Einige Fans der TSG Hoffenheim pfeifen die eigene Mannschaft aus, Trainer Julian Nagelsmann hält darauf eine Grundsatzrede – und der Geschäftsführer Hansi Flick steht vor dem Aus.

Sport: Marco Seliger (sem)

Sinsheim - Am Ende bewegte sich Oliver Baumann doch noch in Richtung der Hoffenheimer Fankurve. Der Torhüter war der letzte Profi auf dem Platz, er schlurfte mehr, als dass er ging. Der Kopf war gesenkt, der Blick traurig und leer. Baumann hatte ein Päckchen zu tragen nach dem 1:1 im badischen Bundesliga-Derby gegen den SC Freiburg, seinen Ex-Club. Baumann wirkte irgendwie gebrochen. Der Keeper also blieb irgendwann auf halber Strecke stehen, zuckte entschuldigend mit den Achseln und klatschte kurz in die Hände. Und dann nahm er zwei Finger in den Mund und symbolisierte das, was einige Anhänger der TSG vorher während des Spiels gemacht hatten – Oliver Baumann pfiff. So wie die Fans gepfiffen hatten. Gegen die eigene Mannschaft.

 

Als den Hoffenheimern in der zweiten Hälfte im Spielaufbau oft nicht mehr einfiel als ein Rückpass auf Oliver Baumann, hatten einige, aber bei weitem nicht alle Fans genug. Die Spieler ließen das nicht auf sich sitzen, sie waren sauer und verweigerten nach dem Schlusspfiff den sonst obligatorischen Gang in die Kurve – was Baumann mit seinen abschließenden Gesten irgendwie zu erklären versuchte.

Es brodelt bei der TSG Hoffenheim nach dem Absturz ins Mittelmaß. Die Geduld der Fans ist am Ende – und die des Trainers auch. Julian Nagelsmann versuchte die Szenerie auf dem Pressepodium nach dem Spiel erst mit einem kleinen Scherz aufzulockern. Er sagte, dass die Fans mit ihren Pfiffen den Schiedsrichter imitieren und Freistöße fürs eigene Team hätten rausholen wollen. Nagelsmann schloss mit einem „Hahaha!“ Dann wurde er ernst. Und grundsätzlich.

Gnabry ist frustriert

„Wir wären gerne besser, aber dennoch waren wir in dieser Saison noch nie schlechter als Neunter“, sagte der Trainer und ergänzte schnippisch: „Wenn man ab Platz neun schon anfängt zu pfeifen, wird es eng.“ Dann schob Nagelsmann einige rhetorische Fragen nach. „Was machen denn die Fans der Mannschaften, die hinter uns stehen? Da muss es ja eine Steigerung geben. Der Zehnte läuft beim ersten Rückpass aufs Feld? Der Elfte nimmt einen Spieler mit nach Hause? Der Zwölfte macht den Mannschaftsbus kaputt?“ Was der Dreizehnte so alles machen könnte, ließ Nagelsmann offen – klar ist dagegen, dass Anspruch und Wirklichkeit bei der TSG derzeit weit auseinander klaffen.

Ein Platz im Tabellenmittelfeld ist nicht mehr genug, und wenn man so will, leiden Nagelsmann und sein Team unter dem Fluch der guten Taten der vergangenen zwei Jahre. Der Durchmarsch vom Tabellenkeller in die Champions-League-Qualifikation hat neue Erwartungshaltungen geschaffen. Nagelsmann selbst propagiert bei allem Ehrgeiz, der ihn stets umtreibt, dass ein Übergangsjahr normal sei nach dem steilen Aufstieg und den Abgängen von Niklas Süle und Sebastian Rudy zum FC Bayern.

Dem Hoffenheimer Spiel ist dabei das Selbstverständnis der vergangenen Saison abhanden gekommen, die Abläufe funktionieren nicht mehr, Fehler schleichen sich ein ins sonst so sichere Aufbauspiel. Und irgendwo zwischen dem Aus in der Champions-League-Qualifikation beim FC Liverpool und den teils desaströsen Auftritten in der Europa League (Aus in der Gruppenphase) ist auch das Selbstvertrauen flöten gegangen. Der Offensivmann Serge Gnabry brauchte am Samstagabend einen Satz, um die Gemengelage bei der TSG zusammenzufassen: „Natürlich ist das für uns Scheiße.“

Nagelsmann ist sauer

So oder so ähnlich fand Julian Nagelsmann übrigens auch den Auftritt der Leihgabe des FC Bayern gegen den SC Freiburg. Der Coach zählte das Top-Talent im kleinen Kreis an. Gnabry tauche zu oft ab während des Spiels, sagte Nagelsmann und ergänzte: „Da muss bei den Ansprüchen, die er hat, mehr kommen als nur drei oder vier Aktionen pro Spiel.“ Dass Gnabry mit besagten Aktionen gefühlt der Einzige war, der gegen Freiburg etwas Kreatives zustande brachte, verschwieg Nagelsmann, der sich stattdessen nochmals gegen die angeblich zu hohe Erwartungshaltung im Allgemeinen wehrte: „Wir haben immer noch viele Lösungen. Aber es gibt einen gegnerischen Trainer und eine gegnerische Mannschaft, die auch in der Bundesliga spielen und etwas drauf haben.“

Es knirscht und knirscht irgendwie überall in Hoffenheim – und das seit Wochen auch schon hinter den Kulissen. Da schwelt der Konflikt um den Sport-Geschäftsführer Hansi Flick, der sich offenbar mit der restlichen Clubführung um Mehrheitseigner Dietmar Hopp überworfen hat. Trotz wiederholter Dementis der Vereinsführung soll der ehemalige DFB-Sportdirektor Medienberichten zufolge seinen Dienstwagen bereits abgegeben haben, die Vertragsauflösung des bis 2022 gültigen Papiers soll unmittelbar bevorstehen.

Im internen Machtkampf zog Flick, der dem Verein eine neue Führungsstruktur verpassen wollte, offenbar den Kürzeren. Weil Flick einiges umkrempeln wollte, sollen sich Mediendirektor Christian Frommert, Manager Alexander Rosen und Geschäftsführer Peter Görlich (50) gegen ihn verbündet haben. Flick hatte erst im Juli des Vorjahres sein Amt bei der TSG übernommen. Sein Abgang würde nun für den nächsten Knall in Hoffenheim sorgen. Von einem ruhigen Arbeitsalltag jedenfalls werden die Strategen im Kraichgau wohl noch länger recht weit entfernt sein.