Strampler in Creme und Sand, Walkanzüge in Braun. Warum sieht Kindermode heute nach Waisenheim im 19. Jahrhundert aus?

Familie/Bildung/Soziales: Lisa Welzhofer (wel)

In England hat das Phänomen schon einen Namen. Als „sad beige parenting“ (Elternschaft in traurigem Beige) wird dort verspottet, was man auch hier in Abteilungen für hochwertige Kinderkleidung (gern aus Schweden) und auf den Spielplätzen der Stuttgarter Halbhöhe beobachten kann: Babys und Kleinkinder, gewandet in das früher als Opafarbe geschmähte Beige.

 

Wobei, ganz so eintönig ist die Farbpalette, in der Akademiker-Hipster-Eltern ihren Nachwuchs gern analog und bei Instagram herzeigen, nicht. Es darf schon auch mal ein Woll-Seiden-Body in Creme sein (29 Euro), ein aschfarbener Mini-Schurwollmantel (139 Euro) oder ein Walkanzug aus Bio-Merinowolle in Braun (89 Euro). Mutige mischen hin und wieder ein verwaschenes Blau oder Altrosa darunter. Den britischen „Guardian“ erinnert diese Mode mit ihren Pluderhosen, Bubi-, Matrosenkrägen an die Kleidung von Waisenheimkindern im 19. Jahrhundert und an das spaßbefreite Leben, das sie führten .

Passt in die Wohnwelt der Eltern

Man muss gar nicht viel herumpsychologisieren, um darauf zu kommen, dass der Nachwuchs mit den beigen Buxen zum restlichen Lebens- und Wohnstil seiner Eltern passt. Ein Baby in kreischenden Farben oder Mustern (gar mit Aufdrucken!) fügt sich halt nicht so gut in die beige-weiß-gräuliche Hygge-Design-Welt der Eltern mit ihren Naturmaterialien wie Kork, Holz und Bambus ein. Die jedem zeigen soll, wie geschmackvoll und nachhaltig man lebt und dabei in ihrer Konformität so wahnsinnig langweilig ist. Und auch sehr angeberisch in ihrer angeblichen Zurückhaltung.

Mattgraue Möbel und Kautschukschnuller

Beige Babys wurden denn schon als Bobo-Trend ausfindig gemacht. Wobei Bobo für bourgeoise Bohemiens steht. Mittlerweile sind die farblosen Klamotte an den Stangen von H&M oder C&A angekommen.

Und längst haben nicht nur die Kleidchen und Strampler allen Glanz verloren. Von der knochenfarbenen Krabbeldecke, über die mattgrauen Kinderzimmermöbel und braunen Kautschukschnuller, den blechernen Sandeimer bis hin zum Regenbogenmobile in gedeckten Pastelltönen – nichts bringt das achtsam zusammengestellte Interieur durcheinander. Gewünschter Nebeneffekt: Naturtöne sind maximal genderneutral.

Das ist alles schön für die Eltern, Kindern allerdings wird diese stoffgewordene Mäßigung nicht gerecht. Sie sind – Gott sei Dank – das Gegenteil davon. Sie sind bunt und laut, lustig und kreischend, unausgeglichen und widersprüchlich und stürzen alles ins Chaos. Wenn man Kinder zugesteht, dass sich in Kleidung Persönlichkeit ausdrücken darf, müssten die allermeisten nicht beige tragen, sondern neonpink mit neongrünen Blitzen darin.

Kinder brauchen Farben

Natürlich finden sich auch gleich Expertinnen, die den farblosen Trend verdammen. Eine US-Kinderpsychologin erklärte dem „Wall Street Journal“, dass es wichtig sei, Kindern Farben auszusetzen, das erleichtere deren visuelle Wahrnehmung.

Man muss das Ganze aber nicht gleich so hoch hängen, immerhin sind Moden flüchtig. Und irgendwann zwischen Kindergarten- und Grundschulalter kann man es als Eltern sowieso vergessen mit der Kleiderauswahl. Dann werden aus den beigen Babys bunte Wesen mit Pailletten-Wendbilder und Superhelden auf der Brust, die lieber sterben wollen, als das sauteure aschgraue Ensemble anzuziehen. Ist das nicht schön!