Der Beamtenbund fordert von der Politik mehr Engagement gegen Übergriffe auf den öffentlichen Dienst. Anlass ist eine neue Umfrage für den DBB. Auch die baden-württembergische Landesregierung soll sich angesprochen fühlen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Polizisten werden beleidigt, Rettungskräfte am Helfen gehindert, Lehrer angepöbelt, Ordnungsamtsmitarbeiter bespuckt und Mitarbeiter von Jobcentern bedroht. Selbst körperliche Angriffe sind keine Seltenheit. Die Aggressivität gegen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes wächst. „Wir müssen die Brutalisierung unserer Gesellschaft stoppen und die Kollegen im öffentlichen Dienst schützen“, mahnt der Chef des Deutschen Beamtenbundes (DBB), Ulrich Silberbach.

 

Anlass ist eine Erhebung des Meinungsforschungsinstitutes Forsa für den DBB. Demnach meinen 83 Prozent der Bürger, dass der Umgang der Menschen rücksichtsloser und brutaler wird, und 26 Prozent haben schon Übergriffe auf öffentlich Bedienstete beobachtet. In erster Linie handelte es sich dabei um Beleidigungen. 48 Prozent der befragten Beschäftigten des öffentlichen Dienstes (69 Prozent der Beamten und 42 Prozent der Tarifangestellten) haben bereits einen Übergriff auf sich selbst im Berufsalltag erlebt.

Register zur Erfassung von Übergriffen angemahnt

Silberbach wirft den Dienstherrn vor, die Probleme häufig zu verschleiern. Und er fordert ein umfassendes Investitionsprogramm, etwa durch mehr Personal, sowie ein Register zur Erfassung von Übergriffen. Noch keine erkennbare Entlastung hat aus seiner Sicht eine Gesetzesverschärfung von 2017 gebracht, wonach Angriffe auf Polizisten, Rettungskräfte und Feuerwehrleute mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden können. Der DBB-Chef verlangt, die Verschärfung etwa auf Jobcenter-Mitarbeiter auszuweiten.

„Es ist höchste Zeit, dem Trend entgegenzuwirken“, sagt Baden-Württembergs Beamtenbund-Chef Kai Rosenberger unserer Zeitung. Besonders betroffen zeigte er sich, dass mehr als die Hälfte der Befragten schon Übergriffe auf Rettungskräfte und Notärzte – auf Helfer in der Not also – beobachtet hätten. Auch dass zwei Drittel aller Beamten im Beruf schon angegangen worden seien, habe es in dieser Dimension noch nie gegeben.

Im vorigen Herbst hatte die Landesregierung ein Gesetz realisiert, das die Übernahme von Schmerzensgeldansprüchen für Gewaltopfer des öffentlichen Dienstes absichert, wenn Beklagte zahlungsunfähig sind. „Das Gesetz reicht nicht, auch wenn wir damit weiter sind als andere Bundesländer“, sagt Rosenberger. Statt die Entschädigung auf tätliche Angriffe zu beschränken, müssten etwa auch Beleidigungen und Spuckattacken „rigoros zur Anzeige gebracht werden, um den Respekt wiederherzustellen“ – die Täter sollten mit drastischen Strafen rechnen. Damit die Anzeigen konsequenter verfolgt werden, müsste das Personal in der überlasteten Justiz aufgestockt werden, wo Baden-Württemberg mit seiner Bedienstetenquote pro 1000 Einwohner das Schlusslicht aller Länder bilde. Missstände wie dieser trügen dazu bei, dass 61 Prozent der Befragten den Staat bei der Erfüllung seiner Aufgaben für überfordert halten.

Reaktion auf Brief an Kretschmann befriedigt nicht

„Wir müssen früher ansetzen, um die Entwicklung zu stoppen“, regt Rosenberger an. Einen Runden Tisch mit betroffenen Ministerien und Verbänden hält er für „hilfreich“. Gemeinsam mit DGB-Landeschef Martin Kunzmann hatte er in diesem Zusammenhang dem Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) schon im vorigen September einen Brief geschrieben und darin eine „ganzheitliche Strategie“ angemahnt. Innenminister Thomas Strobl (CDU) hatte anstelle von Kretschmann die seitherigen Vorkehrungen insbesondere in der Prävention aufgelistet und versichert, „dass die Landesregierung die Thematik auch künftig sehr ernst nimmt und wirksame Gegenmaßnahmen entwickelt“. Heute rügt der BBW-Vorsitzende jedoch: „Außer Lippenbekenntnissen ist nichts passiert.“

Ein Sprecher des Innenministeriums stellt fest, dass es bezüglich der Übergriffe auf Beschäftigte im öffentlichen Dienst „zumindest auf die Schnelle“ keine aktuelle statistische Übersicht gebe. Man halte die Entwicklung allerdings für „besorgniserregend“. Laut der Kriminalstatistik für 2018 wurden 567 Straftaten gegen Mitarbeiter von Behörden gezählt, womit die Zahl seit 2014 (390 Straftaten) gestiegen ist. Die Zahl der Opfer wuchs von 453 im Jahr 2014 auf 670 im vorigen Jahr.