Vor einem Jahr erreichte der ukrainische Volksaufstand auf dem Kiewer Maidan seinen blutigen Höhepunkt. Am Sonntag soll dort der Opfer gedacht werden. Präsident Poroschenko muss die Gelegenheit nutzen, Stärke zu zeigen.

Kiew - Auf dem Maidan, dem zentralen Platz in der Kiewer Innenstadt, werden derzeit Tribünen errichtet. Ursprünglich planten hier das Präsidialamt und die Stadt für kommenden Sonntag eine reine Gedenkveranstaltung. Der erste Jahrestag der Schüsse vom Maidan sollte den Schlusspunkt unter eine anhaltende Trauerphase setzen. Doch die Misere in der Ostukraine wird immer mehr zu einer Krise für den Präsidenten. So wird Petro Poroschenko die Gelegenheit nutzen müssen, an diesem Ort Stärke zu zeigen.

 

Am 18. Februar 2014 hatte der Kommandant des Maidan-Sicherheitsschutzes, Andreij Parubiy, zum „Marsch des Zorns“ in das angrenzende Regierungsviertel aufgerufen. Das Parlament tagte, man wollte den Druck auf die Politiker erhöhen, ein Amtsenthebungsverfahren gegen den damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch auf den Weg zu bringen. Am Abend gelang es Sondereinheiten der Polizei nicht, den Maidan gewaltsam zu stürmen. Die ganze Nacht wurde auf dem Platz gekämpft. Überall brannte es, die Polizei schoss Blendgranaten, Demonstranten verteidigten sich mit Molotow-Cocktails und Pflastersteinen.

Mit 24 Jahren schon Witwe

„Es ist ein Wunder, dass in der Nacht nicht viel mehr Tote und Verletzte zu beklagen waren“, sagt Marina. Die Ärztin half als Freiwillige beim Medizinischen Dienst. Es gab Brandverletzungen, aber es war nur das Vorspiel zu dem, was am 20. Februar folgte. An jenem Vormittag wurden binnen Stunden über 70 Menschen erschossen. Die meisten starben durch Kugeln von Scharfschützen am unteren Teil der Institutska-Straße. Dort werden am Sonntag die Opfer geehrt.

Olga ist eine junge Frau, keine 25 Jahre alt. Vor einem Jahr wurde ihr Bruder Mischa bei den Maidan-Aufständen verwundet. Als in der Nacht zum 19. Februar das Gewerkschaftshaus Feuer fing, half er beim Löschen und verlor dabei seine halbe rechte Hand. Olgas Mann Alexander, als Freiwilliger auf dem Maidan den ganzen Winter über aktiv, meldete sich im Frühjahr 2014 zum „Anti-Terror-Einsatz“ der Armee. „Er konnte es gar nicht abwarten, ins Feld zu gehen und gegen die Russen zu kämpfen“, erinnert sich Olga. Die Familie lebt in einem kleinen Dorf in der westukrainischen Region Riwne.