Julia Timoschenko war lange nicht im Rampenlicht. Nun will sie Präsidentin der Ukraine werden. In den Umfragen führt sie – aber das muss nicht unbedingt etwas heißen.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Kiew - In Kiew hatten es die Spatzen schon seit Langem von den Dächern gepfiffen. In Umfragen lag Julia Timoschenko zumeist vorne, wenn danach gefragt wurde, wer denn bei den Präsidentschaftswahlen am 31. März die meisten Stimmen bekommen würde. Jetzt hat die frühere Regierungschefin und ehemalige politische Gefangene ganz offiziell erklärt, bei den Wahlen antreten zu wollen. Der amtierende Präsident Petro Poroschenko hat dies bis zur Stunde noch nicht getan.

 

Für das mit großer Machtbefugnis ausgestattete Präsidentenamt werden noch bis zum 3. Februar die Bewerbungen der Kandidaten entgegengenommen. Bereits den Finger gestreckt hat Wladimir Selenski. Das ist in etwa so, als würde sich hierzulande Oliver Welke von der „heute-show“ für das Amt des Bundeskanzlers in Stellung bringen. Selenski ist ein landesweit bekannter Komiker, der mit den Mächtigen zum Teil hart ins Gericht geht. Zumindest Amtsinhaber Poroschenko dürfte das Lachen vergangen sein, seitdem Selenski in der Silvesternacht seine Kandidatur bekannt gegeben hat. In den Umfragen steht der Komiker auf Rang zwei, hinter Timoschenko, aber vor dem Amtsinhaber.

Das Volk ist der alten Politikerkaste überdrüssig

Ein nennenswertes Programm hat Selenski bisher nicht, aber einen entscheidenden Vorteil: Zahlreiche Ukrainer sind es leid, von einer Politikerkaste regiert zu werden, die meist nur das eigene Wohl im Auge hat. Zu dieser Gruppe gehören sowohl Poroschenko als auch Timoschenko. Seit der Orangenen Revolution bestimmen sie in wechselnden Mehrheiten und mit wechselnder Zustimmung die Geschicke des Landes. Und die Ukraine zählt nach wie vor zu den ärmsten Ländern Europas.

Julia Timoschenko ist eine begnadete Populistin – und ein Phänomen. Vor ziemlich genau fünf Jahren, im Februar 2014, wurde sie aus der Haft entlassen, zu der sie dreieinhalb Jahre zuvor verurteilt worden war. Der damalige Präsident Wiktor Janukowitsch hatte ihr vorgeworfen, im Jahr 2009 als Ministerpräsidentin einen Gaslieferungsvertrag mit Russland unterzeichnet zu haben, der dem Land geschadet habe. Das Verfahren galt als politisch motiviert und wurde international, unter anderem von Amnesty International, kritisiert. Trotz einer eindrucksvollen Rede im Rollstuhl auf dem Maidan gleich nach ihrer Freilassung ist es Timoschenko damals nicht gelungen, auf der Revolutionswelle mitzuschwimmen. Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2014 kam sie nicht einmal auf 13 Prozent, während der Oligarch Petro Poroschenko im ersten Wahlgang siegte. Julia Timoschenko führte dann ein eher unbedeutendes Leben als Abgeordnete im Parlament. Nun ist sie zurück auf der großen politischen Bühne.

Zwei Mal war Timoschenko Premierministerin

„Wir haben keine Zeit für Experimente. Unsere Generation sollte nun endlich die neue Ukraine aufbauen“, sagte Timoschenko neulich im Fernsehen. Wie viele Ukrainer ihr solche Sprüche abnehmen, bleibt abzuwarten. Schließlich gehört die Politikveteranin zu den führenden ukrainischen Politikern der letzten 20 Jahre – irgendwie war sie immer dabei. Nach der Orangenen Revolution, bei der Timoschenko auf dem Maidan in Kiew die Massen begeisterte, verbündete sie sich mit Viktor Juschtschenko. Er wurde Präsident, sie Premierministerin – bis September 2005. Zwischen Dezember 2007 und März 2010 war die heute 58-Jährige erneut in dieser Position. Ende der 90er Jahre, in den wilden und schwer zu durchschauenden Umbruchzeiten, war Timoschenko als Chefin des ukrainischen Gaskonzerns zu einem Milliardenvermögen gekommen – und erhielt den Spitznamen Gasprinzessin.

Gas spielt auch im aktuellen Wahlkampf eine Rolle. Nachdem die Regierung die subventionierten Preise stark angehoben hatte, ging Timoschenko sofort auf die Straße, um dafür zu demonstrieren, dass auch Alte und Arme ein gutes Leben führen können.