Die Ausstellung „Von Zeiten und Zügen“ auf Schloss Filseck zeigt, wie stark der Schienenverkehr die lokale Wirtschaft und das Leben der Menschen im Landkreis Göppingen einst verändert hat. Die Schau ist bis zum 6. Januar zu sehen.

Uhingen - So wie das schnelle Internet heutzutage über die Attraktivität eines Ortes entscheidet, so war das einst der Bahnhof. Wohl der Gemeinde, die einen solchen hatte. Sie fuhr mit Volldampf in eine bessere Zukunft. Entsprechend wurde auch im heutigen Kreis Göppingen um die Segnungen des Eisenbahnzeitalters hart gerungen. Göppingen etwa stach Faurndau bei der Bewerbung um den Bau eines Bahnhofs aus. Die Faurndauer haben das ihrem großen Nachbarn, der sie im Jahr 1975 zu ihrem großen Verdruss auch noch einverleibte, noch immer nicht ganz verziehen. Wie eng die Lokalhistorie mit der Eisenbahn verzahnt ist, das zeigt die Ausstellung „Von Zeiten und Zügen. Eisenbahngeschichte(n) im Landkreis Göppingen“, die anlässlich des 80. Geburtstages des Landkreises bis zum 6. Januar auf Schloss Filseck bei Uhingen zu sehen ist.

 

Stefan Lang hat tief in den Schränken des Kreisarchivs gegraben, um die Vitrinen im Ostflügel des Schlosses mit Dokumenten der Zeit zu bestücken, in der die Eisenbahn den einstigen Oberämtern Göppingen und Geislingen einen ungeahnten wirtschaftlichen Aufschwung bescherte. Der Kreisarchivar entdeckte so viel Material, dass die Auswahl schwer fiel. „Die Eisenbahngeschichte ist ein sehr spannendes und facettenreiches Thema, wir hätten drei Ausstellungen machen können“, sagt er. Trotz der Beschränkung, die die räumlichen Gegebenheiten der Galerie im Ostflügel ihm auferlegten, zeichnet die Ausstellung ein faszinierendes Bild dessen, wie sich der Landkreis und das Leben seiner Bewohner von dem Tag an veränderte, als die erste Dampflok im Jahr 1847 auf dem Weg nach Süßen in Göppingen einfuhr.

Bahnhöfe als Visitenkarten

Die Eisenbahn hatte die Industrialisierung im Schlepptau – für den bitterarmen Landstrich zwischen Schurwald und Schwäbischer Alb eine Chance, wirtschaftlich Anschluss zu finden. Schuler, Boehringer und Märklin in Göppingen wie auch die WMF in Geislingen, einst die größte Fabrik in ganz Württemberg, hätten ohne dieses neue Transportmittel nicht die Erfolgsgeschichte schreiben können, die sie geschrieben haben. Die Filstalbahn erschloss den Landkreis von West nach Ost. Dazu kamen in den Jahren 1901 bis 1926 vier Nebenstrecken: Süßen-Weißenstein, Geislingen-Wiesensteig, Göppingen-Schwäbisch Gmünd und Göppingen-Boll.

Die Züge, die auf diesen Strecken verkehrten, brachten täglich Tausende Pendler zu ihrem Arbeitsplatz. Der Göppinger Bahnhof wurde zu seinen besten Zeiten täglich von 30 000 Menschen frequentiert, darunter auch Schüler. Natürlich wurden auch Güter, vor allem Rohstoffe, über die Schienen zu den Fabriken befördert, die oft einen direkten Gleisanschluss besaßen.

Obwohl auf diesen Nebenstrecken schon lange keine Züge mehr fahren, sind die „Tälesketter“, das „Josefle“ und das „Mariele“ vielen Kreisbewohnern noch immer ein Begriff. Die Ausstellung widmet jeder dieser Strecken einen Raum. Eine Tafel gibt einen Überblick über die Geschichte der jeweiligen Bahnlinie. An den Wänden sind in Vergrößerung historische Fotos zu sehen. Wie mühsam es war, dem zähen Lehmboden bei Wäschenbeuren einen Damm für den Schienenverkehr abzutrotzen, belegt eine Aufnahme, die um das Jahr 1910 entstanden ist. Dass die Bahnhöfe der ganze Stolz der Gleisanrainer waren, darauf lassen zahlreiche Postkartenmotive schließen. Sogar das kleine, an Sehenswürdigkeiten arme Nenningen punktete mit seinem Bahnhof. „Die Bahnhofsareale waren die Visitenkarten, nicht wie heute die Schmuddelecken“, sagt Lang. Häufig entstanden in direkter Nachbarschaft Bahnhofsrestaurants, die beliebte Ausflugsziele waren.

Für die Gemeinden eine „Lebensfrage“

In den Vitrinen sind zahlreiche historische Dokumente aus den Archivbeständen ausgestellt. Handkolorierte Baupläne von Bahnhöfen etwa. Auch Schriftwechsel finden sich im Original. So wenden sich die Gemeinden Weißenstein, Donzdorf mit Grünbach, Nenningen, Böhmenkirch, Treffelhausen, Schnittlingen, Degenfeld und Winzingen an die Bahn mit der „ehrerbietigsten Bitte um Erbauung einer Bahn“. Dies sei eine „Lebensfrage“. Ein paar Jahrzehnte später – der Verkehr hat sich mittlerweile auf die Straße verlagert – endet der Boom der Eisenbahn. In den 1980er Jahren wird der Zugverkehr auf den Nebenstrecken sukzessive eingestellt.

Nicht verschont blieb die Bahn auch von den Weltkriegen. „Tod dem Franzos“ prangte auf einem Waggon, der Soldaten im ersten Weltkrieg an die Front beförderte. Die Euphorie erlosch schnell. Im zweiten Weltkrieg brachten Züge Menschen in die Gaskammern der Nationalsozialisten. Da die Eisenbahn für die Infrastruktur existenziell war, war sie auch ein Ziel für Luftangriffe, bei denen viele Menschen ihr Leben verloren, auch im Kreis Göppingen, und Züge waren es, die Tausende von Flüchtlingen in ihre neue Heimat brachten.