Aalen hat in Istanbul einen türkischen Kommunalpreis erhalten – als einzige deutsche neben 15 türkischen Städten. Das habe nichts mit Erdogan zu tun, sagt der Alt-OB Ulrich Pfeifle.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Aalen - Ein vornehmes Schiff auf dem Bosporus, auf Deck feiert die Kommunalzeitschrift „Özelkalem“ eine jährliche Preisverleihung. 15 türkische Städte werden ausgezeichnet – und Aalen. Wie die Stadt auf die Preisträgerliste kam, erklärt deren Altoberbürgermeister Ulrich Pfeifle.

 

Herr Pfeifle, eine deutsche Stadt bekommt einen türkischen Preis. Das gehört bestimmt zu Erdogans neuem Schmusekurs, oder?

Mit Sicherheit nicht. Die Anregung, uns für diesen Preis zu bewerben, kam vom Bürgermeister unserer Partnerstadt Antakya beziehungsweise der Metropole Hatay, zu der Antakya heute gehört. Das lief schon vor einem halben Jahr, hat also nichts mit der momentanen politischen Großsituation zu tun. Die Jury der Kommunalzeitschrift „Özelkalem“, eine Art Städtetagsblatt, hat uns dann ausgewählt und neben 15 türkischen Städten ausgezeichnet.

Aalen hat den Preis verdient?

Das denke ich schon. Wir haben in Hatay eine Schule mit Sportanlage für 1250 Schüler gebaut. Vormittags werden die Mädchen, nachmittags die Jungen unterrichtet, so wie das in ihrer syrischen Heimat offenbar üblich ist. Die Lehrer sind ebenfalls überwiegend syrische Flüchtlinge und werden vom türkischen Staat bezahlt.

Wie kam es dazu?

Vor drei Jahren haben wir das 20-Jahr-Jubiläum unserer Städtepartnerschaft gefeiert. Damals waren wir auch beim Gouverneur eingeladen. Er hat uns ausführlich über die Situation der syrischen Flüchtlinge berichtet. Da haben wir auch die Frage der Kinder besprochen. Es sind so viele, dass der türkische Staat nicht alle einschulen kann. Wir haben dann einen Verein gegründet und gleich von dort aus etliche Unternehmer in Aalen angerufen. Da hatten wir schon die ersten 20 000 Euro zusammen. Auch beim Land Baden-Württemberg stießen wir auf große Resonanz. Zu jedem gesammelten Euro gab das Land einen dazu. So kamen die 360 000 Euro zusammen.

Hatay schiebt sich wie ein Zipfel von der Türkei auf syrisches Staatsgebiet. Wie ist die Flüchtlingssituation dort?

Die Region Hatay hat 1,5 Millionen Einwohner. Allein dort wurden 500 000 Syrer aufgenommen, so viele wie in ganz Deutschland. In Antakya gibt es mittlerweile viele syrische Läden, es gibt Praxen syrischer Ärzte. Aber viele leben immer noch direkt an der Grenze, teils in Zelten, teils in Häusern, manche arbeiten als Baumwollpflücker. Mit diesen Menschen habe ich wiederholt gesprochen. Sie haben unsere Aktion unheimlich begrüßt: „Jetzt haben wir wenigstens eine Perspektive für unsere Kinder. Das erleichtert uns das Ausharren. Wir wollen zurück.“ Die türkischen Politiker glauben aber, dass nur die Hälfte wieder zurückgeht, falls es irgendwann zu einem tragbaren Frieden kommt.

Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen?

Das ist sehr auffällig. Bis vor drei Jahren wurde es von den Türken erstaunlich gelassen hingenommen. Da hat man immer von „unseren Brüdern und Schwestern“ gesprochen, die da kommen. Es gab keine solchen Debatten wie bei uns, obwohl die Dimension eine ganz andere ist. Jetzt ist die Stimmung am Kippen. Bei unserem Besuch im vergangenen Jahr hörten wir immer mehr: Es solle aufhören. „Wir haben unsere Grenze erreicht.“ Deswegen hat es ja auch große Sorgen ausgelöst, als jetzt darüber diskutiert wurde, dass Assad in Idlib einmarschieren könnte, das direkt an Antakya angrenzt. Die Grenze wird stark gesichert. Man will verhindern, dass weitere Flüchtlinge kommen. Aber wenn der Krieg dort wieder losgeht, wird dies kaum zu verhindern sein.