Es war ein Kampf um die Macht im Staat: Der spannende Doku-Zweiteiler „Corleone“ auf Arte schildert die Versuche der italienischen Justiz in den Achtzigern, Mafia-Bosse vor Gericht zu bekommen. Vor allem Toto Riina, der Boss der Bosse, wähnte sich unantastbar – und mordeten nach Belieben.

Palermo - Es war der größte Prozess der italienischen Justizgeschichte – und bis dato der unwahrscheinlichste: Ab 1986 wurde in Palermo eine Verhandlung mit 475 Angeklagten auf einmal geführt. Für das Verfahren war eigens ein neuer Gerichtssaal gebaut worden, und das nicht nur, um die Massen an Beschuldigten und Verteidigern unterzubringen. Der Saal wurde direkt ans Gefängnis gebaut, um die Angeklagten nicht ständig durch die Stadt fahren zu müssen.

 

Vor Gericht standen nicht nur viele kleine Mafiosi, sondern erstmals die Führungsriege der Cosa Nostra, auch noch beinahe komplett. Diese Riege aber kontrollierte nach Meinung vieler Palermo, ja, ganz Sizilien und in der pessimistischen Sicht sogar halb Italien nach Belieben.

Aber der Boss der Bosse war der Justiz davongeschlüpft: Salvatore „Toto“ Riina kommandierte weiter aus seinem Versteck heraus seine mittlerweile dem Staat gegenüber komplett respektlose Killertruppe. Die Justiz konnte das Risiko von langen Stadtfahrten schlicht nicht eingehen.

Hinter dem Gerede von Ehre

So dicht, so informiert, so authentisch wie in dem zweiteiligen Dokumentarfilm „Corleone“ konnte von der Mafia lange Zeit nicht erzählt werden. Aber nun sitzen die Insider und Mörder von einst – maskiert – vor der Kamera und berichten detailliert von ihrer Organisation, die sich als Staat im Staat verstand und Furcht und Schrecken verbreitete.

Diese Bereitschaft, auszupacken, sich also auch von den eigenen Mythen zu befreien, sich und der Welt die Schäbigkeit, Brutalität und Niedertracht hinter dem Gerede von den „Ehrenmännern“ einzugestehen, hat in Italien ihren breiten Anfang mit dem Prozess von 1986 genommen. Damals taten die Ermittler einen mit den Strukturen bestens vertrauten Kronzeugen auf. Sie folgten den Befehlsketten und Geldströmen, und am Ende war so erdrückendes Beweismaterial beisammen, dass auch eine mafiatypische Drohung gegen den Richter gegen ende des Prozesses nichts mehr half.

Den Staat in die Knie zwingen

Giuseppe Ayala, damals einer der Staatsanwälte, kennt den alten Ehrenkodex der Mafia. Er erklärt ihn in „Corleone“ und verwirft ihn im gleichen Atemzug. Nie hätten die sogenannten Respektspersonen sich an ihre eigenen Regeln gehalten. Mit dem Aufstieg von Toto Riina zum Boss der Bosse aber brutalisierte sich die Mafia immer weiter. Nicht nur intern wurde rücksichtsloser gemordet denn je. Riina wollte auch den Staat in die Knie zwingen: Anders als frühere Capos ließ er auch Polizisten, Richter und Politiker hinrichten, so drastisch und offen und sichtbar wie möglich. Auch die beiden Ermittlungsrichter, deren furchtlose Arbeit den Palermo-Prozess erst möglich machte, Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, ließ Riina in die Luft sprengen.

Der französische Dokumentarist Mosco Levi Boucault macht in „Corleone“ klar, dass es da um die Zukunft eines Staates ging. Riina wollte Willen und Möglichkeiten der Justiz, gegen die Mafia zu agieren, ein für alle mal brechen. Er hatte viele Helfershelfer im System – und es gab nur wenige, die sich im Süden offen gegen ihn stellten. „Corleone“ ist kein makaber unterhaltsames True-Crime-Stück, es ist ein staatsbürgerlicher Grundkurs über Macht und Methoden des organisierten Verbrechens.

Ausstrahlung: Arte, 27. August 2019, ab 21.45 beide Teile hintereinander; bis 26. Oktober 2019 in der Mediathek des Senders abrufbar.