Der Ukraine-Krieg bringt Serbien in eine Zwickmühle. Erst spät wird der Angriff verurteilt, doch viele fühlen sich dem orthodoxen Land verpflichtet.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Belgrad - Erst mit tagelanger Verspätung hat Serbien die russische Invasion in der Ukraine am Wochenende verurteilt – und Sanktionen gegen Russland erneut abgelehnt: Im eskalierenden Ukraine-Krieg fällt dem EU-Anwärter das vertraute Lavieren zwischen Ost und West zunehmend schwer.

 

Am liebsten hätte sich Serbiens allgewaltiger Staatschef Aleksandar Vucic wohl bis zum Kriegsende über das Blutvergießen in der Ukraine ausgeschwiegen. Tagelang hatte der selbsterklärte Putin-Freund über den „großen Druck“ geklagt, dem sein Land ausgesetzt sei. Erst am Wochenende verkündete der Chef der nationalpopulistischen SNS Belgrads offizielle Position: Serbien gebe „der territorialen Integrität der Ukraine volle Unterstützung“ und werde „keinerlei Sanktion gegen Russland“ verhängen.

Staatschef Vucic gilt als Putin-Freund

Das Lavieren zwischen Ost und West hat in Belgrad seit Titos Bruch mit Stalin Tradition. Das zerfallene Jugoslawien war während des Kalten Kriegs ein führendes Mitglied der Bewegung der blockfreien Staaten. 2009 erklärte der damalige Präsident Boris Tadic die EU, Russland, USA und China zu den „vier Pfeilern“ von Serbiens Außenpolitik. Den von Vucic perfektionierten Drahtseilakt zwischen den Welten hat der gewiefte Selbstvermarkter jahrelang selbst als Wahlkampfmunition genutzt: Pünktlich vor jedem Urnengang trabte Vucic zum Fototermin bei Putin in Moskau und bei Angela Merkel in Berlin an.

Zwar stehen dem Dauerwahlkämpfer am 4. April erneut Präsidentschafts- und Parlamentswahlen ins Haus. Doch seine einstige CDU-Schutzherrin ist abgetreten, und devote Audienzen bei Putin sind selbst für ihn kaum denkbar. „Will Vucic etwa der einzige Staatsmann sein, der am 9. Mai bei der Siegesparade in Moskau neben Putin und Lukaschenko das Defilee der siegreichen Truppen aus der Ukraine abnimmt?“, fragt sich die Zeitung „nova“: „Eine Neutralität, wie sie sich Vucic vorstellt, ist nicht mehr möglich.“

Serbien steht kurz vor Wahlen

Ungewohnt einmütig haben zumindest die Botschaften der USA und Russlands die Belgrader Kompromissformel begrüßt. Weniger verständnisvoll reagieren die EU-Partner. Vladimir Bilcik, der Serbien-Berichterstatter des Europaparlaments, bezeichnet die Belgrader Ablehnung von Sanktionen als einen für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Serbien „entscheidenden außenpolitischen Beschluss“. Deutlicher drückt sich Srecko Djukic, Serbiens früherer Botschafter in Weißrussland aus: „Dies ist das Ende von Serbiens europäischem Weg. Wir entfernen uns immer weiter von der EU.“

Die Karikatur der Zeitung „Danas“ zeigt Landesvater Vucic beim angestrengten Spagat zwischen zwei Rollstühlen, die sich immer weiter voneinander entfernen. Tatsächlich zappelt Belgrad in einer doppelten ukrainischen Zwickmühle. Einerseits fordert die EU von dem EU-Anwärter schon lange die Angleichung an die gemeinsame Außenpolitik. Andererseits erwartet Moskau für die Schützenhilfe im Kosovo-Konflikt von Belgrad Loyalität – samt Ablehnung der Sanktionen. Zudem will Vucic seine russophile Wahlklientel nicht verstimmen. 85 Prozent der Serben und 80 Prozent der Medien seien auf der Seite Russlands, „egal, was passiert“, lamentiert der SNS-Chef. Vorläufig scheint das Politchamäleon Vucic weiter auf eine Doppelstrategie zu setzen.