Thomas Gottschalk spricht in Heidelberg über den ewigen Widerspruch von Qualität und Quote. Die Sensationsgier des Publikums wächst.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Stuttgart - Thomas Gottschalk blickt in die Neue Aula der Uni Heidelberg und weiß Bescheid. „Aha, nicht ausverkauft“, sagt er beim Hereinkommen, während die Fotografen – Profis und Anhänger – ein Blitzlichtgewitter zünden, wie man es in diesem Raum wissenschaftlicher Nüchternheit wohl selten erlebt. Tatsächlich hat keiner dafür gezahlt, dem ehemaligen „Wetten, dass . . ?“-Moderator zuhören zu dürfen – die gastgebende Hochschule für jüdische Studien Heidelberg verlangt keinen Eintritt. Aber, auch das sei gesagt, normalerweise finden die prominent besetzten Vorträge in wesentlich kleinerem Rahmen statt. Es sind also nicht besonders wenige Zuhörer gekommen, um Thomas Gottschalk über den Widerspruch von Qualität und Quote reden zu hören, sondern der Saal ist einfach größer.

 

„Kann Unterhaltung auch Qualität haben? Kann etwas, das den Menschen Spaß macht, sie auch geistig fördern?“, fragt Gottschalk und setzt damit das Thema. Ja, das geht, wird er später antworten und dabei auch sagen, was er unter Qualität im Unterhaltungsfernsehen versteht – nämlich in etwa das, was er bei der RTL-Sendung „Das Supertalent“ veranstaltet. Dort sitzt Gottschalk bekanntlich neben Dieter Bohlen und seiner ehemaligen Co-Moderatorin Michelle Hunziker in der Jury und lässt gewöhnliche Leute ihre ungewöhnlichen Talente vorführen.

Das Publikum giert nach immer spektakuläreren Bildern

Es ist etwas passiert in der deutschen Fernsehunterhaltung. Schon vor Samuel Kochs tragischem Unfall bei „Wetten, dass . . ?“ im Dezember 2010 hatte Gottschalk im Publikum eine „Jackass-Mentalität“ ausgemacht: Dank des Internets kann sich jeder jederzeit Dinge ansehen, die in einer Samstagabendshow undenkbar sind. Das Publikum giert nach immer spektakuläreren Bildern, und es schaut selektiv nur die krassesten Szenen an – dass sein Nachfolger Markus Lanz sich deshalb mit dem „Wetten, dass . . ?“-Konzept schwertun wird, ist der logische nächste Denkschritt.

Thomas Gottschalk kommt bei seinem launigen Vortrag in Heidelberg nicht zum ersten Mal mit der Qualitätsdiskussion in Berührung. In seiner Sendung passierte 2010 vor Millionenpublikum einer der schlimmsten (und meistdiskutierten) TV-Unfälle der jüngeren Zeit. Bereits 2008 hatte Marcel Reich-Ranicki in der von Gottschalk moderierten Show den Deutschen Fernsehpreis zurückgewiesen wegen des „Blödsinns, den wir hier zu sehen bekommen haben“. Wenig später traf man sich auf Gottschalks Vorschlag erneut vor der Kamera, um über Qualität im deutschen Fernsehen zu sprechen. Dass der Entertainer, wie am Mittwoch bekannt wurde, auf Reich-Ranickis Wunsch eine Kolumne in der FAS bekommt, ist die jüngste Etappe dieser Männerfreundschaft.

Quote vs. Qualität – der ewige Widerspruch

Wie aber steht es um das (Unterhaltungs-)Fernsehen anno 2012? „Die Koordinaten, so wie ich sie kannte, sind nicht mehr das, was sie waren“, sagt Gottschalk über die Branche. Will heißen: es gibt kaum mehr die Stars, die alle drei Generationen auf der Wohnzimmercouch ansprechen. Will auch heißen: das Unterhaltungs-TV ändert sich, der Entertainer kann sich nur zu einem gewissen Grad ändern.

Gottschalk erzählt von einem Besuch bei Hans-Joachim Kulenkampff. „Ich war für den so jemand wie heute Stefan Raab, der ihn durcheinandergebracht hat, der ihn verwirrt hat“, sagt Gottschalk. Kulenkampff sei es damals ein bisschen so gegangen, wie es Gottschalk heute geht – er war einer, der „ein bisschen aus den Wirklichkeiten und den Gewissheiten seines Berufs gefallen war. Das, was für ihn einmal Unterhaltung bedeutet hat – in den Siebzigern, wie auch immer – das war nicht mehr so.“

Etwas für das Herz oder für das Hirn?

Heute sieht Gottschalk in Stefan Raab, Günther Jauch sowie Joko und Klaas Entertainer, die so wie einst er selbst für die Zukunft der TV-Unterhaltung stehen. Mit dem Kulenkampff-Vergleich sagt Gottschalk auch, dass ihm sein eigenes Geschäft ein Stück weit fremd geworden ist. Kulenkampff, bekannt für seine leichte TV-Unterhaltung bei „Einer wird gewinnen“, habe versucht, sich „ins Intellektuelle zu retten“, so Gottschalk. Das sei ihm aber gründlich missglückt und „ist heute genauso vergessen wie mein ARD-Vorabend“.

Gottschalk entwirft bei seinem Vortrag ein altbekanntes Koordinatensystem zwischen Qualität und Quote: Qualität ist was fürs Hirn, Quote was fürs Herz, und natürlich wolle der Zuschauer eher was fürs Herz: „Der fordert Dinge, die man kaum noch leisten kann, wenn man Qualität will“, erklärt Gottschalk. Zwischen genau diesen Polen mäandern die öffentlich-rechtlichen Sender seit Einführung des Privatfernsehens; auch Gottschalk war lange Zeit irgendwo in der Mitte.

Es ist ein ewiger Widerspruch, den man laut Gottschalk nicht systematisch auflösen kann. 23 Jahre lang habe er mit „Wetten, dass . . ?“ genau das versucht, habe sich „zwischen Feuilleton und Boulevard, zwischen klug und dumm, zwischen arm und reich“ durchlaviert. Nachdem es in die eine Richtung – Qualität mit „Gottschalk Live“ – nicht voranging, habe er eben gesagt: „So, jetzt mache ich den Taliban.“ Mit anderen Worten: Privatfernsehen, Bohlen, Quote. Auch wenn die beim „Supertalent“ bislang unter der von „Wetten, dass . . ?“ liegt.

Strahlen für das Erinnerungsfoto

„Was ist Qualität?“, wird Gottschalk gefragt. „Für mich ist Qualität in der Unterhaltung das, was die Urelemente im Zuschauer anspricht“, sagt er und zählt auf: War es lustig, wurde herzlich gelacht oder schadenfroh? Schauen viele zu? Werden möglichst viele unterhalten und möglichst wenige durch den Kakao gezogen? Wenn die Leute dann gemeinsam vor dem Fernseher sitzen und ganz nebenbei ein bisschen was lernen, dann sei das Qualität.

Gottschalk, der Makler zwischen dem ewigen Widerspruch Quote vs. Qualität; Gottschalk, der Entertainer am Rednerpult; Gottschalk, dem der lange und warme Applaus des Publikums gilt: Der 62-Jährige, der in der jüngeren Vergangenheit Verunsicherungen und Kritik erfahren hat, strahlt für jedes einzelne Erinnerungsfoto.