Er war verhasst und gefürchtet, wurde verehrt und gepriesen: Arte widmet dem Regisseur Henri-Georges Clouzot einen Abend und zeigt den Thriller „Lohn der Angst“.

Stuttgart - Rumms: Lebensgefahr. Holper: Todesnähe. Jeden Moment kann alles mit Karacho in die Luft fliegen. Vier Ausländer ohne Papiere oder mit falschen Papieren, ohne Geld und mit miserablen sonstigen Aussichten sind in Henri-Georges Clouzots Filmklassiker „Lohn der Angst“ in einem südamerikanischen Land als Himmelfahrtskommando unterwegs. Mit zwei Lastwagen sollen sie auf Wegen, auf denen Esel bocken würden, hochexplosives, erschütterungsempfindliches Nitroglyzerin unter Zeitdruck zu einem weit entfernten Einsatzort bringen.

 

Dabei hatte es der Auftraggeber im Film leichter, Selbstmordfahrer zu finden, als der Regisseur Clouzot, alle Rollen der Fahrer besetzt zu bekommen. Eigentlich hatte er immer an Frankreichs Kinostar Jean Gabin gedacht. Doch der hatte keine Lust, einen unsympathischen, gewalttätigen Kleintyrannengangster in der finalen Bankrottphase zu spielen, und er wollte schon gar nicht jenen ganz unheroischen, jämmerlichen Tod vor der Kamera erleiden, den das Drehbuch für ihn vorgesehen hatte.

Psychofolter als Regiewerkzeug

Man mag das rückblickend für einen schweren Fehler halten, schließlich ist der zweieinviertelstündige „Lohn der Angst“, den Arte am Sonntagabend zeigt, einer der großen Nervenfetzer der Filmgeschichte geworden. Er steht auf einer Stufe mit Alfred Hitchcocks besten Werken. Und Charles Vanel, der Jean Gabins Part übernahm, lieferte die größte Leistung einer langen Karriere.

Andererseits hat Gabin vielleicht ein wenig geflunkert und die Sorge, sein Image könne Schaden nehmen, nur vorgeschoben. Clouzot galt nämlich nicht nur als Genie des Kinos, sondern als Monster, als Choleriker, Egomane und Leuteschinder, für den – und das war kein substanzloser Studiotratsch – körperliche Misshandlung und ausgeklügelte Psychofolter zum Handwerkszeug des guten Regisseurs gehörten. Aus glücklichen Schauspielern seien keine ergreifenden Leistungen herauszuholen, so seine Überzeugung, und zu viel Harmonie beim Dreh schlage leider als Mangel an Pepp auf den fertigen Film durch.

Als die Nazis kamen

Seine Schauspieler schockte Clouzot schon damit, dass er den Film nicht, wie damals üblich, im Studio drehen ließ, sondern auf strapaziöseren Außenaufnahmen in der Camargue bestand, wo das Team in einen vierzigtägigen Dauerregen geriet und Menschen, Kameras und Kulissen im Schlamm versanken. Ein wenig darüber erfährt man in Pierre-Henri Giberts Dokumentarfilm „Clouzot – Meister des psychologischen Thrillers“, der im Anschluss an „Lohn der Angst läuft. Der muss aber auch noch viele andere spannende Elemente von und Anekdoten um Person und Werk Clouzots wenigstens kurz zur Sprache bringen.

Clouzot hatte das Filmemachen in den 30er Jahren in Berlin gelernt, wo er Drehbücher für die Exportfassung deutscher Produktionen ins Französische übersetzte. Seine große Chance, selbst Regisseur zu werden, kam, nachdem er sich von einer vierjährigen Episode schwerer Bettlägerigkeit erholt hatte: Die Nazis eroberten Frankreich, brachten die dortige Filmindustrie unter ihre Kontrolle und suchten neue einheimische Zuarbeiter.

Durch den Schredder

Clouzot griff zu, was ihm nicht nur jede Mengen Anfeindungen einbrachte, sondern nach dem Krieg auch ein zum Glück dann zurückgenommenes Verbot, jede wieder im Filmgeschäft tätig zu werden. Der Vorwurf, er sei ein Kollaborateur gewesen, wirkt heute absurd. Seine Filme, vor allem „Der Rabe“, sind subversiv, manchmal offen provokant ,und brachten ihm den Unwillen der Besatzer ein. Dass viele Anfeindungen von missgünstigen Kollegen kamen, trug zu Clouzots Menschenbild bei, das sich unter anderem in „Die Teuflischen“ (1955) und „Spione am Werk“ (1956) niederschlug.

Das wichtigste Werk des 1977 Verstorbenen aber bleibt „Lohn der Angst“, in dem ein Häufchen Gestrandeter, das perspektivlos in einem südamerikanischen Provinzkaff herumhockt. Eine Stunde lang zeigt Clouzot in einer Exposition, die alle Exotikkulissen- und Abenteurerklischees durch den Schredder jagt, kaputte Charaktere in quälenden Verhältnissen. Und dann inszeniert er 84 Minuten lang einen Schrecken der Fahrt nach dem anderen, einen Terror, der die Figuren vollends gegeneinander aufhetzt und doch jede einzelne zerreibt.

Ausstrahlung: Arte, Sonntag, 20. Oktober 2019, 20.15 Uhr. Die Clouzot-Doku folgt im Anschluss um 22.40 Uhr.