstheater wünscht und selten bekommt. Wie gelingt das?

Grohmann: Wir haben den Vorteil der Location. Dadurch, dass die Bar Rakete von Andreas Vogel popkulturell besetzt ist, sind wir ein offener Ort auch jenseits der Theaterveranstaltungen. Wir behandeln außerdem schon länger Fragestellungen wie Genderthemen, queere Themen, die auch jüngere und andere Publikumsschichten umtreiben.

Bues: Und wir versuchen ästhetisch vielfältige Positionen zu zeigen. Wir haben auch zwei neue Gruppen in das überregionale Koproduktionsnetzwerk Freischwimmen eingebracht, das jungen Künstlerinnen und Künstlern den Weg in die Szene ebnen soll.

Grohmann: Gruppe Cis heißt die eine und kommt eher aus der Bildenden Kunst. Und die andere heißt Und die andere heißt „Die apokalyptischen Tänzer*innen“. Im nächsten Projekt „Banana Island“ geht es um die Banane als erste global gehandelte Ware, als ein kolonialistisches Symbol und Objekt. Vielversprechend!

Kürzlich während des Theatertreffens in einer Diskussion über die Zukunft des Theaters ging es darum, dass man gerade das junge Publikum ganz voraussetzungslos „abholen“ müsse. Es wurde viel über Mitmachtheater, Gaming neudeutsch, geredet. Gehen Sie auch in diese Richtung?

Grohmann: Entscheidend ist, wie eine Inszenierung eine Frage scharf stellt, ein Sujet auf den Punkt bringt, etwas eingängig erfahrbar macht. Das kann ästhetisch sehr unterschiedlich passieren, einmal zugänglich, dann wieder theoretisch verhandelt sein. Dafür müssen die Mittel jeweils stimmen, es muss in sich stimmen. Also um der Teilhabe willen und recht junges Publikum zu locken, technisch oft sehr aufwendige Gaming-Formate zu zeigen, da wäre ich vorsichtig. Es muss schon um Kunst gehen, nicht um den Effekt.

Bues: Apropos Kunst. Ich muss jetzt wieder auf die Probe. Tschüss!

Info

Verliehen wird der Theaterpreis des Bundes am 27. Mai von Kulturstaatsministerin Monika Grütters in Gera.