Trends auf der Spielwarenmesse Wer spielen will, muss fühlen

Spiele der neuesten Generation sind digital, aber zum Anfassen. Die großen Hersteller aus Baden-Württemberg setzen digitale Technik dosiert in ihren Neuheiten ein – der Erfolg gibt ihnen Recht.
Nürnberg - Fledermausalarm am Messestand von Ravensburger: „Schnell, geht in Deckung!“, kratzt es geheimnisvoll aus dem Lautsprecher. Leopold und Katharina tun wie verlangt, ducken sich und warten auf weitere Anweisungen. Die markante Stimme, die die Geschichte dieses neuen Spiels zum Leben erweckt, dürfte vielen Kindern bekannt vorkommen: Der Schauspieler und Synchronsprecher Rufus Beck, den der Kinderbuch- und Spieleverlag für seine neue „Toi+“-Reihe anheuerte, hat bereits die Hörbücher von „Harry Potter“ in Deutschland eingesprochen.
Ravensburger will mit „ Toi+“ an den Erfolg seines beliebten Vorlesestifts Tip Toi anknüpfen: Neben dem „magischen Kompass“, der die Fledermaus angekündigt hatte, gibt es noch das Spielbrett „Brain Board“ und den Geier „Furious Falko“. In alle drei haptischen Spielsachen wird die gleiche elektrische Steuereinheit, der sogenannte Core, eingesetzt. Der hat keinen Bildschirm, sondern besteht nur aus Tasten, Sensoren und dem Lautsprecher. Frühere Versuche, haptische Spiele mit dem Smartphone zu verknüpfen, hätten nicht den gewünschten Erfolg gebracht, erklärt Ravensburger-Chef Clemens Maier. „Viele Kunden haben gesagt, das lenke sie nur ab.“
In das aktuelle Klagelied der Branche mag Maier allerdings nicht einstimmen. Der Umsatz des Familienunternehmens legte im vergangenen Jahr um gut vier Prozent auf 491 Millionen Euro zu. „Damit entwickeln wir uns positiver als die internationalen Spielwarenmärkte, die überwiegend stagnieren“, sagt Maier. Das ist noch freundlich ausgedrückt: Während der Branchenumsatz in Frankreich und Spanien um jeweils fünf Prozent absackte, brach er in Großbritannien um zwölf Prozent ein. Deutschland ist als einziger der großen europäischen Märkte leicht gewachsen, der Umsatz stieg um zwei Prozent auf rund 3,2 Milliarden Euro. Die größten Hersteller aus Baden-Württemberg konnten allesamt stärker zulegen, ob Märklin, Schleich, Kosmos oder Ravensburger.
Ravensburger wächst in den USA zweistellig
Die Oberschwaben verzeichneten ihre deutlichsten Zuwachsraten im Heimatmarkt (plus sieben Prozent) und in den USA, wo das Umsatzplus sogar zweistellig ausfiel. Der US-Markt ist nicht zuletzt durch die Zukäufe Wonder Forge und Thinkfun in den vergangenen Jahren zum wichtigsten Exportmarkt des Familienunternehmens aufgestiegen. In diesem Jahr geht Ravensburger mit seinem neuen Bestseller, der Kugelbahn Gravitrax, in den USA an den Start. Sie sei dem Hersteller nach ihrer Einführung in Deutschland 2017 und Resteuropa 2018 regelrecht „aus den Händen gerissen worden“, sagt Maier. Im Gegenzug bringt das Unternehmen mit dem Strategiespiel „Villainous“ 2019 das erste Wonder-Forge-Produkt in den deutschen Handel. Dabei schlüpfen die Spieler in die Rolle von Disney-Bösewichten.
Wer als Detektiv lieber auf der richtigen Seite des Gesetzes steht, findet ein paar Schritte weiter das erste Krimi-Puzzle aus der Reihe „Die drei ???“ von Kosmos. Eine Verlagssprecherin erklärt die Idee: Die Spieler lesen eine mysteriöse Geschichte und müssen parallel dazu das Bild einer „Villa der Rätsel“ zusammenpuzzeln. Auch bei der zweiten Neuheit von Kosmos, den „Adventure Games“ („Abenteuer-Spiele“), geht es darum, Rätsel zu lösen. Dabei kann ein digitales Element mit dem haptischen Erlebnis verknüpft werden: Die Spieler entscheiden, ob sie die Geschichte, die durch das Spiel führt, selbst lesen oder sich von einer App vorlesen lassen wollen.
Das Spielprinzip knüpft an die erfolgreichen Exit-Games von Kosmos an. Mehr als drei Millionen Sets haben die Stuttgarter bisher verkauft. Der Umsatz habe 2018 die 100 Millionen-Euro-Schwelle „deutlich überschritten“. Auch Experimentierkästen trugen dazu bei. Mit dem Klassiker geht Kosmos in diesem Jahr neue Wege und bringt den ersten in Kooperation mit Fischertechnik entwickelten Experimentierkasten heraus.
Fischertechnik nimmt jüngere Zielgruppe ins Visier
Bei der Tochter der Fischer-Gruppe aus Waldachtal gehört die Technik von jeher zum Repertoire. Doch auch Fischertechnik setzt digitale Elemente behutsam ein, wie Geschäftsführer Marcus Keller erklärt: „Viele unserer Produkte werden heute zwar digital angesteuert, aber das Grundprinzip der Konstruktion ist gleich geblieben.“ Das Unternehmen spricht mit seinen Einsteigerbaukästen nun schon Kinder ab drei Jahren an. Sie sollen mit Kran und Muldenkipper erste Erfahrungen sammeln, bevor sie später zu hydraulischen Baggern und Pistenraupen im Profibereich herüberwechseln, so der Plan. Bei der Frage nach Zahlen hält sich Keller bedeckt, man habe erneut „gute Zuwächse“ erzielt und liege mittlerweile beim Umsatz im zweistelligen Millionenbereich.
Eine ganz anderes Kaliber ist Schleich. Der Hersteller aus Schwäbisch Gmünd war am Dienstag zwar nicht auf der Neuheitenschau der Messe vertreten, hat aber seine Zahlen für 2018 vorgelegt. Der Umsatz ist um 17 Prozent auf 183 Millionen Euro in die Höhe geschnellt. Die Erklärung liefert Schleich-Geschäftsführer Dirk Engehausen im Gespräch mit unserer Zeitung: „Wir sind vor vier Jahren mit dem Ziel angetreten, den Konsumenten klarzumachen, dass wir nicht nur Figuren herstellen.“ Mittlerweile gibt es sechs verschiedene Spielewelten im Sortiment, die sich laut Engehausen noch vielfach erweitern lassen. Drumherum erzählt Schleich auch Geschichten; in Büchern, Magazinen, auf CD und in dem im Herbst erscheinenden Kinofilm rund um die Elfen- und Meerjungfrauenwelt Bayala. Zum Thema Digitalisierung hat Engehausen eine klare Meinung: „Unsere Figuren sind ein analoges Spiel, da muss man nichts reindigitalisieren: Es wird kein Pferd geben, das spricht oder läuft.“
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