Die TV-Kommentatorin Claudia Neumann vom ZDF wird wie schon bei der Fußball-EM 2016 auch nach ihren Einsätzen bei der Fußball-WM 2018 in den Sozialen Medien übel beleidigt. Sie bekommt aber prominente Rückendeckung. An diesem Dienstag steht das nächste Livespiel der 54-Jährigen an.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Stuttgart - Es erinnert alles verdächtig an die Europameisterschaft 2016: Portugal spielt unentschieden, Frankreich wurstelt sich mit einem 2:1-Sieg ins Turnier, Island mischt mit einem Huh das Who’s who des Weltfußballs auf – und Claudia Neumann wird in den sozialen Medien aufs Übelste beleidigt.

 

Die TV-Kommentatorin des ZDF hat wie schon bei der EM vor zwei Jahren, als sie als erste Frau für den deutschen Livekommentar eines Männer-Fußballturniers eingesetzt wurde, einen extrem schweren Stand. Auch nach ihren ersten zwei WM-Auftritten am Samstag (Argentinien gegen Island) und Sonntag (Costa Rica gegen Serbien) sieht sie sich sexistischen Kommentaren auf Facebook und Twitter ausgesetzt. Immer wieder klingt durch, dass eine Frau auf dieser Position bei einem Männerspiel fehl am Platz sei. Ganz pauschal werden auch „unangenehme Stimme“ und „fehlende Fachkompetenz“ angeprangert.

Ein vielfach ausgezeichneter Kollege springt Claudia Neumann nach dem neuerlichen Shitstorm zur Seite. „Das ist unsäglich, weil es mit Sachlichkeit nichts zu tun hat“, sagt Marcel Reif unserer Zeitung. „Wenn einem Leute zuhören, gibt es immer Leute, die es gut oder nicht gut finden, richtig oder nicht richtig. Aber jemanden so in der Art anzugehen, das verbitte ich mir.“ Und dann tut der 68 Jahre alte Gewinner des Grimme-Preises und des Deutschen Fernsehpreises etwas, was er zuvor noch nie getan hat, und äußert sich konkret über die Arbeit eines Kollegen respektive einer Kollegin: „Bei Claudia Neumann fehlt es nicht an Fachkompetenz. Ausrufezeichen. Punkt.“

Das Kommentieren – eine der letzten Männerbastionen

Es wirkt in den sozialen Medien so, als sei der TV-Fußballfan noch nicht im Jahr 2018 angekommen. Wobei die steigende Zahl an Moderatorinnen und Field-Reporterinnen ja durchaus goutiert wird. Das Kommentieren ist jedoch etwas anderes, es scheint so etwas wie eine heilige Kuh zu sein – eine der letzten Männerbastionen. Und Claudia Neumann ist eben in sie eingedrungen.

Das ZDF gibt ihr via Twitter Rückendeckung: „Claudia Neumann ist schon seit Jahren im Livefußball zu Hause und bringt neben ihrer Fachkompetenz ein erhebliches Maß an Erfahrung mit. Es gibt keinen Grund, ihre Befähigung infrage zu stellen.“ An diesem Dienstag (14 Uhr/ZDF) wird die 54-Jährige, die sich auf Nachfrage selbst nicht äußern wollte, das Spiel von Kolumbien gegen Japan kommentieren.

Das Neue, Ungewohnte wird abgelehnt und verdammt

Man kann das gut oder schlecht finden, wenn jemand sagt: „Messi – der hat das Dribbeln einst in der Telefonzelle gelernt.“ Geschmacksache. Man kann Claudia Neumann ankreiden, Situationen falsch eingeschätzt zu haben. Doch es lässt sich ganz sicher nicht behaupten, dass sie zu wenig Ahnung von Fußball hat. Und sie als Frau in ihrer Rolle abzulehnen wäre so fortschrittlich, wie nach dem deutschen Abwehrdebakel zum WM-Auftakt gegen Mexiko die Rückkehr zum Libero zu fordern.

Ist bei Claudia Neumann vielmehr ein Phänomen zu beobachten, das auch aus anderen Lebensbereichen bekannt ist: Das Neue, Ungewohnte wird abgelehnt und verdammt? Ist die Stimme einfach unangenehm, weil es eine Frauenstimme ist, die ja sonst an dieser Stelle nicht zu hören ist? Marcel Reif, der sich 2016 aus dem Tagesgeschäft verabschiedet hat und nächste Saison neun Champions-League-Spiele für den Schweizer Pay-TV-Sender Teleclub kommentieren wird, kann nur den Kopf schütteln: „Wir leben doch im Jahr 2018. Das Argument, weil sie eine Frau ist, da macht man es sich zu leicht, da diskutiere ich nicht mit.“ Ausrufezeichen. Punkt.