Peter Beyer, der Transatlantik-Beauftragte der Bundesregierung, sieht bei einem Wahlsieg Joe Bidens neue Herausforderungen auf Deutschland zukommen.

Berlin - Noch knapp eine Woche bis zur Wahl in den USA, die auch für Deutschland und Europa große Bedeutung hat. Welche genau erklärt der Beauftragte der Bundesregierung für die transatlantischen Beziehungen, der CDU-Bundestagsabgeordnete Peter Beyer. Er meint, dass auch US-Präsident Joe Biden die europäischen Partner vor Herausforderungen stellen würde.

 

Herr Beyer, wagen Sie eine Woche vor den US-Wahlen eine Prognose?

Basierend auf den Umfragen, gerade in den entscheidenden umkämpften Staaten wie etwa Pennsylvania, zeichnet sich tatsächlich eine Mehrheit für Joe Biden ab. Aber es gilt auch weiterhin: Donald Trump ist ein harter Kämpfer, den man nicht abschreiben sollte.

Hätte ein Präsident Biden mit seiner Botschaft der Befriedung des gespaltenen Landes angesichts der tiefen Gräben überhaupt eine Chance?

Eine Polarisierung am Ende des Wahlkampfes ist nicht ungewöhnlich. Aber diesmal tritt die Uneinigkeit des Landes noch stärker hervor als 2016, auch weil das Thema Rassismus eine so wichtige Rolle spielt. Das verschwindet sicher nicht im Falle eines Biden-Siegs. Die vielen offenen Wunden bleiben. Biden würde sicher sein ausgleichender Ton helfen. Aber das reicht nicht. Er wird ein Konzept brauchen, das den Dialog zwischen den Lagern auf regionaler und lokaler Ebene wieder in Gang bringt. Und es gibt eine ganz große Unbekannte: Was wird Trump im Falle einer Niederlage machen? Wird er eine politische Bewegung gründen – und wenn ja, innerhalb oder außerhalb der republikanischen Partei? Viele Amerikaner glauben jedenfalls, dass er ein Faktor bleiben wird.

Beim Thema Spaltung blicken wir Europäer vor allem auf die Entwicklung der Republikaner. Gehört zum ganzen Bild auch, dass die Demokraten nach links gerückt sind – oder ist das nur Teil der Trump-Rhetorik?

Die Demokraten sind nicht gerade in einem beneidenswerten Zustand. Die Partei ist sehr heterogen. Das zeigte sich auch im großen Feld der Bewerber bei den Vorwahlen. Tatsächlich hat das linkere Parteilager mit Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Alexandria Ocasio-Cortez profilierte Köpfe. Die Zugkraft des auch älteren Herren Bernie Sanders bei Jüngeren ist bemerkenswert. Joe Biden stünde also auch vor der Aufgabe, nicht nur die Gesellschaft, sondern auch seine eigene Partei zu einen.

Wobei konservative Amerikaner Dinge für sozialistisch halten, die in Europa keinen Bürger schrecken können – etwa eine staatliche Krankenversicherung.

Das stimmt. In der jüngsten TV-Debatte nannte der Präsident seinen Herausforderer einen Sozialisten, der das Land zu einem sozialistischen Staat umbauen wolle. Tatsächlich sind eine Reihe von Punkten aus dem demokratischen Programm, von der Krankenversicherung über den Mindestlohn bis zur Klimapolitik, Dinge, die bei uns zur Überzeugung der gesellschaftlichen Mitte und zum politischen Mainstream gehören. Aus der Entstehungsgeschichte der USA erklärt sich dieser tiefe Vorbehalt dagegen, vom Staat etwas vorgeschrieben zu bekommen. Das ist tatsächlich ein großer kultureller Unterschied, den man verstehen muss.

Ist es eigentlich wirklich ausgemacht, dass ein Präsident Biden im Hinblick auf die internationale Zusammenarbeit, also etwa auf UN, Weltgesundheitsorganisation WHO und Pariser Klimaabkommen, tatsächlich einen grundsätzlich anderen Ansatz als Trump wählen wird?

Biden hat ganz klar gemacht, dass er die USA in die WHO zurückführen will. Die Rückkehr zum Klima-Abkommen hat er mehrfach unmissverständlich angekündigt. Auch beim Thema Atomabkommen mit dem Iran will er wieder an den Verhandlungstisch. Er hat klar unterstrichen, dass er die Europäer als Partner sieht. In der Analyse der Weltlage sind sich Trump und Biden nicht unähnlich: Beide sehen mit Sorge die abnehmende weltpolitische Bedeutung der USA und den aufkommenden Rivalen China. Nur ziehen sie andere Schlüsse daraus. Trump sieht die USA vor allem in den internationalen Organisationen unfair behandelt. Deshalb führt er sein Land dort heraus. Ich halte das für kurzsichtig, so gibt er multilaterale Macht freiwillig ab – das freut nur China und Russland. Biden kommt zu dem Schluss, gerade weil die USA alleine nicht mehr genug Einfluss ausüben können, braucht es starke internationale Partnerschaften. Er will die multinationalen Organisationen stärken.

Was heißt das für uns Europäer?

Jedenfalls sollten wir uns nicht zu früh freuen. Biden wird, falls er gewählt wird, die Europäer in die Verantwortung nehmen. Und dann müssen wir liefern. Deutschland etwa muss mehr Geld für die Bundeswehr ausgeben, um das Zwei-Prozent-Ziel der NATO zu erreichen. Aber das wäre auch eine Chance: Mit mehr europäischer Verantwortung und Führung könnten wir ein starkes transatlantisches Bündnis auf Augenhöhe schmieden.

Trump war beim Einsatz des US-Militärs sehr zurückhaltend. Muss man sich da bei Biden auf einen Kurswechsel einstellen?

Die amerikanische Gesellschaft ist seit längerer Zeit kriegsmüde – vor allem wegen der Kriege in Irak und Afghanistan. Auf diese Stimmung würde auch Biden Rücksicht nehmen müssen. Für neue militärische Einsätze hätte er kaum die Unterstützung der Bevölkerung.

Würden sich die Beziehungen zu Russland grundlegend neu gestalten?

Das lässt sich noch nicht absehen. In den vergangenen Jahren gab es schlichtweg keine zwischen den USA und den Europäern abgestimmte Russland-Strategie. Da eröffnen sich auch für Europa neue Möglichkeiten. Hier sollten wir konkrete Vorschläge formulieren.

Eigentlich waren früher die Republikaner die größeren Vorkämpfer des Freihandels. Würde Biden den protektionistischen Kurs Trumps beenden?

Perspektivisch wird sich da sicher etwas ändern, aber nicht sehr schnell. Zumindest befürworten die Demokraten im Wahlkampf keine neuen protektionistischen Maßnahmen. Unter Trump wurden ja Handelssanktionen zu einem zentralen Element der Außenpolitik. Ich glaube, dass dieser Ansatz im Falle eines Biden-Wahlsiegs nicht weiter verfolgt werden wird. Über den Abbau von Zöllen wird es auch mit der EU mittelfristig sicher seriöse Gespräche geben. Aber Biden müsste seine eigene Parteilinke einbinden. Und bei denen ist Freihandel auch nicht beliebt – vor allem mit Blick auf den Schutz amerikanischer Jobs.

Lässt sich das alles zur Aussage verdichten, dass eine Wahl Joe Bidens gut wäre für Deutschland?

Jeder Abbau von Spannungen in den transatlantischen Beziehungen tut Europa, Deutschland und den USA gut.