Die Partner in Europa werfen Deutschland vor, mit dem 200-Milliarden-Energiepaket unsolidarisch gehandelt zu haben. Bundeskanzler Scholz sieht die „Missverständnisse“ ausgeräumt.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Es war kein leichter Tag für Olaf Scholz, der deutsche Bundeskanzler hat sich deutliche Worte anhören müssen in Prag. Viele seiner Kollegen sparten auf dem EU-Gipfel am Freitag gegenüber dem deutschen Bundeskanzler nicht mit Kritik an dem 200 Milliarden Euro schweren Entlastungspaket, mit dem Berlin in der Krise die hohen Energiepreise abfedern will.

 

Der Regierungschef wies die Vorwürfe allerdings zurück. „Es ist klar zu sagen, was Deutschland macht, ist richtig“, sagte der SPD-Politiker. „Wir sind ein wirtschaftlich starkes Land und können das auch.“ Und er betonte nach dem Treffen: „Wir bewegen uns mit unseren Entscheidungen im Rahmen dessen, was auch andere in Europa machen.“ Auf dem Gipfel habe er zudem die Gelegenheit genutzt, im Kreis seiner Kollegen und Kolleginnen „den deutschen Abwehrkampf“ zu erläutern und in den europäischen Kontext einzuordnen. Dabei seien auch einige „Missverständnisse“ ausgeräumt worden.

Kritik an Deutschland

Das Missfallen über Deutschland sitzt bei vielen Ländern allerdings sehr tief. „Meine Botschaft an Deutschland ist: Seid gemeinschaftlich, solidarisch mit allen anderen“, sagte Polens Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am Rand des Treffens in Prag reichlich unverblümt in Richtung Scholz und monierte einen deutschen Alleingang. Der „deutsche Egoismus“ müsse endlich in die Schublade. In schwierigen Zeiten müssten sich alle auf einen gemeinsamen Nenner einigen und nicht auf den Nenner, der nur für ein Land passend sei, erklärte der Premier.

Selbst EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen warnte angesichts des deutschen Hilfsprogrammes vor einer Verzerrung des gemeinsamen Binnenmarkts. Es sei wichtig, dass alle Unternehmen die gleichen Chancen hätten, am Binnenmarkt teilzunehmen, sagte die deutsche Politikerin in Prag. Wettbewerb dürfe es nur über die Qualität geben, nicht über Subventionen.

Den von vielen erhofften Durchbruch im Streit um die europäische Gaspreisbremse gab es in Prag nicht. „Vor uns liegt in diesem Herbst und Winter noch viel Arbeit, und es wird nicht einfach“, räumte Scholz ein. Die EU-Energieminister sollen die verschiedenen Vorschläge in den kommenden Tagen nach seinen Worten nun genau prüfen, bevor sich die Staats- und Regierungschefs bei ihrem Brüsseler Gipfel am 20. und 21. Oktober erneut damit befassen.

Präsident Selenskyj zugeschaltet

Ursula von der Leyen verwies darauf, dass Gespräche mit großen Gaslieferländern wie den USA oder Norwegen über Preisrabatte für Europa bereits im Gang seien. Auch eine Entkopplung des Strompreises vom Gaspreis könne helfen, sagte sie zum Abschluss der Beratungen in Prag. „Das könnte der erste Schritt für eine weitgehende Marktreform sein“, sagte sie. Zu erwarten sei dies „aber erst gegen Anfang des nächsten Jahres, da es ein sehr komplexes Thema ist“.

Doch es wurde in Prag nicht nur über die Energiekrise diskutiert. Im Zentrum stand natürlich auch der Überfall Russlands auf die Ukraine. Präsident Wolodymyr Selenskyj war am Freitag per Video auf dem EU-Gipfel zugeschaltet und bat Europa um weitere Unterstützung im Kampf gegen die Invasoren aus Moskau. Besonders wichtig seien Luftabwehrsysteme, um Angriffe auf die Energie-Infrastruktur abzuwehren. „Wir brauchen genug Luftabwehrsysteme, um zu verhindern, dass Russland die Menschen im Winter ohne Wärme und Strom lässt“, betonte Selenskyj. Der Präsident begründete seine Forderung mit den Anschlägen auf die Gas-Pipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee, die zu mehreren Lecks in den Röhren geführt hatten.

Von der Leyen warnt vor zunehmender Sabotage

Die EU muss sich nach Ansicht von Kommissionschefin Ursula von der Leyen an Bedrohungen wie die Sabotage kritischer Infrastruktur gewöhnen. „Was mit Nord Stream 1 und Nord Stream 2 passiert ist, ist eindeutig die Art von Bedrohungen, an die wir uns gewöhnen, aber noch wichtiger, darauf vorbereitet sein müssen“, sagte sie in Prag. Die Kommission habe diesbezüglich bereits einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt. Darin seien Vorschläge zur Vorsorge, zu Stresstests, zur internationalen Koordinierung und zum Informationsaustausch enthalten.

Präsident Selenskyj mahnte, bereits an die Zeit nach dem Krieg zu denken. Bei seiner Rede in Prag drängte der ukrainische Präsident die EU-Staaten erneut auf schnelle Wiederaufbauhilfen für sein Land. Er hoffe auf eine „substanzielle Diskussion“ darüber auf einer für den 25. Oktober in Berlin geplanten Wiederaufbaukonferenz, zu der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) eingeladen hat.