Winfried Kretschmann lässt dem Triumph von 2011 eine weitere Sensation folgen. Die grünen Strategen haben ihren Spitzenmann in den vergangenen Wochen auf perfekte Art und Weise inszeniert. Doch das geht auf Kosten der SPD.

Stuttgart - Als Hans-Ulrich Sckerl, der Vizechef der Grünen-Fraktion, am Sonntag gegen kurz vor Schließung der Wahllokale das Neue Schloss betrat, wiederholte er immer nur das eine Wort: „Epochal.“ Nochmals: „Epochal.“ Und wieder: „Epochal.“ Dem Dreiklang folgte noch ein „Junge, Junge“, dann war erst einmal Luft abgelassen, er war bereit für den Wahlabend.

 

Die Partei fieberte in der Staatsgalerie dem Wahlergebnis entgegen; Abgeordnete, einige Regierungsmitglieder und hohe Beamte warteten im Karolin-Kaulla-Saal des Neuen Schlosses. In dessen Hof hatten die Fernsehsender ihre Übertragungshallen aufgebaut, alles summte und bebte. Erste Zahlen der Nachwahlumfragen machten da schon die Runde. Die Grünen vorn, CDU und SPD abgestürzt. So viel war bekannt. Grün-Rot wackelte. „Dreht mal den Pegler hoch“, verlangte Rezzo Schlauch lautstark, als sich die Blicke bei den Grünen auf die Bildschirme richteten. Schlauch wollte die Prognose keinesfalls verpassen, und was die Technik angehe, so brummte er, „weiß man bei den Grünen nie“. Dann war nur noch Jubel zu vernehmen, der einen Dämpfer erhielt, als der rote Balken auf dem Bildschirm nicht recht nach oben kam.

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Die Grünen sind stärkste Partei

Am Ende ist es also nun doch so gekommen, wie es die Meinungsforscher zuletzt vorhergesagt hatten: Die Grünen gehen erstmals als stärkste Partei aus einer Landtagswahl hervor. Damit fällt der Auftrag zur Regierungsbildung zunächst an Ministerpräsident Winfried Kretschmann, jenen Mann, hinter dem sich die Partei im Wahlkampf ganz klein gemacht hatte. „Grün wählen für Kretschmann“, plärrten die Wahlplakate ins Land. Die Partei versteckte sich geradezu hinter der betont bürgerlichen Anmutung ihres Spitzenkandidaten. Zwar war auch schon in der Vergangenheit der Trend zur Personalisierung von Politik nicht völlig an den Grünen vorbeigegangen, doch diesmal entschieden sie sich für einen Wahlkampf, der ganz auf den Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten zugeschnitten war. Politische Inhalte, jedenfalls soweit sie Landespolitik betrafen, kamen kaum vor. Das registrierte natürlich auch die Opposition, die genüsslich fragte, weshalb die Grünen nicht zentrale Projekte der Koalition wie die Energiewende, die Gemeinschaftsschule oder den Nationalpark plakatierten. „Sie werben nicht mit ihrer Politik“, klagte etwa der stellvertretende CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende Winfried Mack.

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Das focht die Grünen bei ihrer Verwandlung in einen Ministerpräsidentenwahlverein indes nicht an. Schließlich hatten sie noch nie die Chance gehabt, mit einem Regierungschef in eine Wahl zu gehen. Was das bedeutet, bekommen jetzt die Sozialdemokraten zu spüren. Sie fallen der medial verstärkten Polarisierung zwischen dem Amtsinhaber Kretschmann und seinem Herausforderer Guido Wolf zum Opfer. Die Anhängerschaften von SPD und Grünen waren schon in der Vergangenheit wie kommunizierende Röhren verbunden. Der Erfolg des einen gebar des anderen Leid. 2001 zum Beispiel, als die SPD mit Ute Vogt – jung, Frau, dynamisch – gegen den damaligen Ministerpräsidenten Erwin Teufel (CDU) mit 33,3 Prozent einen Achtungserfolg errang, strandeten die Grünen bei 7,7 Prozent. Fünf Jahre später fiel Ute Vogt auf 25,2 Prozent zurück, dafür kletterten die Grünen auf 11,7 Prozent. Bei dieser Landtagswahl kommt noch hinzu, das rot gefärbte Grün-Rot-Wähler diesmal die Grünen wählten, um diese vor die CDU zu bringen und damit Kretschmann auf dem Ministerpräsidentensessel zu halten. Arbeit und Ertrag sind im grün-roten Bündnis ungleich verteilt. Die SPD spielte zentrale Partien der Regierungspartitur, doch am Ende profitieren die Grünen.

Kretschmann hat sein Image des Standhaften kultiviert

Das es so kommen würde, war allerdings keineswegs von Anfang an klar. Kaum im Amt, wurde die Landesregierung durch die Volksabstimmung über Stuttgart 21 vor eine Zerreißprobe gestellt. Die Grünen verloren die Abstimmung. Kretschmann sprach kürzlich erst wieder vom „schwierigsten Moment meiner bisherigen Amtszeit“. Schließlich hätten die Grünen jahrelang gegen Stuttgart 21 gekämpft. „Doch dann entschied die Mehrheit gegen uns.“

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Dass Kretschmann die Mehrheitsentscheidung nicht in Frage stellte, sondern vorbehaltlos anerkannte, festigte nicht nur das Ansehen des Ministerpräsidenten, sondern auch das Vertrauen in seine Partei. Darauf fand die Opposition kein Gegenmittel. Sie versuchte zunächst, Kretschmanns persönliche Integrität in Frage zu stellen. Das misslang. Dann ließen es sich CDU und FDP angelegen sein, Kretschmann als möglicherweise vernünftigen, jedoch von seiner bösen Partei gesteuerten Regierungschef hinzustellen.

Geholfen hat es nicht. 1989, zehn Jahre nach Gründung des grünen Landesverbands, erschien ein Sammelband mit dem Titel „Grüner Weg durch schwarzes Land“. Inzwischen ist das Land auf weiter Fläche grün terrassiert. Es ist weniger schwarz, und die Grünen sind weniger grün als in jenen wilden Anfangsjahren.