Ist Zuneigung zwischen Mensch und Maschine möglich? Wie verändern künstliche Gefährten unser Leben? Antworten auf diese Fragen sucht eine Karlsruher Soziologin. Ihre Forschungsobjekte: sensorgesteurte Plüschtiere in einer Demenzstation.

Bietigheim-Bissingen - Rosa Maria Rupp und Werner Hansen sind Langstreckenläufer. Mit starrem Blick schlurfen die hagere, ausgezehrt wirkende Seniorin (70) und ihr stattlicher, drahtiger Mitbewohner (80) durch den nüchternen Gang im Bietigheimer Pflegeheim an der Metter. Beide gehen gleichzeitig, und doch geht jeder für sich. Wie viele Kilometer die beiden schon zurückgelegt haben, wissen sie nicht. Es interessiert sie auch nicht. Rosa Rupp und Werner Hansen leben im dritten Stockwerk – Demenzstation. Eine Pflegerin trippelt hektisch neben Frau Rupp her und versucht, ihr einen Bissen des Mittagessens anzubieten. Das Personal sieht die beiden täglich elf Stunden umherlaufen.

 

Doch jetzt gibt es da plötzlich etwas, das Rosa Rupp neugierig macht. Eine Dame mit rotem Haar, roter Hose, roter Brille und hochhackigen Schuhen hat sich auf der Sitzgruppe niedergelassen. Auf ihrem Schoß liegt ein plüschiges, etwa einen Meter großes Ding. Emma heißt das Tierchen, das nicht aus Fleisch und Blut besteht, sondern sich dank Sensor und Schaltkreis regt. Die Bewohnerin schaut scheinbar beiläufig, wie die Dame das weiße Tierchen streichelt, wie Emma wohlig fiept und genüsslich mit ihren Flossen wackelt. Rosa Rupp bleibt stehen und nimmt dann Platz.

Eine stille Sensation

„Das ist für sich genommen schon eine kleine Sensation“, sagt die Dame mit dem roten Haar. Ursula Uhlig (54) ist Leiterin des Pflegeheims und geistige Mutter der beiden Heimrobben Emma und Paul. „Emotionsstimulierende Roboter“ nennt Ursula Uhlig die beiden Plüschtiere. 5700 Euro kostet so ein Hightech-Tamagotchi. Eines hat Uhlig über Spenden beschafft, das andere wurde ihr von der Wiedeking-Stiftung geschenkt. „Puppen und Kuscheltiere waren nie mein Ding“, sagt die Heimleiterin. Dann habe sie eine Robo-Robbe in einem Lindauer Heim im Einsatz gesehen. Bei einem Bewohner habe sich die spasmisch gelähmte linke Hand beim Streicheln geöffnet. „Ich weiß, was es an Entspannung braucht, um so einen Spasmus zu lösen“, sagt Ursula Uhlig – „da habe ich gewusst: Das brauchen wir!“

Das kleine weiße Etwas, Herstellername „Paro“, ist ein plüschgewordenes Kindchenschema: große, schwarze Knopfaugen, lange Wimpern, die herzallerliebst klimpern, flauschiger Pelz, zerbrechliche Fiepsestimme. Paro schnurrt, wenn man ihn streichelt, und quietscht gequält, wenn man an seinen Schnurrhaaren zieht. Er reagiert auf Licht, Lautstärke und Wärme. Der Emotionsstimulator war bei traumatisierten Senioren nach dem Tsunami in Japan im Einsatz. Ursula Uhlig sagt: „Das Tier soll Brücken bauen.“ Aber wie?

Technik, die Sozialkontakte schafft

Michaela Pfadenhauer will es wissen. Die Karlsruher Soziologin befasst sich in einem auf mehrere Jahre angelegten Forschungsprojekt mit „Artificial Companions“ – also künstlichen Weggefährten des Menschen. „Mich interessiert Technik, die den Anspruch erhebt, die Qualität von Sozialkontakten herstellen zu können“, sagt die Professorin. Als Beispiel führt sie einen kleinen Robo-Dinosaurier an, der bei ihr in der Fakultät stehe. Er bewege sich drollig und gebe zärtliche Dino-Quietschlaute von sich. „Man fängt schnell an, mit ihm wie mit einem Baby zu sprechen.“

Spannend an der Robo-Robbe Paro finde Michaela Pfadenhauer einerseits, dass sie im Pflegeheim in den Alltag integriert und nicht Teil einer künstlichen Experimentieranordnung sei. Andererseits beschäftige sie die Frage, „wie der Roboter es schafft, Emotionen hervorzurufen, indem er so tut, als ob er selbst welche hätte“. Es sei spannend zu verfolgen, „wie solche Mechanismen offenbar Menschen aus ihrer Teilnahmslosigkeit ziehen können“.

Der Helfertrick funktioniert

So wie hier, in der Sitzgruppe des Bietigheimer Pflegeheims. Der Bewohner Werner Hansen ist stehen geblieben. Mit einem Trick ergaunert Ursula Uhlig sich seine Aufmerksamkeit. „Herr Hansen, mir wird die Emma so schwer. Darf ich sie Ihnen geben?“, fragt sie und zielt auf den männlichen Helferinstinkt. Volltreffer. Werner Hansen nimmt die Robbe mit beiden Händen, vorsichtig, als wäre sie ein neugeborenes Baby, und legt sie auf die Couch. Er bleibt stehen, beugt sich aber nach unten und beginnt, die nach Zärtlichkeit bettelnde Emma zu streicheln. „Viechle, ja, ja, gell?“, murmelt er und lächelt sanft. Die Fassade des mürrischen Malermeisters, der auf der Station Steckdosen abmontiert, ist gefallen. „Wo hasch denn dei Weible?“, fragt er – obwohl Emma technisch gesehen natürlich ein Neutrum ist.

Ganz nebenbei beginnt Werner Hansen zu erzählen: Robben habe er schon in natura gesehen, immerhin sei er für die DDR-Marine zur See gefahren und vor dem Mauerfall geflüchtet. Einen Hund habe er auch mal gehabt, dem habe das Streicheln auch so gefallen wie dem Viechle hier. Der sonst so verschlossene Mann erzählt der Heimleiterin lauter Neuigkeiten.

Eine ideale Zielgruppe

Menschen, die an Demenz erkrankt sind, hält Ursula Uhlig für die ideale Zielgruppe der Plüschrobbe. Die Betroffenen würden im Volksmund oftmals als Verrückte abgestempelt. „Ich sage immer: Ja, die Menschen sind verrückt geworden in der Zeit.“ Sie vergessen, dass sie verheiratet sind, wie alt sie sind, wie spät es ist. Vieles läuft über Gefühle, Intuition, nur das Jetzt zählt. Genau da setze die Robo-Robbe an: Zuneigung, körperliche Nähe, nebenbei ins Gespräch kommen.

„Therapiehunde oder -katzen kann ich nur eine halbe Stunde einsetzen“, sagt Ursula Uhlig, „Emmas Batterie hält drei Stunden.“ Zudem hätten manche Menschen mit Haustieren schlechte Erfahrungen gemacht: Eine Katzenhaarallergie oder ein Hundebiss bleiben – zumindest im Unterbewusstsein – haften. „Eine Robbe ist hingegen nicht vorbelastet.“ Offenbar rufe Emma je nach Geschlecht unterschiedliche Reaktionen hervor. Eine Bewohnerin habe gefragt „Ist das nicht Tierquälerei, was ihr macht?“; ein demenzkranker Mann habe sie um einen Schraubenzieher gebeten, „damit ich mal gucken kann, wie das funktioniert“.

Eine Maschine, die Nähe simuliert

Beispiele für innige Beziehungen zwischen Mensch und Maschine kennt die Soziologin Michaela Pfadenhauer zur Genüge. Versuche mit amorphen Maschinen, die menschliche Nähe simulieren sollen, gab es ebenso wie den Robo-Hund Aibo des Technikriesen Sony. Fujitsu hat eine Teddybärenkonkurrenz für die Robbe Paro auf dem Markt.

Hinter ihrem Paro-Projekt stecke keinesfalls die Befürchtung, den Menschen in einer vereinsamten Gesellschaft durch Maschinen zu ersetzen, betont die Professorin. Bei ihrem ersten Besuch habe sie sogar eine gegenteilige Erfahrung gemacht. Es seien zwei Praktikanten da gewesen, die sofort von Bewohnern zu Spaziergängen entführt worden seien. „Menschen, vor allem junge Menschen, sind offenbar viel, viel interessanter“, sagt Michaela Pfadenhauer. Ein anderer, apathisch wirkender Bewohner habe jedoch weniger auf die Praktikanten, dafür aber viel eher auf die Robbe Emma reagiert. Diesem Phänomen will Michaela Pfadenhauer nachspüren. Sie findet die Frage spannend, „wie lange das Interesse an dieser in ein Stück Fell eingewickelten Technik“ anhalte und wie Maschinen es schaffen könnten, dass zwischen zwei Menschen ein Wechselspiel entsteht.

Ein schönes Viechle

Genau so ein Wechselspiel bahnt sich nach gut einer Viertelstunde auf der Sitzgruppe der Bietigheimer Demenzstation an. Rosa Rupp ist wieder da, und sie geht gleich aufs Ganze. Beherzt setzt sich die 70-Jährige auf die Couch – und beinahe auf die süße Robbe Emma. Werner Hansen ist zur Stelle und zieht Emma zur Seite. Nun sitzen die beiden Dauerläufer gemeinsam auf der Couch, der stattliche Herr streichelt die Robbe mit seiner kräftigen, linken Hand. Hin und wieder wandert auch Rosa Rupps rechter Zeigefinger in den Nacken des Plüschknäuels. „Du bist so ein Viechle“, sagt sie und strahlt dabei in Richtung ihres Mitbewohners, „aber ein schönes.“