Der US-amerikanische Architekt Frank Lloyd Wright hat weltberühmte Bauten hinterlassen. Mindestens genauso aufsehenerregend wie seine Architektur war sein Leben, wie eine Arte-Doku von Sigrid Faltin an diesem Sonntagabend zeigt. Sein Vermächtnis ist aktueller denn je.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Er werde der „größte Architekt des 20. Jahrhunderts“ sein – dieses Zitat ist Frank Lloyd Wright oft genug in den Mund gelegt worden. Darauf in einem Fernsehinterview angesprochen, antwortete der damals 88-Jährige verschlagen schlau: Gesagt habe er das nie, „aber gedacht“.

 

Manche der Häuser, die der 1867 in Wisconsin geborene Sohn eines Pfarrers und Anwalts schuf, wurden zu Ikonen: seine Spirale des Solomon R. Guggenheim Museum in New York; Fallingwater, das Wohnhaus für einen Warenhausbesitzer aus Pittsburgh, das er 1935 nicht an, sondern über einem Wasserfall baute.

T. C. Boyle wohnt in einem Wright-Haus

Als Wright 1959 mit 91 Jahren starb, hatte er in siebzig Jahren über tausend Gebäude entworfen, von denen mehr als 500 verwirklicht wurden. Acht dieser Bauten wurden 2019 zum Unesco-Weltkulturerbe geadelt. Mindestens genauso aufsehenerregend wie die Architektur war auch das Leben des amerikanischen Baumeisters, prall gefüllt mit Dramen und Skandalen. Hausbrände, Scheidungen, Insolvenzen, Verhaftungen, gesellschaftliche Ächtung, Mord – seine zweite Ehefrau und deren Kinder wurden von einem psychisch kranken Angestellten getötet: Aus all diesen Katastrophen ging Wright wie ein „Phoenix aus der Asche“ hervor. Dies ist denn auch der Untertitel der TV-Doku, mit dem die Filmemacherin Sigrid Faltin den Jahrhundertarchitekten porträtiert (Arte, 22. November, 22.30 Uhr).

Der US-Schriftsteller T. C. Boyle gehört zu jenen, die das Privileg genießen, heute in einem der Häuser Wrights zu leben – ein Haus wie ein Baumhaus, durch das die Natur hindurchfließe, beschreibt Boyle das 1909 erbaute George C. Stewart House im kalifornischen Montecito. Mit der Natur zu bauen, nicht gegen sie, ein Gebäude harmonisch aus seiner Umgebung herauswachsen zu lassen: Mit den Prinzipien seiner organischen Architektur war Frank Lloyd Wright seiner Zeit weit voraus; heutzutage ist sein Vermächtnis aktueller denn je.

Streit stimulierte seine Kreativität

Architektonisch genial, menschlich schwierig: In ihrer Filmbiografie wendet sich Sigrid Faltin vor allem der charismatischen Persönlichkeit Wrights zu, skizziert die Architektur nur in groben Zügen. Neben Boyle, der ja einen Roman über Wrights Frauen zu seinem Opus zählt, kommen ein Enkel, Schüler sowie Experten zu Wort; der Maestro selbst ist mit O-Tönen aus seiner Autobiografie sowie zum Teil bislang unveröffentlichten Filmausschnitten präsent.

Die Autorin lässt Linien und Geometrien über Schwarz-Weiß-Fotografien ranken. Markante, zum Teil dramatische Lebenssituationen stellt sie in altertümlicher Comic-Manier dar, etwa die doppelte Ehebruch-Episode, in welcher der verheiratete Wright 1909 mit seiner neuen Lebensgefährtin Martha „Mamah“ Borthwick Cheney, der Frau eines Auftraggebers, nach Europa reist, um den US-Schlagzeilen zu entgehen. Auf diese Weise erzählt sie auch davon, wie Wright über seine drei größten Konkurrenten dachte: „Corbusier!“, „Gropius!“, „Mies!“, rief er angeblich aus, wenn er nach lästigen Fliegen klatschte.

Boyle sagt in der 53-minütigen SWR-Produktion, Wright habe öffentliche Skandale gebraucht, um auf die Welt herabzusehen; im Mittelpunkt von Streit zu stehen „stimulierte seine Kreativität“. Zu Wrights größtem kreativem Triumph verhalf ihm Hilla von Rebay, die deutsche Direktorin der Sammlung von Solomon Guggenheim. In einem Brief bat sie ihn, ein Museum, ja, „einen Tempel des Geistes“ zu entwerfen, sie brauche dafür „einen Kämpfer, einen Freund des Raums“. 1943 erhielt Frank Lloyd Wright den Auftrag, da war er 76 Jahre alt. Er konnte alle Skandale und Sorgen hinter sich lassen und wurde spätestens da weltberühmt.

Arte, Sonntag, 22. November, um 22.30 Uhr