Sherry Hormanns Drama „Nur eine Frau“ liefert die erschütternde Chronik eines angekündigten Todes. Almila Bagriacik spielt das Opfer eines Ehrenmordes.

Stuttgart - Aus dem Off spricht eine Tote. „Ich war ein Ehrenmord“, erzählt die junge Frau, der erste, „der richtig viel Presse bekam.“ Im Februar 2005 war das, und das Land war erschüttert und schockiert: Ein Teenager hatte seine Schwester auf offener Straße erschossen. Die Eltern der Geschwister waren einst aus Ostanatolien als sogenannte Gastarbeiter nach Deutschland kommen.

 

Die Familie ist streng religiös, die Mädchen tragen selbstverständlich Kopftuch. Aynur, die älteste, muss das Gymnasium abbrechen und in der Türkei einen Cousin heiraten. Nach einem Jahr kehrt sie hochschwanger nach Berlin zurück, ihr Mann hat sie regelmäßig geschlagen – „Ehe ist die Hölle“. Verständnis zeigt jedoch nur ihr älterer Bruder, ein anderer sagt: „Er schlägt sie, weil er sie liebt.“

Spätestens jetzt wird offenkundig, dass die Traditionen dieser Familie mit hiesigen Maßstäben nicht zu erfassen sind. Da der Film im Prolog die authentischen Aufnahmen von Aynurs Leichnam gezeigt hat, ist von Anfang an klar: „Nur eine Frau“ erzählt die Chronik eines angekündigten Todes. Die ARD geht mit diesem erschütternden Drama ein bewusstes Risiko ein: All jene, die der Meinung sind, der Islam gehöre nicht zu Deutschland, werden sich durch Aynurs Geschichte bestätigt fühlen. Tatsächlich wirken diese in uralten und entsprechend realitätsfern anmutenden Traditionen verhafteten Menschen, als seien sie nicht von dieser – westlichen – Welt.

Unter dem Einfluss des Imams

Dass Aynur ihren Mann verlassen hat, ist schon Schande genug. Ihr Todesurteil aber unterschreibt sie, als sie mit Hilfe des Jugendamts auszieht, das Kopftuch ablegt, die Schule beendet, eine Ausbildung beginnt und sich in einen Deutschen (Jakob Matschenz) verliebt. Fortan wird sie von ihren Brüdern am Telefon aufs Unflätigste beschimpft. Tarik (Aram Arami) ohrfeigt sie gar in der Öffentlichkeit. Unter dem Einfluss eines Imams, der keinen Zweifel daran lässt, welche Strafe Aynur in einem islamischen Land zu erwarten hätte, wird ihr jüngerer Bruder Nuri (Rauand Taleb) schließlich zum Äußersten getrieben.

Bei aller Tristesse der Handlung wollten Florian Oeller (Buch) und Sherry Hormann (Regie) sichtlich vermeiden, dass „Nur eine Frau“ ein deprimierendes Drama wird. Neben einer treffenden Musikauswahl sorgen kurze Standbildsequenzen für optische Auflockerung: Viele Begegnungen oder Gespräche Aynurs werden im Stil eines Fotoromans zusammengefasst. Aufnahmen der echten Aynur erinnern zwischendurch daran, dass die Handlung auf Tatsachen basiert. Außerdem macht der Film durchaus Mut, denn eigentlich erzählt er eine wunderbare Integrationsgeschichte.

Almila Bagriacik glänzt in der Hauptrolle

Oellers Krimis sind ohnehin stets sehenswert, für Hormanns Werke („Wüstenblume“) gilt das nicht minder. Einen ganz wesentlichen Anteil an der Qualität des Films hat außerdem Almila Bagriacik. Die türkischstämmige, in Berlin aufgewachsene Schauspielerin hat schon einige Male bewiesen, dass sie viel zu gut ist, um im „Tatort“ die junge Stichwortgeberin des Kieler Kommissars Borowski zu spielen; zuletzt zum Beispiel als Dealerin in „Der gute Bulle: Friss oder stirb“ und in der Serie „4 Blocks“.

Ihre bislang wichtigste Rolle war die der Opfertochter im dritten Teil der „NSU“-Trilogie „Mitten in Deutschland“; für ihr intensives Spiel wurde sie mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet. Sie verkörpert Aynur, deren Leben mit 23 Jahren endete, als couragierte junge Frau, die den Traditionen trotzt. Vermutlich würde sie heute noch leben, wenn sie dem Rat einer Freundin gefolgt und aus Berlin weggezogen wäre.

Die Besetzung der Titelrolle mit Bagriacik war auch deshalb eine vortreffliche Wahl, weil sie sich als ausgezeichnete Erzählerin entpuppt. Meist sind Off-Kommentare, in denen Hauptfiguren ihre eigenen Erlebnisse kommentieren, überflüssig. Mitunter stoßen Schauspieler dabei auch an ihre Grenzen, die Texte klingen dann aufgesagt. Davon kann hier keine Rede sein, im Gegenteil. Außerdem sind die Informationen wichtige Ergänzungen, ohne die die Handlung nicht immer verständlich wäre.

Liste der Verfehlungen

Abgesehen davon, ist das besser, als die Figuren Erklärdialoge austauschen zu lassen. Schließlich macht Oeller aus der Not eine Tugend und gibt der Handlung so eine Struktur: Aynur zitiert eine BKA-Liste mit diversen vermeintlichen Verfehlungen, die einen Ehrenmord nach sich ziehen können. Sie arbeitet diese Liste gewissermaßen von oben nach unten ab.

„Nur eine Frau“ ist weit davon entfernt, die Familie in Schutz zu nehmen oder Verständnis für die Tat zu wecken, zumal deren Mitglieder überwiegend unsympathisch gezeichnet sind. Aber vor dem Hintergrund ihrer vormodernen Denkweise ist die bittere Tat im Grunde nur konsequent. Dank eines geschickten Drehs gelingt es Oeller, den von Sandra Maischberger produzierten Film mit einem positiven Gefühl enden zu lassen.

Ausstrahlung: ARD, Mittwoch, 29. Januar 2020, 20.15 Uhr