Überstunden gehören für viele Arbeitnehmer in Deutschland zum Alltag – und viele davon bleiben unbezahlt. Das bringt Fahrt in die Debatte über eine weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit, die vor allem in Baden-Württemberg zu Streit führt.

Berlin - Arbeitnehmer in Deutschland haben im vergangenen Jahr rund zwei Milliarden Überstunden gemacht. Diese Zahlen lieferte am Donnerstag der „Überstunden-Monitor“ des Pestel-Instituts. Demnach machten Arbeitnehmer im vergangenen Jahr rund eine Milliarde unbezahlte Überstunden. Bundesweit hatten die Beschäftigten den Unternehmen durch die unbezahlten Überstunden rund 25 Milliarden Euro geschenkt, berichtete Pestel-Institutsvorstand Matthias Günther. Kerstin Tack, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, sagte: „Es kann nicht sein, dass Arbeitgeber die Beschäftigten um ihren Lohn betrügen. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, Arbeitszeiten verpflichtend aufzuzeichnen, muss deshalb so schnell wie möglich in nationales Recht umgesetzt werden.“

 

Die Gewerkschaft „Nahrung-Genuss-Gaststätten“ (NGG) nahm die Vorstellung der Zahlen zum Anlass, eine Kampagne gegen längere Arbeitszeiten zu starten und stellte sich gegen Forderungen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), das Arbeitszeitgesetz zu ändern, um flexiblere Arbeitszeiten zu schaffen. Im Tourismusbereich, zu dem Hotels und Gaststätten in der Studie zählen, seien 45 Prozent aller Überstunden unbezahlt gewesen, berichtete Pestel-Institutsvorstand Günther. Die Arbeitnehmer würden bereits viele Überstunden machen und flexibel arbeiten, mehr ginge nicht. Die Forderung des Dehoga-Verbands kritisierte der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler: „Das ist nicht das, was die Beschäftigten wollen.“ Vier Betroffene, die am Kampagnenstart teilnahmen, berichteten von ihren Erfahrungen: Eine Mitarbeiterin in einem Berliner Hostel erzählte von Doppelschichten, also von 16-stündigen Arbeitstagen. Bereits in der Ausbildung zur Hotelfachfrau habe sie das erlebt, pflichtete ihr eine andere Arbeitnehmerin bei.

Der Vorschlag stammt von Nicole Hoffmeister-Kraut

Der Dehoga-Bundesverband stellt sich dagegen: In einem Positionspapier werden Beispiele gezeigt, in denen trotz Planung des Arbeitgebers mehr Flexibilität der Arbeitsstunden benötigt würde, beispielsweise auf Hochzeiten. Oder bei Menschen, die sich mit einem Zweitjob in der Gastronomiebranche etwas dazu verdienen wollen, dies aufgrund der gesetzlichen Höchstdauer von zehn Arbeitsstunden pro Tag aber nicht dürften. „Es geht weder um ein Durchlöchern des Arbeitszeitgesetzes, noch um eine generelle Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf 13 Stunden“, sagte eine Sprecherin des Unternehmensverbands unserer Zeitung. „Es geht nicht um Mehrarbeit, sondern um die Anpassung des Arbeitszeitgesetzes an die Lebenswirklichkeit.“

Die Änderung des Arbeitszeitgesetzes hatte bereits mehrmals zu einem Konflikt innerhalb der grün-schwarzen Landesregierung geführt. „Kern meines Reformvorschlags ist die Möglichkeit, an einzelnen Arbeitstagen flexibel bis zu zwölf Stunden arbeiten zu können. Im Gegenzug sollte die Arbeitszeit pro einzelner Woche begrenzt werden“, sagte Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU) unserer Zeitung. „So könnte die Arbeitszeit im Laufe einer Arbeitswoche flexibler verteilt werden, ohne dass es zu einer höheren Arbeitsbelastung kommt.“ Dabei müsse die Sicherheit und die Gesundheit selbstverständlich sichergestellt werden. „Als begleitende Maßnahme ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, den Arbeitsschutz effektiv und nachhaltig zu stärken“, sagte Hoffmeister-Kraut. Die Grünen in Baden-Württemberg stellen sich gegen eine Ausweitung der Höchstarbeitszeit.

Ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums sagte unser Zeitung: „Die Koalitionsparteien haben sich darauf verständigt, eine Tariföffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz für tarifgebundene Unternehmen zu schaffen. Ziel ist, eine Arbeitszeitgestaltung zu erproben, die den Gesundheitsschutz der Beschäftigten gewährleistet, aber auch mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten ermöglicht und die Flexibilitätsinteressen der Arbeitgeber berücksichtigt.“