Drei junge Schauspieler und ein Regiestudent haben im Stuttgarter Schauspiel Nord ein Frühwerk von Tschechow als Textcollage präsentiert. Kurz, aber nicht kurzweilig.

Stuttgart - Die Hosen fallen fließend und umspielen mit glänzenden Stoffen die Beine. Die zwei Frauen und der Mann, die darin stecken, sind ziemlich androgyne Erscheinungen. Im fahlen Licht schreiten sie auf steifen Plateauschuhen umher und lassen Satzteile hin und her hüpfen. Wörter, die wie Tennisbälle mal abprallen, sich mal verfangen und in die Wiederholungsschleife geraten. Wer spricht? Jedenfalls keine eindeutig zugeordnete Figur. So durchlässig wie die Netzstrümpfe und Netzhemden (Kostüme: Josefin Kwon) sind auch die Identitäten der drei jungen Leute. „Wo bleibt Platonow?“ ist eine immer wieder gestellte Frage auf der fast leeren Bühne der Spielstätte Nord.

 

Tja. Er ist immer schon da, aber doch nie greifbar. Platonow ist mal Leon Haller, mal Clara Liepsch, mal Lia von Blarer. Sie sind das Kondensat eines an sich üppigen Figuren-Ensembles, das Anton Tschechow in seinem ausufernden Dramen-Erstling „Platonow“ angelegt hat. Der Regisseur Klemens Hegen, der mit dieser Inszenierung sein Regiestudium an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg abschließt, hat aus dem 1880 entstandenen 7-Stunden-Drama mit 180 Textseiten eine Ein-Stunden-Fassung erstellt. Dabei herrscht selten Hektik auf der Bühne, und das bisschen Dynamik im Geschehen ist vor allem dem vierten Mann, dem Musiker Hannes Buder, geschuldet.

Um Tschechows Antihelden geht es hier nicht mehr

Wo bleibt Platonow? Möglicherweise hätte man den Abend besser anders benannt – „Projekt Platonow“ oder „Diskurs über P.“ vielleicht. Denn um Tschechows Antihelden, um die psychologische Verfasstheit eines Trunkenbolds, auf den die Frauen stehen, der auf seinen Niedergang mit Zynismus und Aperçus reagiert und der sein Außenseitertum hegt und pflegt, um den geht es nicht.

„Was sagt einer Gruppe junger Theaterschaffender das Werk von Tschechow heute?“, diese Frage war laut Programmflyer der Ausgangspunkt der Inszenierung. Nicht sehr viel, lautet die Antwort, wenn man das Ergebnis auf der Bühne sieht. Der Text wird nur noch als Steinbruch verwendet, aus dem kleine Bröckchen gemeißelt werden. Da geht es um die große innere Leere: „Ich sterbe“ – „vor Langeweile“ ist so ein Satz, der in verteilten Rollen hin- und her geht. Geld ist ein Thema, das Changieren zwischen Freundschaft und Liebe auch, und dabei fallen dann so Beziehungsgespräch-Sätze wie „Was bin ich für Dich?“ oder „Platonow, bist Du jetzt beleidigt?“

In allen Steckt ein Stück Platonow

Das Konzept, dass Platonow nicht einer ist, sondern in allen steckt und dass die anderen in ihm immer das suchen, was sie selbst gerade umtreibt, hat man schnell verstanden. Ansonsten passiert nicht so viel, nur laut wird es manchmal: Hannes Buder, der mit Cello oder E-Gitarre in einem vertrockneten Blumenbeet auf nur der von einem Dach beschirmten Bühne sitzt, begleitet die Wortspiele selten aufdringlich, aber immer prägnant. Nur manchmal flippt er aus und setzt den verhaltenen Ausbrüchen der Platonow-WiederkehrerInnen ziemlich was drauf. Tschechow allein reicht nicht, es kommt noch Dirk von Lotzow mit seiner Hymne an den Zweifel dazu. In den Momenten, in denen die Darsteller zu Sängern werden, fallen sie ein bisschen aus der Rolle, und das ist gut. Denn ansonsten ist es ein ziemlich unterkühltes Spiel, das hier zu sehen ist. Ohne die große Bühnenmaschinerie des Staatstheaters, die hier mit aufwendiger Lichtführung (gleich zwei Leute sind dafür zuständig) und Drehbühne zum Einsatz kommt, wäre der kurze Abend noch ein wenig unsinnlicher geworden. Kurzweilig war er ohnehin nicht.

Termine: 12. und 14. bis 18. Juli