Auch wenn die dramatischen Bilder derzeit fehlen: Die Lage von Migranten an Europas Südgrenze hat sich nicht verbessert. Die TV-Gäste von Frank Plasberg haben darauf unterschiedliche Antworten – zwischen Realpolitik und moralischem Rigorismus.

Stuttgart - Keine ertrinkenden Flüchtlinge, keine brennenden Lager. An Europas Südgrenze herrscht gerade Ruhe. Wirklich? Es ist eine trügerische Ruhe, wie alle wissen, die genauer hinschauen. Eine Art Lagebericht hat am Montagabend Isabel Schayani bei Frank Plasbergs „Hart aber fair“ geliefert. Die WDR-Journalistin hat sich in Europas größtem Grenzaufnahmelager auf der Insel Lesbos umgesehen, wo nach dem großen Brand derzeit nur noch 5500 Flüchtlinge leben – statt 20 000 im vergangenen Sommer. Moria 2.0 wird es auch genannt, doch neu scheint daran wenig zu sein: „Zelte, Enge Dreck, 25 Prozent Kinder“, schildert Schayani die Situation.

 

Alle wollen weg in eines der 32 Lager auf dem Festland. Doch dort fangen die Probleme erst an, berichtet die Journalistin. Denn Griechenland will die Flüchtlinge nicht, ist froh, wenn sie weiter ziehen nach Deutschland. „Das ist so gewollt, die Balkanländer machen es genauso“, sagt der Grünen-Außenpolitiker Cem Özdemir – und sodann entspinnt sich eine Diskussion mit Argumenten, die seit der großen Flüchtlingswelle 2015 wohl schon Tausende Male ausgetauscht worden sind. Die einen beschreiben die himmelschreiende Not und fordern die EU auf, endlich etwas zu tun – die anderen pochen auf geltendes Recht und bedauern die Uneinigkeit Europas. Fundis gegen Realos, wenn man so will.

„Ein riesiges Massengrab“

Für Petra Bosse-Huber zum Beispiel, die Auslandsbischöfin der Evangelischen Kirche Deutschland, ist die Lage an der Flüchtlingsfront ein einziger Skandal. „Seit 2014 sind 20 000 Menschen im Mittelmeer ertrunken, das ist ein riesiges Massengrab“, sagt die Theologin und macht für die Fluchtursachen auch Europa verantwortlich: Der Bürgerkrieg in Syrien sei auch mit EU-Geldern finanziert. Sie bleibt auch dann bei ihrem moralischen Rigorismus, als Plasberg sie fragt, ob es denn Aufgabe der Kirche sei, sich an der Seenotrettung zu beteiligen, wenn man nicht alle Geretteten aufnehmen kann – das Projekt United4Rescue wird von der Evangelischen Kirche mit finanziert. Die zivile Seenotrettung, so kontert die Bischöfin, sei ja nur deshalb nötig, weil es keine staatliche mehr gebe.

Auf der anderen Seite steht Nikolaus Blome, der Politikchef von RTL Deutschland. Immer wieder entspinnt sich ein Schlagabtausch zwischen ihm und der Bischöfin – und Plasberg lässt diesen erfreulicherweise laufen. „Wenn Sie in Europa keine Mehrheit dafür finden, Wirtschaftsflüchtlinge aufzunehmen, haben diese Menschen hier keine Chance“, sagt Blome. Man müsse den Hebel bei den Schleppern ansetzen, außerdem würde er dem türkischen Präsidenten Erdogan den Geldhahn im Rahmen des Flüchtlingsdeals zudrehen. Sein Land muss abgelehnte Asylbewerber eigentlich zurücknehmen, „aber er macht nicht mehr, was er unterschrieben hat“, konstatiert Blome.

Özdemir: 40 000 aufnehmen

Manfred Weber, der Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament, brandmarkt einerseits „die große offene Wunde dieses Kontinents“, stellt aber auch Fortschritte heraus – zum Beispiel auf Lesbos. „Die Fälle werden abgearbeitet, es gibt auch Punkte, bei denen wir vorankommen“, sagt er. Webers zentrales Argument aber lautet: „Sie werden die Unterstützung in Europa nicht gewinnen, wenn Sie nicht zeigen, dass geltendes Recht umgesetzt wird.“ Soll heißen: Niemand darf wild über die Grenze. Hier sei auch Härte notwendig. Europa dürfe sich nicht erpressen lassen – auch nicht von Bildern wie kürzlich von der spanischen Exklave Ceuta, wo die Polizei auf Flüchtlinge eingeprügelt hat.

Özdemir schlägt vor, den Erstaufnahmeländern wie Italien oder Griechenland stärker zu helfen und deutlich mehr Flüchtlinge in Deutschland zu beheimaten: „Warum nehmen wir nicht 40 000 statt 2500 auf?“ Auch bei der Entwicklungshilfe würde er ansetzen, der Grüne fordert einen Marshallpan für Afrika, außerdem mehr legale Zuwanderungsmöglichkeiten nach Deutschland. So oder ähnlich hat man das alles schon einmal gehört. Also eine überflüssige Diskussion? Keineswegs, denn sie zeigt immer wieder, dass es auf die Flüchtlingsfrage keine einfachen Antworten gibt.