Beim Thorpe-Cup zwischen den USA und Deutschland lebt der Mythos des Mehrkampfmekkas auf den Fildern weiter. Dabei werden auch Erinnerungen an große Wettkämpfe im Zehnkampf wach.

Bernhausen - Zehnkampf ist keine Frage der Hautfarbe. Der Chinese Yang, der Brite Thompson und der Deutsche Kratschmer, alle drei Weltrekordler, verkörperten die Ideologie einer außergewöhnlichen Disziplin, die immer auch außergewöhnliche Athleten hervorbrachte. Jim Thorpe, einem US-Halbindianer, haben die Zehnkämpfer ihren Titel „Könige der Athleten“ zu verdanken. Von der Leistung des Olympiasiegers bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm war der schwedische König Gustav V. bei der Siegehrung dermaßen angetan, dass er ihn als „wahren König der Athleten“ bezeichnete. Ironie des Schicksals: Thorpe wurde zwei Jahre nach dem Olympiasieg seine Goldmedaille aberkannt, weil er zuvor in einer halbprofessionellen Baseballliga gespielt und somit gegen die Amateurbestimmungen verstoßen hatte. Erst 1983, dreißig Jahre nach seinem Tod, wurde er vom IOC rehabilitiert.

 

Zum vierten Mal wird am Wochenende in Bernhausen der Thorpe-Cup ausgetragen, wie der Länderkampf zwischen Deutschland und den USA im Zehn- und Siebenkampf seit 2007 zu Ehren von Jim Thorpe genannt wird. Und immer ist eine Aura um diesen Ort Bernhausen spürbar, der seit vier Jahrzehnten das Mehrkampfmekka schlechthin ist. Drei Weltrekorde, ein Europarekord und viele Leistungen in den ewigen Bestenlisten haben diesem Ort einen fast mythischen Charakter gegeben.

Bereits 1977 rückte Eva Wilms Bernhausen mit ihrem Fünfkampf-Weltrekord bei einem Länderkampf gegen die UdSSR ins Blickfeld – der Anfang des Mehrkampfmekkas. „Bernhausen hat’s gezeigt, wie’s geht“, lobt die Nachwuchs-Bundestrainerin Eva Rapp (früher Wilms) die Organisatoren auf den Fildern noch heute in höchsten Tönen.

Kratschmers Weltrekord mit Ansage

Für die ganz großen Höhepunkte sorgten dann Guido Kratschmer und Jürgen Hingsen mit ihren Zehnkampf-Weltrekorden auf den Fildern. Aus Frust über den Olympiaboykott von Moskau 1980 („Ich hatte im Radio diese enttäuschende Nachricht vernommen“) kam Kratschmer nach Bernhausen, um einen Weltrekord mit Ansage zu machen – was ihm mit 8649 Punkten in einer euphorischen Stimmung auch gelang. „Unheimlich viele Zuschauer, eine tolle Atmosphäre und fantastische Leistungen waren das Kennzeichen dieses Wettkampfes“, erinnert sich der Mainzer noch immer gerne an die Veranstaltung.

Trotz Weltrekord, der Wahl zum Sportler des Jahres und der Verleihung des Silbernen Lorbeerblattes: den Schmerz der verpassten Goldmedaille in Moskau hat Guido Kratschmer bis heute nicht verwinden können. Er kehrt am Wochenende gemeinsam mit Willi Holdorf, dem Olympiasieger von 1964, und Paul Maier, dem WM-Dritten und Publikumsliebling der WM 1993 in Stuttgart, nach Bernhausen zurück.

1983 setzte Jürgen Hingsen dann mit seinem 8825-Punkte-Weltrekord noch einen drauf. Mehr als 8000 Zuschauer am zweiten Tag, soviel wie nie bei einem Einzelmehrkampf in Deutschland, wandelten mit den Athleten über die Anlage. Und am Ende passierte etwas Außergewöhnliches: motiviert durch Hörfunk- und TV-Übertragungen kamen noch 1000 Zuschauer zum Teil direkt von der Autobahn ins Stadion, um die letzten zwei Disziplinen zu sehen.

Die besondere Atmosphäre von Bernhausen

„Das Flair von Bernhausen kann man nicht herzaubern“, schwärmt auch Siggi Wentz, der Vizeweltmeister (1987), Olympiadritte von Los Angeles 1984 und EM-Dritte von Stuttgart 1986, über die Zehnkämpfe zwischen Filderkraut und Flugzeugen. „Diese Veranstaltungen waren mit viel Liebe gemacht und am Ende standen beim 1500-Meter-Lauf alle Zuschauer auf der Tribüne“, erinnert sich der heutige Arzt auch noch gerne an das Zuschauerspalier beim Stabhochsprung. Mit 8762 Punkten wurde Wentz im Juni 1984 in Bernhausen drittbester deutscher Zehnkämpfer aller Zeiten. „Bernhausen war einfach der Wahnsinn“, sagt Siggi Wentz.

Was aber war das Geheimnis des Mythos Bernhausen? Karl Mann, Chef bei der LG Filder in dieser Zeit, brachte viel Professionalität in die Organisation. „Wir haben viel Zeit und Energie investiert, aber auch viel Liebe“, sagt der inzwischen 83-Jährige. „Bernhausen wurde ein großes Mehrkampfpflaster, das viel Charme entwickelt hat“, erinnert sich Fred Eberle, der als Trainer von Siggi Wentz dabei war. Und Jochen Köker, in vielen Funktionen Teil der Bernhäuser Geschichte, sagt einfach nur: „Mehrkampf in Bernhausen war emotionale Leichtathletik.“ Was der Bundestrainer Claus Marek noch ergänzt: „Bernhausen hat eine ganz neue Form der Mehrkampf-Präsentation kreiert“. Was bis heute wirkt.