Er selbst sieht sich als Medienopfer. Doch Christian Wulff wusste die Medien auch geschickt für sich einzuspannen. Bei den Ermittlungen gegen die Ex-Porsche-Chefs zeigte sich, wie er Wirtschaftsblätter mit internen Informationen und Dokumenten versorgte.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Man weiß nicht, ob Wendelin Wiedeking das Buch von Christian Wulff („Ganz oben, ganz unten”) gelesen hat und die Diskussion darüber verfolgt. Der Ex-Bundespräsident präsentiert sich auf allen Kanälen als Opfer von Medien und Justiz – das könnte dem einstigen Porsche-Chef sauer aufstoßen. Ärger mit Medien und Justiz kennt Wiedeking zwar auch, vor allem seit der gescheiterten Übernahmeschlacht um Volkswagen. Doch als Leidensgefährten dürfte er Wulff deshalb nicht betrachten, eher im Gegenteil: der damalige Ministerpräsident von Niedersachsen und seine Helfer, das stellte sich inzwischen heraus, haben ihm den Ärger mit eingebrockt. Wenn es ihm nützlich erschien, wusste der CDU-Mann die heute so gescholtenen Medien nämlich virtuos für sich einzuspannen.

 

Exemplarisch sichtbar wurde das Zusammenspiel im Zuge jener Ermittlungen, die zur Anklage wegen Marktmanipulation gegen Wiedeking und seinen einstigen Finanzvorstand Holger Härter führten. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wirft ihnen darin vor, zur geplanten Übernahme von VW mindestens fünfmal falsche Angaben gemacht zu haben. Entgegen allen Dementis hätten sie spätestens im Februar 2008 die Absicht gefasst, die Anteile von Porsche an Volkswagen auf 75 Prozent aufzustocken und einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag zu schließen. Offiziell bestätigt wurde das indes erst Monate später, im Oktober. Die Folge: Der Kurs der VW-Aktie explodierte von 200 auf etwa 1000 Euro, private und institutionelle Anleger, die den Beteuerungen von Porsche Glauben geschenkt hatten, verloren Milliarden Euro. Wiedeking und Härter bestreiten den Vorwurf, auch das Landgericht Stuttgart wies die Anklage ab: es fehle an einem hinreichenden Tatverdacht. Nun muss das Oberlandesgericht entscheiden, ob es doch noch zum Prozess kommt.

Protokoll eines Geheimtreffens zugespielt

Schon im Februar 2008 habe der Sportwagenhersteller den Wolfsburger Konzern beherrschen wollen – genau das hatte im Mai 2009 die Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ exklusiv gemeldet. Wenige Tage darauf leitete die Finanzaufsichtsbehörde Bafin jene Untersuchung ein, die später in die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft mündete. Die „Wirtschaftswoche“ stützte sich auf ein ihr vorliegendes Protokoll eines Geheimtreffens am 25. Februar 2008 in Berlin, an dem zwei hochrangige Porsche-Vertreter, zwei Anwälte der für Porsche tätigen Kanzlei und „ein hoher Beamter der niedersächsischen Landesregierung“ im Auftrag von Wulff teilgenommen hätten. Offiziell sei es um die VW-Satzung und die Sperrminorität von Niedersachsen gegangen, aber „nach einigem Bohren“ hätten die Porsche-Leute ausgeplaudert, dass sie Volkswagen gerne beherrschen wollten. So habe es ein Teilnehmer des Treffens berichtet. Eine Ausgabe später wurde die Berichterstattung mit einer mehrseitigen Eloge auf den „heimlichen Auto- und Wirtschaftskanzler“ Wulff fortgesetzt.

Informant des Wirtschaftsblattes war offenkundig ein enger Mitarbeiter von Wulff: Matthias Middelberg, damals Leiter der Wirtschaftsabteilung in der Staatskanzlei Hannover, heute CDU-Bundestagsabgeordneter der gemeinsamen Heimatstadt Osnabrück. Die Juristen Wulff (55) und Middelberg (49) kennen sich seit vielen Jahrzehnten, Fotos auf der Abgeordneten-Homepage zeigen die beiden schon als Jungunionisten Seite an Seite. „Er ist unglaublich kompetent, versteht von vielen Dingen ganz viel“, rühmt der Ältere den Jüngeren in einem Wahlkampfvideo. Der Beamte betreute das VW-Aufsichtsratsmandat des Ministerpräsidenten, er galt als „der heimliche Kopf hinter dem Übernahmeduell mit Porsche“, wie das „Manager-Magazin” einmal schrieb.

Wulff verweist auf seine Zeugenaussage

Zu Middelbergs Aufgaben gehörte es offenkundig auch, sein Bundesland und dessen Regierungschef in den Medien möglichst gut aussehen zu lassen – und so die Angreifer aus dem Süden zu schwächen. Wie systematisch der Wulff-Vertraute dabei vorging, wurde deutlich, als die Stuttgarter Staatsanwaltschaft seine Rolle 2012 in den Blick nahm. Per Amtshilfe habe man Akten der Staatskanzlei in Hannover einsehen können, Middelberg selbst sei in Berlin als Zeuge vernommen worden, bestätigt eine Behördensprecherin. Seine Aussage und die Dokumente zeichnen das Bild eines PR-Strategen, der die Klaviatur der Medien nahezu perfekt beherrschte – und sie in enger Abstimmung mit Christian Wulff und dessen damaligem Regierungssprecher Olaf Glaeseker nutzte.

Regelmäßig führte er zum VW-Porsche-Poker Hintergrundgespräche mit Journalisten, Redaktionen wurden immer wieder mit – auch internen – Unterlagen versorgt. Die hatte er sich zuvor schon mal von einer Juristin der Staatskanzlei an seine private Mailadresse schicken lassen, womöglich, um keine direkten Spuren zu hinterlassen. Was genau er der „Wirtschaftswoche“ zugespielt hatte, daran konnte sich Middelberg als Zeuge angeblich nicht mehr erinnern. „Aus Gründen der Vertraulichkeit“ könne er „leider keine Auskünfte geben“, teilte er der Stuttgarter Zeitung mit. Die Staatsanwaltschaft prüfte sogar, ob gegen den Wulff-Helfer Ermittlungen wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses aufzunehmen wären. Das Ergebnis laut der Sprecherin: ein solcher Verdacht sei dann doch verneint worden, da er „in erster Linie selbst verfasste Vermerke“ weitergegeben habe. Wulff habe die Angaben seines einstigen Mitarbeiters im Wesentlichen bestätigt. Sein Büro lehnte gegenüber der StZ eine Stellungnahme ab. Begründung: der Ex-Präsident habe „im Sommer 2012 gegenüber der Staatsanwaltschaft ausführlich zu allen Fragen Stellung bezogen“.

„Eines von mehreren Indizien“ für die Anklage

Als juristisch heikel erwiesen sich die bei den Medien gelandeten Papiere gleichwohl, vor allem zwei Vermerke zum Februar 2008. Wenn Middelberg damals schon von der Übernahmeabsicht gewusst und seinen Chef informiert hatte – hätte Wulff dann nicht im VW-Aufsichtsrat darüber berichten müssen, damit der Konzern eine vorgeschriebene Ad-hoc-Meldung herausgab? Diese Frage wurde wiederholt von Kapitalmarktexperten aufgeworfen. Der Wulff-Helfer hatte die Tücke frühzeitig erkannt und war bereits gegenüber der „Wirtschaftswoche“ zurückgerudert: Die Porsche-Leute hätten ihre Übernahme-Absicht nicht explizit bekundet, er habe lediglich für sich diesen Schluss gezogen. Bei dieser Linie blieb Middelberg auch später. Eine Prüfung der Bafin kam inzwischen zu dem Ergebnis, es gebe „keine Anhaltspunkte für eine Verletzung der Ad-hoc-Pflicht durch die Volkswagen AG“.

Wieder anders soll es bei einem Gespräch mit Wulff und Middelberg im Juli 2009 geklungen haben, über das die „Wirtschaftswoche“ erst Anfang 2012 berichtete. Bei dem Treffen in Berlin sei dem Beamten klar geworden, dass „reihenweise Aktionäre beschissen werden“, zitierte das Blatt Wulff. Middelberg wurde mit den Worten wiedergegeben, Porsche sei „permanente Anlegertäuschung“ vorzuwerfen. Mal deutlich artikuliert, dann wieder relativiert – welchen Stellenwert haben Middelbergs Vermerke und Aussagen da für die Anklage gegen Wiedeking und Härter? Für die Beweisführung seien sie nicht zentral, aber „eines von mehreren Indizien“, sagt die Behördensprecherin. Sie rundeten den auf anderen Erkenntnissen basierenden Verdacht ab, dass Porsche schon früh Übernahmepläne schmiedete.

Interviewstopp für den Chefermittler

Nicht nur Wulff wusste sich in Sachen Porsche-Volkswagen übrigens medial geschickt darzustellen, sondern auch der für die Anklage verantwortliche Oberstaatsanwalt Hans Richter. Just von der „Wirtschaftswoche“, die sich rühmte, die Ermittlungen mit ausgelöst zu haben, ließ sich der Chefermittler 2012 überaus wohlwollend porträtieren. Titel: „Der Staatsanwalt, vor dem die Großen zittern.“ Ein bekennender Alt-Achtundsechziger sei es, erfuhren die Leser, der „Wiedeking hinter Gitter“ bringen könnte. Über solche und ähnliche Porträts in den Medien war die Behördenspitze wohl nicht allzu begeistert. Die Folge: für Gespräche mit Journalisten steht Richter inzwischen nicht mehr zur Verfügung.