Schimpansen sind soziale Tiere, die Freundschaften pflegen. Auch andere Tierarten können enge Beziehungen zu ausgewählten Artgenossen aufbauen.

Leipzig - Wem würde man am ehesten ein Geheimnis erzählen? Oder auch nur sein Auto ausleihen? Falls man nicht nur ausgewiesene Plaudertaschen oder verkehrstechnische Totalausfälle um sich geschart hat, fällt die Wahl in solchen Fällen meist auf enge Freunde. Bei denen scheint etwas Wertvolles einfach besser aufgehoben zu sein als bei entfernten Bekannten oder völlig Fremden. Quer durch die Kulturkreise hat Freundschaft schließlich auch sehr viel mit Vertrauen zu tun.

 

Umso spannender ist die Frage, wie diese besondere Form der Beziehung entstanden ist: Handelt es sich dabei um eine spezielle Erfindung des Menschen? Oder reichen die Wurzeln dieses Verhaltens bis ins Tierreich zurück? Einer neuen Studie zufolge scheint Letzteres der Fall zu sein. Auch Schimpansen sind nämlich durchaus in der Lage, vertrauensvolle Freundschaften zu schließen. Wie die genau aussehen, beschreiben Jan Engelmann und Esther Herrmann vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig im Fachjournal Current Biology.

Warum solche Beziehungen für unsere eigene Art so wichtig sind, können Evolutionsbiologen leicht erklären. Menschen sind schließlich sehr soziale Lebewesen, die oft gemeinsam mit anderen ihren Alltag zu meistern und ihre Ziele zu erreichen versuchen. Das klappt allerdings nur, wenn man nicht zu oft ausgenutzt und betrogen wird. Wie also kommt man an vertrauenswürdige Kooperationspartner, die einen nicht ständig übers Ohr zu hauen versuchen? Eine Möglichkeit besteht darin, zu ein paar ausgewählten Artgenossen enge emotionale Bindungen aufzubauen – und die dann auch möglichst lange zu erhalten.

Versicherung gegen Betrüger

Eine solche Versicherung gegen Betrüger könnten natürlich auch andere sozial lebende Arten gut gebrauchen. „Trotzdem ist noch immer umstritten, ob man bei Tieren überhaupt von Freundschaften reden kann“, sagt Jan Engelmann. Gerade bei Schimpansen spricht allerdings einiges dafür. Klar ist zum Beispiel, dass diese Menschenaffen mit manchen Artgenossen deutlich mehr Zeit verbringen als mit anderen. Sie pflegen ihnen ausgiebig das Fell, fressen gemeinsam und unterstützen sich in Konflikten – und zwar ohne miteinander verwandt zu sein.

Auch wenn ein Tier in einer größeren Gruppe lebt, sucht es sich normalerweise nur drei oder vier solcher Kumpel aus. Für mehr scheint die Zeit einfach nicht zu reichen. Schließlich wollen solche Beziehungen auch gepflegt sein. „Interessanterweise haben die meisten Menschen auch nur etwa eine Handvoll enger Freunde“, sagt Jan Engelmann. Und es gibt noch mehr Parallelen. So scheint das Prinzip „gleich und gleich gesellt sich gern“ sowohl in Menschen- wie in Affenkreisen bekannt zu sein. Auch Schimpansen tun sich oft mit Artgenossen zusammen, die ein ähnliches Alter und eine ähnliche Persönlichkeit haben wie sie selbst.

Doch bringen die Tiere ihren Freunden auch besonders viel Vertrauen entgegen? Um das herauszufinden, haben sich die Leipziger Biologen ausgiebig mit einer Gruppe Schimpansen im Sweetwaters Chimpanzee Sanctuary in Kenia beschäftigt. Unter fast natürlichen Bedingungen leben in diesem Schutzgebiet vor allem verwaiste Menschenaffen, die zum Beispiel durch Wilderei ihre Mutter verloren haben. Und auch die können keineswegs jeden ihrer Mitbewohner gleich gut leiden.

Fünf Monate unter Beobachtung

Für die Forscher galt es daher zunächst einmal, die sozialen Beziehungen der 15 untersuchten Tiere zu durchschauen. Fünf Monate lang haben sie beobachtet, zu wem die einzelnen Affen Kontakt suchten, mit wem sie Futter teilten oder wem sie das Fell pflegten. So ließ sich für alle Gruppenmitglieder ein „Freund“ und ein „Nicht-Freund“ identifizieren. Mit beiden sollte dann jeder Schimpanse ein spezielles Vertrauens-Spiel spielen.

Dabei hatte er die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten. Er konnte an einem Seil ziehen und dadurch an eine nicht sonderlich attraktive Futterportion aus zwei Bananenstücken kommen. Zog er an einem anderen Seil, bugsierte er dagegen eine Kiste zu seinem Artgenossen. Diese war in zwei Kammern unterteilt, in denen jeweils drei Apfel- und drei Bananenstücke lockten. Der zweite Affe konnte nun eine Abteilung leerfressen und den für ihn unzugänglichen Rest dieses extrem beliebten Futters zu seinem Spielpartner zurückschicken. Letzteres konnte er allerdings auch bleibenlassen und einfach weggehen.

Bis auf ein Männchen hatten alle Tiere nach fünf Tagen Training das Dilemma begriffen: War es besser, auf Nummer sicher zu gehen, dafür aber nur eine eher enttäuschende Belohnung zu kassieren? Oder sollte man lieber die Delikatesse anpeilen – auf die Gefahr hin, dass der Partner nicht mitspielte und man gar nichts bekam? Für elf der 14 Teilnehmer war die Sache klar: Hatten sie ihren Freund vor sich, wählten sie viel häufiger die riskante Variante als bei ihrem zweiten Spielpartner. Das galt für Männchen und Weibchen gleichermaßen. „Auch Schimpansen vertrauen ihren Freunden also deutlich mehr als anderen Artgenossen“, resümiert Jan Engelmann.

Auch langjährige Freundschaften können wieder zerbrechen

Allerdings ließen die Freunde ihr Gegenüber im Schnitt genauso häufig leer ausgehen, wie es entferntere Bekannte auch taten. Doch die Übervorteilten zogen daraus keine Konsequenzen. Selbst wenn sie mehrfach nichts zurückbekommen hatten, entzogen sie ihrem Kumpel nicht das Vertrauen. Das ist umso erstaunlicher, als auch Schimpansen-Beziehungen nicht ewig halten. Es gibt durchaus Fälle, in denen langjährige Freundschaften zerbrechen oder sich sogar in erbitterte Feindschaften verwandeln. Anlass können zum Beispiel Machtkämpfe sein, in denen ein Tier seine alten Bundesgenossen zugunsten einer erfolgversprechenderen Allianz verrät.

Warum also wurde in diesem Versuch kein enttäuschender Freund in die Wüste geschickt? Darüber können die Wissenschaftler bisher nur spekulieren. Jan Engelmann hält es aber durchaus für möglich, dass es hier eine weitere Parallele zu menschlichen Beziehungen gibt. „Wir wollen zwar von unseren Freunden schon auch etwas zurückbekommen“, erklärt der Forscher. „Dabei denken wir aber eher langfristig“. Schließlich gelte es gerade als Zeichen von Freundschaft, nicht für jeden Gefallen und jedes Geschenk sofort eine Gegenleistung zu erwarten. Vielleicht sehen Schimpansen das ja ähnlich.

Tierische Freundschaften

Wildpferde leben in Herden zusammen, die aus einem Hengst und mehreren nicht miteinander verwandten Stuten bestehen. Dabei können Freundschaften in den einzelnen Gruppen eine unterschiedlich große Rolle spielen. Das aber hat Folgen, haben Elissa Cameron von der Universität Pretoria und ihre Kollegen herausgefunden. Wo sie enge Beziehungen zu ihren Geschlechtsgenossinnen pflegen, werden die Stuten seltener von Hengsten belästigt, haben mehr Nachwuchs und bessere Überlebenschancen.

Gorillas scheinen vor allem im Zoo enge Freundschaften zu schließen. Schließlich müssen die Tiere im Gehege meist viele Jahre lang mit den gleichen Artgenossen klar kommen. Da ist es günstig, sich Verbündete zu suchen und sich gegenseitig zu helfen. So hat Iris Weiche von der Universität Tübingen zwischen den Weibchen zahlreiche freundliche Gesten beobachtet: Sie legen sich gegenseitig die Hand auf, sitzen eng zusammen oder pflegen sich gegenseitig das Fell, sie spielen miteinander und unterstützen sich in Konflikten.

Kolkraben scheinen ihren Freunden sogar Trost zu spenden. Wenn ein Kumpel in einem Kampf Prügel bezogen hat, setzen sie sich neben das Opfer und kraulen ihm vorsichtig mit dem Schnabel das Gefieder. Offenbar können sie dabei sogar beurteilen, wie groß die Not des Artgenossen ist. Dafür sprechen jedenfalls Beobachtungen, die Thomas Bugnyar von der Universität Wien und seine Kollegen gemacht haben. Demnach treten die geflügelten Tröster nach ernsthaften Kämpfen häufiger auf den Plan als nach belanglosen Rempeleien.