Der ehemalige Topmanager Thomas Middelhoff spricht im Seehaus über Fehler und seine Zeit im Gefängnis.

Leonberg - Es ist warm im Nebenraum des Glemseck-Restaurants in Leonberg. Thomas Middelhoff steht entspannt in weißer Hose und weißem Hemd vor dem Publikum und fragt eloquent: „Wer von euch war schon einmal im Gefängnis?“ Ein Raunen geht durch den Saal, etliche Hände gehen nach oben. Middelhoff grinst und hebt ebenfalls den Arm. „Die gleiche Frage habe ich kürzlich an der Uni Freiburg und in Innsbruck gestellt, da hat niemand außer mir den Arm gestreckt.“

 

Das ist bei der Veranstaltung des Leonberger Seehauses eindeutig anders. Hier wissen etliche Zuhörer Bescheid darüber, wie es ist, hinter Gittern zu leben. Sie sind gespannt, was das ehemalige Wunderkind der Managergilde, das schon mit 49 Jahren an der Spitze des Bertelsmann-Konzerns stand, zu erzählen hat.

Drei Jahre in Haft

Middelhoff ist 2014 zu einer dreijährigen Haftstrafe wegen Untreue verurteilt worden, zwei Drittel davon hat er in der Vollzugsanstalt Bielefeld-Senne im offenen Vollzug verbracht. Die restliche Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt. „Ich schäme mich nicht dafür, im Gefängnis gewesen zu sein“, sagt er „Aber ich schäme mich für die Fehler, die ich gemacht habe.“

Schon während seines Studiums der Wirtschaftswissenschaften strebte er eine Karriere als Manager an, und es lief für den heutigen Mittsechziger auch alles glatt. „Meine Karriere bei Bertelsmann verlief linear nach oben, bis hinauf zur Konzernspitze. Ich fand das damals auch richtig so“, erzählt Middelhoff. Deshalb sei es für ihn auch völlig richtig gewesen, die verhängnisvolle Entscheidung, die zu seiner Verurteilung geführt habe, allein zu treffen. Ohne seine Vorstandskollegen mit ins Boot zu holen.

„Das war reine Eitelkeit“, gibt er heute zu. Es ging um die Bezahlung einer Festschrift, die er als Chef des damals schon angeschlagenen Arcandor-Konzerns veranlasst hatte. Am Morgen der Urteilsverkündung, erzählt er, war er sicher, frei zu kommen. Völlig ahnungslos sei er gewesen. „Und dann kam die Zäsur, die mein Leben auf den Kopf gestellt hat.“ Thomas Middelhoff hat sein Leben nach dem Urteil völlig neu geordnet. „Ich bin konservativ-katholisch erzogen worden“, erzählt er, „aber ich habe den Glauben während meiner beruflichen Entwicklung Stück für Stück verloren.“ In der Haft hat er wieder zum Glauben gefunden. „Ich bin überzeugt, dass ich das nicht überlebt hätte, wenn ich nicht den Weg zu Gott zurückgefunden hätte.“

„Ich habe gelernt, was wichtig ist im Leben“

Heute, so der ehemalige Topmanager, sei er in gewisser Weise fast froh über die Chance eines tatsächlichen Neuanfangs. „Ich habe alles verloren. Wirtschaftliche Sicherheit, meine Reputation, meine Familie.“ Middelhoff ist inzwischen geschieden. „Aber ich habe gelernt, was wichtig ist im Leben. Auch, wenn das eine harte Lehre war.“ Er hat sich nicht unterkriegen lassen, die narzisstischen Tendenzen, die ihm zu seinem traumhaften Aufstieg verholfen haben, helfen ihm jetzt, den tiefen Sturz zu verarbeiten. Selbstbewusst erzählt er aus seinem Leben und der selbst gestellten Aufgabe, die Reformen im deutschen Strafvollzug voranzutreiben.

Tobias Merckle, der geschäftsführende Vorstand des Seehauses in Leonberg, hat den illustren Gast ins Seehaus geholt. Er findet es gut, dass seine Zöglinge an diesem Abend die Lebensgeschichte von jemandem miterleben können, der im Kern ähnliches erlebt hat wie sie. Und der aus seinem Fehler etwas gelernt hat: „Habt den Mut zu sagen: Ja, es war Mist, was ich getan habe. Aber ich kann es besser machen.“

Während der Haftzeit hat Thomas Middelhoff ein Buch geschrieben: Zelle A115. Darin beschreibt er seine Zeit in der Haft und wie er das Strafvollzugssystem in Deutschland erlebt hat. Auch deshalb ist er an diesem Abend hier, er will sich dafür stark machen, dass das System geändert wird: „Man muss sich einbringen, wenn man etwas ändern will“, ist seine Überzeugung. Das Konzept des Seehauses, findet er, ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Einrichtung bietet eine Alternative zum geschlossenen und offenen Strafvollzug, der Verein baut auf den Strafvollzug in freier Form.

Aus dem Publikum kommt die Frage, ob Middelhoff denn keiner seiner Geschäftsfreunde zur Seite gestanden habe? Auch das ist eine bittere Erfahrung für den ehemaligen Star unter deutschen Managern.

Keiner seiner Geschäftsfreunde oder Vorstandskollegen hat ihn unterstützt, keiner hat die durchaus zu diskutierende Unverhältnismäßigkeit des Verfahrens und des Urteils an den Pranger gestellt.

Ob er psychologische Hilfe bekommen habe? Ja, wobei während seiner Inhaftierung zwei Psychologen für gut 700 Männer zuständig gewesen wären. Auch das sei ein Grund, für Reformen zu kämpfen. „Denn ohne psychologische und menschliche Unterstützung“, ist Middelhoff überzeugt, „kann Resozialisierung nicht gelingen.“