Vor einem Jahr starb Prinz Philip, mitten in der Pandemie. Die Queen hat damals mehr als ihren Ehemann verloren, die Windsors mehr als ihren Patriarchen.

Freizeit und Unterhaltung: Theresa Schäfer (the)

Es war, als habe er sich leise davongestohlen, bevor die Welt „big fuss“, viel Aufhebens, um ihn machen konnte: Prinz Philip war kein Freund von zeremoniellem „pomp and circumstance“. Sein ältester Sohn, Prinz Charles, erinnerte sich in einer BBC-Dokumentation, wie er mit seinem Vater über dessen anstehenden 100. Geburtstag sprach: „Es war wahrscheinlich am Tag, bevor er starb. Wir sprachen über seinen Geburtstag, der anstand. Und ich sagte laut: ‚Wir sprechen über deinen Geburtstag!“, denn er hörte nicht mehr so gut. ‚Und über den Empfang!’ Und er antwortete: ‚Na ja, dafür muss ich erst einmal noch leben!’.“

 

Er hat recht behalten: Prinz Philip, Herzog von Edinburgh, Prinzgemahl von Queen Elizabeth II., stirbt am 9. April 2021 – 62 Tage vor seinem 100. Geburtstag. An diesem Samstag ist es ein Jahr her, dass die Queen „strength and stay“, ihren Halt, ihren Fels in der Brandung verloren hat.

Er stirbt inmitten einer Pandemie, so dass statt internationaler Würdenträger nur seine engste Familie an seinem Sarg stehen kann. Es ist, als hätte der für seine generalstabsmäßige Vorbereitung bekannte Prinz ein letztes Mal die Planung übernommen. Denn wenn er eines nicht ausstehen konnte, dann sind es große Umstände. „No fuss“ war Philips Lebensmotto; „Oh, do get on with it!“ schnauzte er gerne, wenn ihm etwas zu aufgebauscht erschien oder zu lange dauerte. Der Soldat in ihm, er liebte es simpel, kurz und bündig.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Der Platz an ihrer Seite bleibt leer – Prinz Philip wäre 100

Der Prinz mit der unübersichtlichen griechisch-dänisch-deutschen Abstammung hätte wahrscheinlich eine glanzvolle Karriere in der britischen Marine hingelegt. Doch mit 13 verguckt sich die Tochter des Königs, Prinzessin Elizabeth, in den fünf Jahre älteren schmucken Kadetten – und er sich später auch in sie. Während des Krieges schreiben sie sich Briefe. Die Briten reagieren skeptisch,als die Prinzessin 1947 Philip Mountbatten als ihren Verlobten präsentiert. Zu viele Teutonen tummeln sich in seinem Stammbaum, seine Schwestern sind allesamt mit deutschen Adligen verheiratet. Seine Kindheit und Jugend verbringt er mal hier, mal dort, umhergereicht zwischen den Verwandten,weil seine Mutter Alice von Battenberg ihr Dasein in psychiatrischen Kliniken zwischen Berlin und der Schweiz fristet.

Ein Alphamann an zweiter Stelle

Dabei ist der griechische Prinz, der 1921 auf einem Küchentisch auf Korfu zur Welt gekommen sein soll, von edelstem Geblüt: Wie seine Frau stammt Philip in direkter Linie von Queen Victoria ab. Er, der geborene Anführer, tritt mit der Hochzeit in die zweite Reihe zurück. Nur wenige Jahre darf er in seiner geliebten Royal Navy dienen, befehligt auf Malta einen Zerstörer. 1952 stirbt George VI. – und Elizabeth besteigt mit zarten 27 Jahren den Thron. Der Alphamann Philip geht von nun an stets zwei Schritte hinter seiner Königin.

Lesen Sie aus unserem Angebot: Queen Elizabeth und Prinz Philip – Fotoalbum einer Liebe

In jungen Jahren soll er geflucht haben, er sei nichts als eine „verdammte Amöbe“ am Hof. Doch dann fügt er sich mit soldatischer Disziplin. Er erfüllt die Rolle des „Prince Consort“ loyal, integer, treu. Bis zum 96. Lebensjahr, als er sich zur Ruhe setzt – als dienstältester Prinzgemahl überhaupt. Er eröffnet Brücken, verliest Grußbotschaften und bezeichnet sich selbst als den „erfahrensten Gedenktafelenthüller der Welt“.

Prinz Philips rustikaler Humor

Der Herzog mit der spitzen Zunge bricht mit Lust das Zeremoniell, begrüßt mal Helmut Kohl als „Herrn Reichskanzler“ oder fragt bei einem Besuch in Australien einen Stammesführer der Aborigines: „Werft ihr eigentlich immer noch mit Speeren aufeinander?“ Prinz Philip konnte lustig sein – und dann auch wieder ziemlich direkt, unsensibel und, ja, manche seiner Sprüche waren auch rassistisch.

Oft dürfte es im Buckingham Palace Stoßseufzer der Verzweiflung gegeben haben, wenn Prinz Philip mal wieder kein Blatt vor den Mund nahm. Die Queen nannte er angeblich wahlweise „Kohlkopf“ oder „Würstchen“. Und meinte das ausgesprochen liebevoll. Er gab der Königin, die eigentlich schüchtern sein soll, Leichtigkeit. Philip war neugierig, liebte Technik und modernisierte das Königshaus fürs 20. Jahrhundert. Zu Hause soll er das Sagen gehabt haben. Ein Paar auf Augenhöhe, auch wenn sie die Krone trägt.

Der Queen fehlt ihr Kompass

1997, zu ihrer Goldenen Hochzeit, sagte Queen Elizabeth II. die Worte über ihren Gatten, die seither immer wieder zitiert werden, wenn es um die unglaubliche 73 Jahre währende Ehe der beiden geht: Er sei „quite symply“ in all den Jahren für sie „strength and stay“ gewesen, ihr Halt, ihr Fels. Die Queen wusste ihren Ehemann lang mehr zu schätzen als seine Landsleute.

Mit Philips Tod wurde vielen Britinnen und Briten gewahr, dass das Elisabethanische Zeitalter auf sein Ende zugeht. Die Queen wirkt plötzlich gebrechlicher, benutzt – früher undenkbar – eine Gehhilfe. Die Windsors haben ihren Patriarchen verloren, die Königin nicht nur die Liebe ihres Lebens, sondern auch, so scheint es, ihren Kompass. Wie hätte der Herzog von Edinburgh es gefunden, dass ausgerechnet der in Missbrauchsvorwürfe tief verstrickte Andrew seine Mutter zum Gedenkgottesdienst ein Jahr nach Philips Tod geleitete? Hätte er gespürt, welche Empörung die mütterliche Geste im Land auslösen würde?

Bei Philips Beisetzung auf Schloss Windsor im vergangenen Jahr saß die Queen dem Coronaprotokoll entsprechend allein. Ganz in Schwarz, einsam und plötzlich ganz klein ohne ihren großen Soldaten neben sich. Ohne ihren Fels.