Der Präsident Michel Platini stärkt seine Position im europäischen Fußballverband, indem er die kleinen Länder auf seine seine Seite zieht. Der dadurch aufgeblähte Terminplan stört beim DFB offenbar niemanden – was politische Gründe haben könnte.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Stuttgart - Auf das fünfte Trüffel-Festival ihres Chefkoches Dario Cammarata zum Preis von 279 Euro exklusive Getränke müssen die Gäste der Villa Kennedy zwar noch bis zum 29. November warten. Dafür gibt es in dem Fünfsternehaus am Frankfurter Südufer des Mains aber derzeit die Équipe des Fußball-Weltmeisters gratis zu Bestaunen. Und so kreuzen am Mittwoch um 12.30 Uhr etwa die Torleute Manuel Neuer, Roman Weidenfeller und Ron-Robert Zieler federnden Schrittes die Hotellobby.

 

Das Trio kommt leicht dreckverschmiert von der „Kleinen Kampfbahn“, wie sich der Trainingsplatz nennt, auf dem sich die Fußball-Nationalelf neben dem Eintracht-Stadion nach ihrem Auftaktsieg über Schottland (2:1) auf die EM-Qualifikationspartien in Warschau gegen Polen (Samstag) und in Gelsenkirchen gegen Irland (Dienstag) vorbereitet. Dabei wird der Weg zur Endrunde nach Frankreich 2016 auch mit Blick auf die restlichen Gegner Georgien und Gibraltar wohl weniger einem Kampf, denn eher einem fußballerischen Spaziergang gleichen. Und die Schuld an der mangelnden Spannung in den Qualifikationspartien tragen die Organisatoren höchstselbst.

Als „eine Chance für die kleineren Nationen, an einer EM teilzunehmen“, propagiert Michel Platini, der Chef des europäischen Dachverbandes Uefa, sein seltsames Konstrukt, das die Ausscheidungsspiele zu einer sportlichen Farce macht. Denn erstmals nehmen nicht mehr wie bisher 16, sondern 24 Nationen am EM-Endturnier teil. Dies hat zur Folge, dass bei 54 Uefa-Mitgliedsverbänden fast jeder Zweite dabei ist. In den neun Qualifikationsgruppen bedeuten die Plätze eins und zwei die sichere Teilnahme – auch der beste Gruppendritte ist dabei. Die restlichen acht Drittplatzierten gehen in die Play-offs, während Frankreich als Gastgeber gesetzt ist. Die großen Nationen wie Deutschland, Spanien oder Italien könnten so bereits schnell ihre EM-Tickets in der Tasche haben. Beim Rest ihrer Spiele droht dann zwangsläufig die große Langeweile.

Platini rüffelt Löw

Der Bundestrainer Joachim Löw hat den neuen Modus bereits angemahnt, in dem sich in den „Weeks of Football“ die Qualifikationsrunden neuerdings von Donnerstag bis Dienstag hinziehen: „Der sportliche Wert der Spiele, aber auch des ganzen Wettbewerbs sinken“, sagte der 54-Jährige – und handelte sich umgehend einen Rüffel von Platini ein. „Wem der Modus nicht gefällt, der muss ja nicht spielen“, keifte der Europameister und EM-Torschützenkönig (neun Treffer) von 1984 zurück: „Wir haben alle Länder abstimmen lassen – und nur wenige waren dagegen. So funktioniert nun einmal Demokratie.“

Unerwähnt lässt Platini allerdings, wie er seit seinem Debüt 2007 die Truppen innerhalb seines Fußballreiches verschoben hat. So begrüßte der Franzose, der als nationales Bonbon die Équipe Tricolore in der Gruppe I zwar außerhalb der Wertung (aber mit der üblichen Prämie von 4,2 Millionen Euro pro Spiel) mitmachen lässt, im Mai den Fußballzwerg Gibraltar als 54. Mitglied in seinem Verband. Dass der winzige, zerklüftete Landstrich an der Südspitze Spaniens mit seinen 30 000 Einwohnern über kein taugliches Stadion verfügt und so ins portugiesische Faro ausweichen muss, spielte keine Rolle. Denn für Platini, der seine Ambitionen als Fifa-Nachfolger von Sepp Blatter vorerst auf Eis gelegt hat und 2015 seine dritte Uefa-Amtszeit anstrebt, zählen Wahlstimmen.

Dankbarkeit in Osteuropa

Dankbarkeit ist dem Präsidenten, der sich in Osteuropa bereits mit der EM 2012 in Polen und der Ukraine jede Menge Applaus gesichert hat, gerade in Gibraltar, Andorra, San Marino, Malta, Zypern oder auf den Färöern gewiss. Denn durch die zeitliche Ausweitung des Qualifikationsprogramms mit den „Weeks of Football“ generiert die Uefa zwar sportliche Langeweile, aber auch ein rund 40-prozentiges Plus an Einnahmen. Dies kommt allen nationalen Verbänden zu Gute. Vor allem die Kleinen erfreut dieser warme Geldregen.

Kein Wunder also, dass nur Wenige offene Kritik am System wagen wie Christian Seifert: „Ich finde die Einstellung des Präsidenten überheblich. Vielleicht sollten die großen Nationen mal nicht spielen. Dann können wir schauen, was die EM noch wert ist“, sagte der Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga (DFL), der Dachorganisation der Bundesligaclubs.

Der DFB will es sich nicht mit Platini verscherzen

Während Franz Beckenbauer im Stile eines Fußballkaisers schimpft („Dann lasst sie doch gleich alle mitspielen!“), ist von der Führungsriege des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) inzwischen nichts mehr zu hören. Aus gutem Grund? Immerhin besitzt beim DFB die eigene Bewerbung um die EM 2024 höchste Priorität. Da will man es sich mit Platini besser nicht verscherzen. Um das Turnier zu bekommen, hat man bereits für 2020 zugunsten von London auf die Endspielbewerbung verzichtet. Bei einem Turnier, dass in 13 Ländern ausgetragen wird – unter anderem in Ungarn, Rumänien und Aserbaidschan.

Michel Platini akquiriert also auch in den Randzonen seines Fußballreiches neue Freunde – und treibt mit deren Abstimmungshilfe nach der 2009 künstlich aufgeblähten Europa League eifrig weitere Projekte voran. So ist die Nations League, ein Turnier für europäische Nationalteams, das von 2019 an stets in den ungeraden Jahren ansteht, bereits beschlossene Sache. Freundschaftsspiele wird es dann kaum mehr geben. Doch Wolfgang Niersbach redet trotz der sich anbahnenden Übersättigung an Länderspielen von „einer großen Chance für den Fußball“.

Dabei spricht in dem DFB-Präsidenten wohl weniger der Fußballfan, als vielmehr der Funktionär.