Auf dem Grünen Hügel sind die Festspiele eröffnet worden. Inszeniert hat die Premiere die Wagner-Urenkelin Katharina. Christian Thielemann hat dirigiert.

Bayreuth - Gegen Ende des ersten Akts muss der Dirigent Christian Thielemann den Anschluss an die Welt inneren Erlebens verloren haben, die er vorher überreich ausgebreitet hat – wann genau, lässt sich rückblickend nicht sagen. War es kurz nach dem Moment, als Tristan und Isolde glaubten, sterben zu müssen, sie die Masken von Wut, Gleichgültigkeit, Sturheit fallen ließen und sich ihre Liebe gestanden, jetzt, da alles egal war? Erneut erklang der berühmte Anfang der Oper mit der aufsteigenden Sexte in den Violoncelli, dem dissonanten Viertonakkord in den Holzbläsern, und nach mehr als einer Stunde Pause war wieder die Harfe zu hören, die hier mit einem Arpeggio Erkenntnis besiegelt.

 

Vielleicht hat sich der Dirigent Christian Thielemann bei der Eröffnung der Festspiele mit Richard Wagners „Tristan und Isolde“ an dieser Stelle von aller vorangehenden Magie verabschiedet: die auf Höheres zielende Disposition langer Bögen, unter denen er nie das Detail verliert; der dichte, kammermusikalische Ton des fabelhaften Orchesters, dessen Holzbläser Thielemann sprechend artikulieren lässt, das probate Gegengift im zur Wattierung neigenden Raumklang – all das bekommt nun den Anstrich des technisch einwandfreien Kapellmeisterhandwerks. Seltsam bleilastig geht es nämlich auf den Schluss dieses ersten Akts zu, wie eingepackt und mit Schleife versehen werden die sich steigernde Hysterie von Tristan und Isolde präsentiert sowie die tumultuarische Ankunft von König Marke zu den Heil-Rufen der Seeleute – und den „Ausbruch allgemeinen Jauchzens“ liest man allein als Anweisung in der Partitur. Gleichwohl, was Thielemann an binnendynamischen Wundern vollbringt, wie er hier eine Streicherfigur hochzüngeln lässt, die sich gleich darauf wegduckt, wie er dort auf kleinstem Raum beschleunigt oder das Tempo dämpft, das hat Klasse – mit emotionaler Distanz.

Thielemann hat nach mehr als zehn Jahren, in denen er das Werk beiseite gelegt hat, sich mit dem „Tristan“ neu befreundet. Im Vorspiel dehnt er zu Beginn die Zwei-Achtel-Pause vor der scheinbaren Auflösung des Sehnsuchtsseufzers der Flöten aufs Doppelte, nimmt dann die großartige Verdichtung zur Klimax so leidenschaftlich und zügig wie früher nicht. Anderes hat er beibehalten und gesteigert seit seinem ersten „Tristan“ 1988 in Hamburg: im Duett des zweiten Akts die Fermate auf dem hohen C der Isolde, die Trennung der beiden Schlussakkorde der Oper, die von einem endlos scheinenden Dis der Oboen verbunden sind. Sympathische Eigenwilligkeiten. Doch wo bleibt der Rausch? Womöglich nahmen ihm das einige Zuschauer übel und buhten, als Thielemann sich verbeugte.

Gefangen in einem stählernen Schiffsbug

Der Dirigent hat es schwer bei einer Inszenierung, die willkürlich die Fabel umcodiert, gegenläufig zur Musik ein randständiges Handlungsmotiv in den Mittelpunkt rückt. Katharina Wagner sieht die Liebesbeziehung als ein Gefängnis, konkret gesetzt durch König Marke, dem Isolde unfreiwillig vermählt ist. Er wird zum Terroristen, der das Liebespaar nach der Ankunft in Kornwall in einer Art stählernen Schiffsbug festsetzt und mit seiner gelb gewandeten Schlägertruppe das Stelldichein von der Reling samt Suchscheinwerfern aus beobachtet. Trotzdem kommen Paarungsgelüste auf. Bei dieser Setzung wird das spätere Marke-Gejammer vom Freundschaftsverrat nach dem Inflagranti, das so keines ist, zur verlogenen Sache. Dass die Musik das nicht trägt, interessiert Wagner nicht, kaum auch, dass die mit festgesetzte Brangäne aus akustischen Gründen anscheinend durch Mauern gehen kann, um ihren Weckruf wie gefordert aus der Ferne zu singen, und flugs gleich wieder die Hände ringt ob all des Jammers (Christa Mayer mit aufgesetzten Gebärden und waberndem Mezzo).

Den Marke-Macho (Georg Zeppenfeld) braucht es für die Pointe beim Liebestod, den Isolde nicht neben dem eben rücklings von Melot erstochenen Tristan sterben darf: Mit einem höhnischen Lachen zerrt Marke sie von der Leiche. Verklärung heißt sie nicht, die Reise, die da droht, so wie er sie hart am Handgelenk gepackt wegführt. Ein letzter sehnsuchtsvoller Blick von Isolde, H-Dur, der Vorhang fällt. Da die Prämisse der Ausweglosigkeit von Anfang an gültig ist, vom ersten Bild im Inneren einen Maschinerie mit sich kreuzenden steilen Treppen, welche die Figuren voneinander trennt, eine von M. C. Escher und Piranesi eingegebene Metapher (Bühne: Frank Philipp Schlossmann und Matthias Lippert), eben darum fehlt dem Stück das zentrale Motiv: der Wille zum Tod durch die Liebe.

Tristan sieht im Fieberwahn Isolde

Katharina Wagner nimmt dem Werk seinen utopischen Glanz: der Tod wird - zumindest für Tristan – zum Ausweg aus einer Zwangslage, nicht zum bejahten Ziel. Da Wagner nicht der Musik vertraut und ihre Darsteller nicht zu einer überzeugenden psychologischen Spielweise bewegt, bebildert sie ständig, was ohnehin zu erfahren ist. Zu Tristans Fiebervisionen sind in dem ansonsten schwarzen Raum aufleuchtende Dreiecke zu sehen, mal oben, mal unten, mal links, mal in der Mitte, in denen Isolde winkend steht. Nähert er sich ihr, stürzt sie herab, fällt in sich zusammen, verliert den Kopf – oder es rinnt Blut über ihre Stirn.

Richard Wagner wusste wohl, dass er mit seinen Anforderungen an die Sänger „das Gelingen des Unmöglichen“ herausgefordert hat – doch muss das Nichtgelingen derart krass ausfallen? In der musikalisch-sprachlichen Formung war das Titelpaar des jüngsten Stuttgarter „Tristans“ dem Bayreuther um Längen voraus. Bei den Festspielen wird schon das Durchstehen der Tristan-Partie ohne Ermüdung als Triumph gefeiert, obwohl Stephen Gould mit seiner erratischen Heraufziehtechnik, gepressten oder gesäuselten Tönen, keine klingend-sinnhafte Lautformung möglich ist. Tristan als Charakter erschließt sich nicht, wenn seine Ekstase, seine Verzweiflung ohne Seelenton bleiben. Denn wenn im „O Wonne voller Tücke! O truggeweihtes Glücke“ kein Abgrund aufgeht, wo dann?

Die Stimme kratzt

Wie bei Gould ist gleichmäßige Tonemission nicht das Plus von Evelyn Herlitzius’ Isolde; die Töne wackeln und wandern, die Diktion leidet unter dem Zwang, Vokale verfärben zu müssen, um die Stimme auf Volumen zu trimmen. Im Ton selten rein, öfters angestrengt, kratzend, steht der Kampf mit der Materie der Darstellung im Weg – und wenn ein Liebestod im Ganzen weder „mild und leise“ ist, sondern forciert, dann ist wenig gewonnen, aber viel verloren, selbst wenn Herlitzius – immerhin – zum Schluss die „höchste Lust“ im Piano nimmt. So teilte sie mit Christian Thielemann einige Buhs, die ansonsten kaum die Feierlaune trübten.