Wird der Kreis Gütersloh zum Ischgl für Deutschland? Das fragte sich die ZDF-Talkshow von Markus Lanz, die dann aber überlagert wurde von harscher Kritik an Massentierhaltung und Fleischindustrie.

Stuttgart - Anton Hofreiter ist promovierter Biologe, passionierter Kritiker der Massentierhaltung und ein Grüner bis in die letzte Haarspitze. Und dennoch hatte der ZDF-Moderator Markus Lanz in seiner Talkshow am Dienstagabend seine ganz persönliche grün-vegane Aufwallung, die sogar den fleischessenden Grünen Hofreiter für einen Moment in den Schatten stellte. Aber zunächst einmal ging es um die Frage, ob der wieder wegen der Infektion mit Corona-Viren beim Schlachtbetrieb Tönnies in den Lockdown geschickte Kreis Gütersloh zum Infektionsherd für die ganze Republik – zum Ischgl für Deutschland – werden könnte.

 

Die Seele einer Stadt ist verletzt

Die „Seele“ seiner Stadt sei verletzt, die Emotionen kochten hoch, sagte Theo Mettenborg (CDU), der Bürgermeister von Rheda-Wiedenbrück, dem Tönnies-Standort, in einer Zuschaltung. Man habe eine krisenhafte Situation und es bedeute einen immensen Kraftaufwand, die in Quarantäne gestellten Tönnies-Mitarbeiter täglich zu versorgen: „Das sind 450 Wohneinheiten mit 3000 Rumänen, Polen und Bulgaren.“

Dass es zu dem erneuten Ausbruch überhaupt kommen konnte, nachdem es bereits Infektionsvorfälle in anderen Fleischbetrieben gab, dass war für Mettenborg auch ein Rätsel: „Wir hatten am 11. Mai noch Ergebnisse vorliegen, wonach von 6800 Mitarbeiter nur acht infiziert seien. Da muss in den letzten drei Wochen eine dynamische Entwicklung erfolgt sein.“ Der Frankfurter Virologe Michael Stürmer bemühte sich um eine Erklärung, es handele sich eben um ein „komplexes und großes Ausbruchsgeschehen“. „Man hat nach den Ausbrüchen in anderen Fleischbetrieben viel reagiert, anstatt zu agieren“, kritisierte Stürmer. Die Darstellung der Infektionszahlen auf der Tönnies-Website hält Stürmer immerhin für „vorbildlich“ und auf die Frage nach dem Ischgl für Deutschland beruhigte er dann etwas: „Ich sehe keine zweite Welle. Noch stehen wir gut da, und es ist ja jetzt ein zweiter Landkreis geschlossen worden, um einen Flächenbrand zu verhindern.“ Zum Zeitpunkt der Sendung waren die Behörden in NRW noch der Ansicht, dass es nur 24 „tönnies-unabhängige“ Corona-Infektionen gegeben habe.

Der Schlachtmitarbeiter erhält 9,35 Euro pro Stunde

Mit Corona ist allerdings auch die Fleischindustrie ins Rampenlicht geraten – und mit ihr erfolgte eine Generalabrechnung. So schilderte die „Welt“-Journalistin Anette Dowideit die „Parallelwelt“ der Schlachthofmitarbeiter, die bei Tönnies den Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde erhielten, bei Westfleisch aber 13,61 Euro sowie Zuschläge und die zum Teil von mehreren Subunternehmern ausgebeutet werden, der eine kümmere sich um den Schlafplatz (300 Euro für ein Bett), der andere nehme Geld für Arbeitskleidung und Transport – ein Ausbeutersystem. „Beim Zerlegen von Fleisch gilt Deutschland als der billigste Standort. Selbst Dänemark hat sich schon beschwert, dass die Standards bei uns so locker sind.“ Dass die Fleischverarbeitung in der Corona-Krise als „systemrelevant“ eingestuft worden ist, dafür zeigte Dowideit wenig Verständnis. Denn vielfach geht das Schweinefleisch in den Export nach China. Vor allem der CDU und CSU lastete die Journalistin an, dass die Bedingungen in dieser Industrie nicht verbessert worden seien, die seien „der parlamentarische Arm der Agrarindustrie“.

Hofreiter hat selbst schon mal ein Schwein zerlegt

Dies war für den Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter natürlich ein gefundenes Fressen, er hieb in die gleiche Kerbe, warf der Union im Agrarausschuss eine Blockade von Verbesserungen vor. Die hochgradig industrialisierte Massentierhaltung bezeichnete Hofreiter als „kaputten Wirtschaftszweig“. Sie basiere auf unökologischen Futtermittelimporten aus Südamerika, Missachtung des Tierwohls mit ein „halbes Leben lang gefesselten Säuen im Kastenstand“, schlechten Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen. Hofreiter spannte den Bogen so weit, dass er nahtlos in einem Satz „eine Generalunternehmerhaftung für den Arbeitsschutz“ anmahnen und gleichzeitig das „tägliche Ermorden von Indigenen in Südamerika“ wegen der Soja-Plantagen anprangern konnte. Es war die große, grüne Keule, die Hofreiter, der vor Jahren ein Buch über Massentierhaltung geschrieben hat, da auspacken konnte. Und dennoch: Als in der Sendung dann ein Hochglanz-Video aus der PR-Abteilung von Tönnies eingespielt worden ist, dass zeigte wie tote, weiße Schweine in blitzblanken Metalltransportbändern aufgehängt werden, wie sie mit Kettensägen zerlegt und ihnen die Eingeweide aus dem Bauch quellen, da entfuhr dem Moderator Markus Lanz ein: „Uiih, ist das unappetitlich.“

Fleisch kann auch Salmonellen oder Noroviren übertragen

Dass eine Schlachtung mit dem Töten und Zerlegen eines Tieres einhergeht, selbst bei einer Hausschlachtung, das muss dem Moderator befremdlich vorgekommen sein. Anders Dr. Hofreiter. „Ich habe als junger Mann auch schon mal ein halbes Schwein zerlegt“, so der Grüne. Und er esse gerne Fleisch, aber es müsse ja nicht jeden Tag sein. Früher habe es bei ihm daheim freitags Fisch, Sonntags einen Schweinebraten und den Rest der Woche mal Nudeln oder Topfenstrudel gegeben. Heute verdiene er gut genug, um sich in Maßen Fleisch aus tierwohlgerechter Produktion kaufen zu können. Aber Schlachtzahlen wie heute – 20:000 Schweine sollen bei Tönnies täglich geschlachtet werden, Hühnerschlachthöfe kommen auf 350:000 am Tag – sind Hofreiter unheimlich.

Den Ekelfaktor gegenüber toten Tieren verstärkte am Ende der Virologe Stürmer. Er verneinte zwar die Frage, ob durch die Corona-Viren von den Tönnies-Mitarbeitern jetzt auch Wurst und Schnitzel der Firma gefährdet seien. „Da kann durch das Fleisch nichts passieren“, sagte Stürmer. Potenziell sei fahrlässiger Umgang mit Fleisch sei aber immer gefährlich. Da könnten ja auch Salmonellen, Hepatitis A oder Noroviren durch Schmierinfektionen übertragen werden. „Aber dieses Thema würde die Sendung sprengen“, meinte Stürmer, dies Corona-Krise sei immerhin „ein Glockenschlag“ für die ganze Branche.