Die ZDF-Doku „Wir im Krieg“ zeigt farbige Amateurfilme aus dem Dritten Reich. Die entlarven ein Bürgertum, das mit dem Regime glücklich ist. Auch Aufnahmen aus Stuttgart sind dabei.

In deutschen Städten wehen Nazifahnen, jauchzen blondbezopfte Mädchen, knallen Stiefel, freuen sich die unterschiedlichsten Buben und Männer, vom zahnlückigen Pimpf über den drahtigen Sportler bis hin zum bewampten Senior, wenn sie irgendeine der Uniformen der vielen NS-Organisationen tragen dürfen: Stuttgart - Jubel, Trubel, Hakenkreuze.

 

Die Bilder, die wir in der dreiviertelstündigen ZDF-Doku „Wir im Krieg“ sehen, erzählen zunächst nicht von Zwang und Gängelung, Angst und Schrecken, gar von Terror und Mord. Sie halten Glück, Optimismus, Zustimmung fest, ein einziges Aufschwungsglück. Und sie sind viel authentischer als die Propagandawerke des Regimes, Familiendokumente nämlich, wie schon der Untertitel verrät: „Privatfilme aus der NS-Zeit“.

Was der Historiker und Journalist Jörg Müllner mittels kleiner Häppchen aus Experten-Interviews zu einer Befindlichkeitsstudie Nazideutschlands zusammenfügt, weist noch eine andere Besonderheit auf. Diese Dokumente sind, anders als die meisten Amateuraufnahmen von einst, nicht in Schwarzweiß gedreht, sondern in Farbe. Das reißt eine Barriere zwischen dem Blick von heute und der Welt von damals nieder, das verkürzt die Distanzen, das schließt die Bilder von Sportfesten und Familienfeiern, vom Schaulustigenauflauf um Panzer und vom Fähnchenschwenken für den Führer sehr effektiv mit Bildern heutiger geselliger Freizeit kurz.

Perspektive der Gewinner

Der Farbfilm war Ende der dreißiger Jahre kein Massenspaß, er war ein sündhaft teures Vergnügen für Wohlstandsprotze und Filmbesessene. Zehn Minuten Heimfilm in Farbe kosteten 250 Reichsmark: Ein Fabrikarbeiter, so rückt der Filmhistoriker Tobias Ebbrecht-Hartmann hier zurecht, brachte im Monat 150 Reichsmark heim. Es ist also eine ganz besondere Perspektive, die wir geboten bekommen, eine der gut Versorgten, im Zweifelsfall sogar: die von Aufsteigern, denen die auf einen Raubkrieg ausgerichteten Wirtschaftsprogramme der Nazis materiellen Zuwachs und weiteren gesellschaftlichen Aufstieg brachten. Diese Gewinnler waren gar nicht wenige, und ihre Filme zeigen eben auch, dass sich die Umwandlung des Landes für viele ganz prima anfühlte: Man war wieder wer.

Müllner, der Gründer der Produktionsfirma History Media, die oft Themen rund ums Dritte Reich bearbeitet, bleibt aber nicht bei der Vorkriegsseligkeit stehen. Er will aus dem privaten Blickwinkel heraus auch die wahre Fratze des Systems, das Leid der Opfer, den Holocaust und den Bombenkrieg zeigen. Die Nazis in mehreren deutschen Städten haben stolz die ersten Deportationen der jüdischen Bevölkerung filmen lassen. In „Wir im Krieg“ sind auch Bilder aus Stuttgart zu sehen, von der Abreise in den Tod vom Killesberg aus, dazu infame Propaganda, die einmal in die vom Stuttgarter Oberbürgermeister Karl Strölin beauftragte „Kriegschronik“ hätte einfließen sollen. Gestellte Aufnahmen zeigen Lebensmittelüberfluss in einer der in Wahrheit karg ausgestatteten Versorgungsstellen für Stuttgarts Juden, die in normalen Lebensmittelläden nicht mehr einkaufen durften.

Zeugen der Deportationen

In Filmszenen aus Lahr ist festgehalten, wie deutsche Mitbürger vom Bürgersteig aus zusehen, wie deportierte Juden auf der Fahrstraße ihre Koffer schleppen: ein starkes Bild dafür, dass die Ausgrenzung jedem präsent sein musste, auch wenn sich viele ein Tötungslager da noch nicht vorstellen konnten. Nicht alles sind klassische Privataufnahmen. Aber das Regime bediente sich an der Heimatfront der Mitarbeit von Amateurfilmern, weil die Profis an vielen anderen Lügenprojekten arbeiten mussten.

Eine gewisse Oberflächlichkeit kann man Müllners Kommentaren zwar nicht absprechen: „Kaum zu glauben, dass bald schon Krieg ist“ fällt ihm etwa zu Friedensaufnahmen von Breslau ein. Trotzdem ist „Wir im Krieg“ sehenswert – schon weil die Unmittelbarkeit der bunten Bilder die falsche Gewissheit erschüttert, das alles gehöre in eine andere Zeit und sei heute ganz unvorstellbar.

Ausstrahlung: ZDF, 6. August 2019, 20.15 Uhr