Der deutsche U-21-Nationaltrainer Horst Hrubesch spricht im StZ-Interview über den Traum von Olympia in Rio – und die Parallelen seiner aktuellen Mannschaft zur Generation Özil, Neuer und Co.

Frankfurt – - Für die deutsche U-21-Nationalmannschaft beginnt ein bedeutsames Jahr: Höhepunkt ist die erstmalige Teilnahme am Olympischen Fußballturnier seit 1988. Der Trainer Horst Hrubesch hat seinen Kader in Neu-Isenburg für zwei EM-Qualifikationsspiele zusammengezogen. Die DFB-Elf spielt an diesem Donnerstag gegen die Färöer Inseln (20 Uhr/Eurosport), am Dienstag folgt in Rostow die Partie gegen Russland.
Die Auslosung der Gruppen für die olympischen Fußballturniere findet am 14. April im legendären Maracanã-Stadion statt. Fliegen Sie dann nach Rio de Janeiro?
Wir werden mit einer Delegation bei der Auslosung dabei sein. Anschließend wollen wir eine Rundreise machen, um die zugelosten Spielorte anzufliegen und einen Eindruck zu gewinnen. Es kann ja sein, dass wir nach Manaus müssen.
Sie haben den Spielplan gut studiert: Als Gruppenkopf B1 würden Sie zweimal in Manaus, dann einmal in Salvador antreten. Von Rio würden Sie bis zum Finale rein gar nichts mitbekommen. Allein deshalb muss es doch bis ins Endspiel gehen, oder?
Früher hat man bei Olympia immer gesagt: „Dabei sein ist alles“. Wir wollen aber nicht unter diesem Motto nach Brasilien fahren, sondern bis zum Schluss dabei sein und eine Medaille holen. Ob wir das schaffen, steht auf einem anderen Blatt.
Ist diese Verteilung quer übers ganze Land bis ins Amazonas-Gebiet im Sinn von Olympischen Spielen?
Auf der einen Seite finden die Spiele ja im ganzen Land statt, deswegen kann ich es nachvollziehen, andere Städte einzubinden. Andererseits würde ich natürlich lieber alle Fußballspiele in Rio bestreiten, um der Mannschaft die Reisen zu ersparen und auch viel von den anderen Sportarten zu sehen. Aber so, wie das Los es entscheidet, wird es unser Olympia, und darauf werden wir uns freuen.
Ein beschauliches Campo Bahia haben Sie auch nicht, sondern Ihnen werden vielleicht lärmende Stadthotels zugeteilt.
Wir haben früher auch schon mal in Dreibettzimmern gelegen, das kann auch etwas Besonderes sein. Wir müssen das so nehmen, wie es kommt. Man hat als Fußballer nur eine Chance, den olympischen Gedanken mitzuerleben. Und jeder, der dabei war, erzählt heute noch begeistert, wie einmalig das ist.
1988 fuhr zuletzt eine deutsche Männer-Mannschaft zu Olympischen Spielen. Nehmen Sie einen der Zeitzeugen wie Frank Mill hinzu, um ihre Jungs zu motivieren?
Frank Mill hat mit mir ja noch in Essen zusammengespielt. Als der zurückkam, hat er von den Erlebnissen in den höchsten Tönen geschwärmt. Damals hatten sie in Seoul Glück, dass sie in unmittelbarer Nähe der Spiele wohnten und viele Kontakte knüpfen konnten. Wenn ich meine Jungs jetzt frage: Die kennen die Geschichte schon und wollen alle nach Rio.
Der eine oder andere Bundesligaverein wird aber Bedenken vorbringen.
Die grundsätzlichen Gespräche sind mit der Bundesliga geführt. Wir warten jetzt erstmal die Auslosung ab – und wollen dann konkret auf einen Nenner kommen. Klar ist: Ich möchte mit der bestmöglichsten Mannschaft antreten.
Als Argument könnten Sie ja anführen: Seht mal, was aus den U-21-Nationalspielern geworden ist, die ich 2009 in Schweden zum EM-Titel geführt habe. Manuel Neuer, Mats Hummels, Jérôme Boateng Sami Khedira oder Mesut Özil haben immens profitiert.
Die U 21 ist aber nur ein Teil vom großen Ganzen. Die kleinen Vereine bringen den Jungs das Fußballspielen bei, dann greifen die Stützpunkte, später die Nachwuchsleistungszentren. In diesem funktionierenden System arbeiten vor uns viele gute Trainer – wir stehen schon fast am Ende der Kette.
Jetzt schmälern Sie aber Ihren Anteil am Erfolg der Weltmeister.
Natürlich habe ich damals versucht, dieser Generation zu helfen. Aber entscheidend war, dass die Spieler Ratschläge angenommen haben. Das ist wie eine große Familie, die noch auf einer Wellenlänge liegt, selbst wenn sie sich lange nicht gesehen hat. Ich bin manchmal immer noch überrascht, wer mich mitunter anruft.
Die 2009er-Europameister gratulieren Ihnen also noch zum Geburtstag?
Lassen wir mal Namen beiseite. Aber ich erwähne Kevin Kuranyi, der den Kontakt nicht abreißen lässt, obwohl unsere Zusammenarbeit lange zurückliegt.
In der aktuellen U 21 stehen mit Leon Goretzka, Leroy Sané, Joshua Kimmich, Timo Werner oder Davie Selke sehr interessante Talente. Sehen Sie darin Parallelen zu 2009?
Die Spieler besitzen alle Qualität, schauen wir uns nur an, welche Rolle sie in ihren Vereinen spielen, welche Leistungen sie bringen. Teilweise ist das schon überragend. Ich sage diesen Spielern aber auch: Es geht noch besser.
Heutzutage läuft kaum noch ein begabter Spieler am Förderungssystem vorbei wie früher Miroslav Klose, oder?
Das stimmt zwar, aber wir müssen uns mehr um diejenigen kümmern, die in jungen Jahren nicht gleich den Sprung nach oben schaffen. Wie können wir einen 16-, 17-Jährigen auffangen, der mal strauchelt? Oder nehmen wir den Sandro Wagner, der 2009 dabei war. Über ihn hat jahrelang keiner mehr geredet, jetzt zeigt er in Darmstadt verspätet seine besondere Qualität. Es sind einfach viele Faktoren, die zur Entwicklung gehören. Ich sage immer: Der fertige Spieler ist der, der aufhört.
Die gute fußballerische Ausbildung ist unbestritten, vermissen Sie aber die Querköpfe und schrägen Typen aus Ihrer Zeit?
Ich kann versichern: Wir haben immer wieder welche, die gerne neben der Spur laufen. Diese Individualisten will ich auch haben. Solch ein Spieler muss aber merken, dass wir ohne ihn spielen können – er aber nicht ohne uns.
Die jetzige Generation hat bei aller Qualität die EM 2015 im Halbfinale in den Sand gesetzt. Was nehmen Sie als Erkenntnis mit?
Solch eine Niederlage wie gegen Portugal (0:5, Anm. d. Red.) kommt im Fußball immer wieder vor. Bis dahin hatten wir aus meiner Sicht ein ordentliches Turnier gespielt, um uns dann eine komplette Auszeit zu nehmen. Jeder hat danach gewusst: So funktioniert es nicht.
Ist es für Sie schwieriger, bei den jungen Spielern durchzudringen? Heutzutage ziehen 13-Jährige in Internate, haben Berater und verdienen teils mehr Geld als ihre Eltern.
Da frage ich mich schon, ob das der richtige Weg ist. Ich habe kein Problem damit, wenn ein solcher Junge von der Schule ins Internat geht, Hausaufgaben macht, trainiert und vielleicht ein-, zweimal auch da übernachtet. Aber dann sollte er zurück in die Familie. Im Internat geht es nach Vorschriften – und dort herrscht von Anfang an ein immenser Druck. Ich bezweifele, dass die meisten Jungs diesen Herausforderungen ohne ihre Familie in so frühen Jahren schon gewachsen sind.
Augsburgs Manager Stefan Reuter hat gerade die Bayern kritisiert, weil die sich um Zwölfjährige für ihr neues Nachwuchsleistungszentrum bemühen.
Ich sehe das zweigeteilt. Es ist richtig, ihnen früh gutes Training anzubieten. Aber wenn man sie so früh holt, dann sollte man sie auch konsequent bis zum Schulabschluss begleiten. Hinzu kommt eine weitere Gefahr durch die frühe Rundumbetreuung: Wenn ich Kreativität auf dem Platz möchte, sollte der Spieler auch im normalen Leben selbstständig entscheiden können. Wie beim Bus, der einem vor der Nase wegfährt. Leihe ich mir ein Fahrrad? Gehe ich zu Fuß? Die Lösung kann nicht lauten, einen anzurufen, der mich abholt.
Wie gehen Sie eigentlich damit um, dass Facebook, Smartphone oder WhatsApp im Alltag dieser Generation prägend sind?
Ich habe das auch gelernt und kann damit einigermaßen umgehen (zieht ein iPhone und ein Blackberry aus den Hosentaschen). Wir Trainer und Betreuer bei der U 21 haben eine eigene WhatsApp-Gruppe, in die ich auch mal etwas rein stelle.