Wie fühlt es sich an, wenn plötzlich alle Lederhosen-Imitate tragen, während man selbst jahrelang für ein Original gespart hat? Unser Autor, Dieter Fuchs, weiß es.

Seite Drei: Dieter Fuchs (fu)

Stuttgart - Um außerhalb der Wasenzeit im Württembergischen eine Lederhose anzuziehen, bedarf es einer gewissen Überwindung. Meist steht der Träger damit völlig isoliert da. Und die Reaktion der anwesenden Festgäste ist unmittelbar aus den Gesichtern abzulesen: Was ist in diesen scheinbar vernünftigen Mann gefahren, der jetzt ohne Not dem lächerlichen Modetrend Halbwüchsiger folgt?

 

In Wahrheit haben der Trend und meine Hose nichts miteinander zu tun. Der ideelle und finanzielle Wert einer wasengemäßen Spaltlederhose vom Rind und meiner sämischen Hirschlederhose entsprechen dem Verhältnis eines Daihatsu Cuore Baujahr 2013 und eines Porsche 911 Baujahr 1973. Es gibt gewiss Schlimmeres als junge Männer, die in Kleidung, welche Fensterledern mit Plastikknöpfen ähnlicher ist als einer Trachtenhose, saufen gehen. Tragisch ist, dass ich – anders als in meiner früheren bayerischen Heimat – hierzulande automatisch zur Gruppe der Herbstkarnevalisten gerechnet werde.

Eine echte Lederhose fühlt sich an wie ein Flanellpyjama

Viele Jahre lang wünschte ich mir als gebürtiger Regensburger eine Lederhose, konnte sie mir aber nicht leisten. Als es so weit war, umschwirrten mich Myriaden von Fensterleder-Trachtlern mit Preißn-Karo-Hemden. So müssen sich Maori fühlen, deren Tätowierungen nun die Ärsche der Welt zieren. Aber was soll das Jammern: Es sind schon ganz andere Kulturgüter vom Kapitalismus verschlungen worden. Eine traditionelle Lederhose wird in Bayern oder Österreich gefertigt. Das trifft auf sicher nicht mehr als fünf Prozent der verkauften Exemplare zu. Der Rest wird in Sri Lanka produziert – käuflich auch bei Lidl und Tchibo. Das Hirschleder einer traditionellen Lederhose wird per Hand mittels Dorschlebertran gegerbt – ein langwieriges und anstrengendes Verfahren, das übrigens auch noch in Oberschwaben gepflegt wird. Dieses Handwerk macht es möglich, dass eine echte Lederhose mit seinem etwa drei Millimeter dicken Leder leichter ist als die Billigversion, sich nach kurzer Eintragezeit anfühlt wie ein Flanellpyjama und praktisch unzerstörbar ist.

Die zwei Hirschhäute, die für eine Hose notwendig sind, werden mit Baumrindenfarbe gefärbt und per Hand bestickt – auf dem Leder, nicht durch das Leder hindurch. Dann werden die Nähte nach außen gekehrt und vernäht, nicht zuletzt um Scheuerstellen definitiv zu vermeiden. Redakteure einschlägiger Männermagazine empfehlen gerne in ihren Herbstausgaben, man möge die frisch gekaufte Lederhose doch mit abgestandenem Bier, Haxn-Fett und Eigenurin behandeln. Das ist dekadenter Quatsch – aber aushalten würde die Hose das.

Diese Hose passt ein Leben lang und wird nie gewaschen

Warum kauft jemand ein solches Stück zum Preis eines Tausenders? Es ist, wie beim Schottenrock, die Mischung aus Tradition und Anarchie, Selbstdarstellung und Verortung. Sie ist Ausdruck bayerischer Lebensart, die nichts mit der CSU, wohl aber mit den Gepflogenheiten auf dem Land zu tun hat, inklusive eines fröhlichen Machismo. Natürlich tragen unzählige wohlhabende Bierdimpfl eine solche Lederhose. Aber sie steht eben auch für den Stenz, den Mann, der sich das Leder für seine Hose selbst vom erschossenen Hirsch abzieht. Und der sich damit präsentiert: die Stickereien, die Nähte und das Messer in der Hirschfängerseitentasche sind mehr Putz, als es einem Anzugträger in der westlichen Hemisphäre gestattet ist. Dazu kommt: diese Hose passt ein Leben lang und wird nie gewaschen.

Oft wurde unter Experten diskutiert, wie viel Tradition in so einer Hose steckt, wo sie doch erst Mitte des 19. Jahrhunderts als Tracht in Betracht kam und Hirschleder ohnehin nur Adelige trugen. Mir reicht das Quantum, und ich würde sie gerne, wie es Brauch ist, weitervererben. Aber wahrscheinlich werden meine Söhne dieses Ansinnen dereinst eher nicht beherzigen. Sie sind doch hier geboren.