An der Küste von Nordstrand ist ein Gemetzel im Gange, blutig und gar nicht schön anzusehen. Dort werden die Kadaver der in Helgoland gestrandeten Pottwale zerlegt.

Nordstrand - Wie eine Giftwolke hängt Verwesungsgeruch über dem Hafen von Nordstrand an der schleswig-holsteinischen Küste. Auf der Mole des Holmer Siel, wo sonst Baumaterial für die benachbarten Halligen lagert, ist ein Gemetzel im Gange, blutig und gar nicht schön anzusehen. Denn auf dem Asphalt liegen zwei Kadaver gestrandeter Pottwale und werden von Veterinären und Biologen der Tierärztlichen Hochschule Hannover fachmännisch zerlegt. Sie haben es aufs Skelett abgesehen und wollen ganz genau wissen, woran die riesigen Meeressäuger gestorben sind.

 

Insgesamt zwölf Pottwale wurden in den vergangenen Wochen an der Nordseeküste angespült worden. Zwei wurden auf Wangerooge gefunden, je einer vor Büsum und Bremerhaven, sechs in den Niederlanden und die zwei, die in Nordstrand auseinandergenommen werden, verendeten vor Helgoland. Ein reihenweises Sterben der Giganten, dem ein qualvoller Todeskampf auf den Sandbänken vorausging. Warum die Meeressäuger auf ihrer winterlichen Wanderung durch den Atlantik in die Nordsee abgebogen sind, lässt die Forscher rätseln. Hat der zunehmende Unterwasserlärm ihre Echoorientierung gestört? Setzt ihnen der Meeresmüll zu? Oder sind sie erkrankt?

Bei Schottland falsch abgebogen

„Das Sterben kann viele Ursachen haben. Klar ist aber, in der flachen Nordsee, die nur 100 Meter tief ist, sitzen die Tiere in der Falle“, sagt Ursula Siebert, die Leiterin des Büsumer Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung. Sie ist mit ihrem gut 20-köpfigen Team in Nordstrand angerückt. „Irgendwo bei Schottland sind die Wale falsch abgebogen“, erklärt Siebert. Sie hätten ihren bewährten Kurs verlassen und seien durch die Norwegische Rinne in die Nordsee geschwommen – ein verhängnisvoller Fehler.

An diesem Samstag wird das Team um Siebert einen dritten Jungbullen zerlegen, der vor Büsum auf einer Sandbank gefunden worden war. Als die Küstenschützer ihn an der Schwanzflosse nach Nordstrand ziehen wollten, war ihnen die Trosse gerissen und sie mussten den zwölf Tonnen schweren Riesen erst wieder suchen. Was ihnen auch gelang. „Ein Wal geht nicht verloren“, sagt Hendrick Brunckhorst, der Pressesprecher der schleswig-holsteinischen Nationalparkverwaltung. Entschwunden sind den Küstenschützern allerdings ein paar Pottwal-Elfenbeinzähne. Diebe hatten sich nachts im Unterkiefer einer der Kolosse zu schaffen gemacht und fünf der Zähne weggeflext. „Eine Frechheit“, ärgert sich Brunckhorst und kann nicht fassen, mit wie viel Dreistigkeit Trophäenjäger vorgehen.