Wie soll man mit islamischen Verbänden umgehen, die wie Milli Görüs vom Verfassungsschutz beobachtet werden? Die Politik meidet sie als Partner, die Kirche aber sucht das Gespräch – demnächst bei einer Tagung zu jungen Muslimen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Acht mal ist der „Runde Tisch Islam“ inzwischen zusammengekommen, zuletzt am Montag dieser Woche. An einem Grundsatz aber hält Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) seit dem Start im Herbst 2011 fest. Eingeladen werden nur Organisationen, die nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Begründung: Man wolle die Runde nicht durch die Teilnahme von umstrittenen Gruppen angreifbar machen. Dazu gehören für Öney unter anderem die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) und der deutsche Zweig der Muslimbrüder, die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) – beides Bewegungen, bei denen die Verfassungsschützer immer noch antidemokratische Tendenzen sehen.

 

Weitaus weniger Berührungsängste zeigt da die katholische Kirche, genauer: die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart. „Junge Muslime im Web 2.0“ lautet der Titel einer Tagung, zu der die Akademie an diesem Wochenende nach Stuttgart-Hohenheim einlädt. Zwei Tage lang soll es darum gehen, wie muslimische Jugendverbände das Netz nutzen, welche Rolle soziale Medien in ihrer Kommunikation spielen und was auf den diversen Blogs stattfindet. Ein Thema wird auch die Online-Propaganda für den Jihad sein, meist übersetzt mit „heiliger Krieg“. Zusammen mit Multiplikatoren aus der Jugend- und Dialogarbeit will man „die facettenreichen Aktivitäten junger Muslime im Internet vorstellen und diskutieren“.

Verfassungsschutz sieht Jugendverbände kritisch

Geleitet wird die Tagung von dem für interreligiösen Dialog zuständigen Referenten der Akademie, Christian Ströbele, Mitveranstalter ist die Robert-Bosch-Stiftung. Als Kooperationspartner werden die beiden Jugendverbände des Vereins DITIB („Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion“) im Südwesten aufgeführt, mit dem auch das Integrationsministerium zusammenarbeitet, aber auch die Jugendorganisation von Milli Görüs („Nationale Sicht“) und die Muslimische Jugend in Deutschland (MJD).

Die beiden letzteren sieht das Landesamt für Verfassungsschutz durchaus kritisch. Die IGMG-Jugend sei „fest in die Verbandsstrukturen eingebunden“ und setze Vorgaben der Zentrale oder des jeweiligen Regionalverbandes um, vorrangig im Bereich Bildung. „Eine Eigenständigkeit ist folglich nicht gegeben“, sagte ein Behördensprecher der StZ. Im Verfassungsschutzbericht wird Milli Görüs unter „Islamistischer Extremismus und Terrorismus“ aufgeführt; Ziel sei eine „gerechte Ordnung“ auf der Grundlage des Islam, „die langfristig alle anderen, als ,nichtig’ erachteten politischen Systeme ablösen soll“.

CDU-Abgeordneter rät zur Vorsicht

Die Muslimische Jugend ist zwar ein eigenständiger Verein. Sie sei bisher aber als Organisation angesehen worden, „die das Nachwuchspotenzial für die Muslimbrüder stellte“, erläuterte der Sprecher weiter. In Einzelfällen könne weiterhin davon ausgegangen werden, dass dort organisierte Jugendliche später eine Funktion bei der Islamischen Gemeinschaft übernähmen – die ihrerseits „immer mehr dem Einfluss des Salafismus ausgesetzt ist“.

Wenn Organisationen vom Verfassungsschutz überwacht werden, „wäre ich mit einer Zusammenarbeit vorsichtig“, sagt auch der CDU-Abgeordnete und Integrationsexperte Bernhard Lasotta. Dialog sei immer notwendig, aber Toleranz dürfe „nicht die inhaltliche Auseinandersetzung ersetzen“. Milli Görüs und die Muslimbrüder seien für ihn „nicht beispielgebend für einen offenen, toleranten und gleichberechtigten Dialog“, sagt Lasotta. „Insofern verstehe ich die Kirchen nicht, dass sie sich darauf einlassen.“

Akademie verteidigt ihre Partner

Man arbeite „ausschließlich mit den Jugendlichen und nicht den Erwachsenen-Verbänden zusammen“, erwidert der Akademie-Referent Ströbele. Die Auswahl der Kooperationspartner erfolge jeweils „nach projektspezifischen Kriterien“, nicht in Betracht kämen Gruppen, „welche die Grundordnung eines religionspluralen und säkularen Staates wie des unseren ablehnen“. Seit vielen Jahren bemühe sich Akademie bei strittigen Themen, „Klärungsprozesse mit anzustoßen . . . und Barrieren zu überwinden“, gegen Diskriminierung und Radikalisierung setze man auf Teilhabe und Zusammenarbeit.

Ströbele wirbt für einen differenzierten Blick auf junge Muslime, bei denen es einen „vielerorts sichtbaren Generationswandel“ gebe. Beschrieben werde dieser in einer aktuellen Publikation zweier Kollegen ( „Junge Muslime als Partner“): Anstatt sich von Erwachsenen anleiten und finanzieren zu lassen, arbeite der Nachwuchs danach vermehrt selbstständig; besonders aktiv seien junge Frauen. Gerade bei Milli Görüs sähen viele Jugendliche „etwaige islamistische Ideale allenfalls noch als Vorstellungen ihrer Großväter“. Von den in Deutschland lebenden Muslimen seien rund 40 Prozent, fast zwei Millionen, jünger als 25 – das biete „zukunftsweisende Chancen“ für die Zusammenarbeit, findet Ströbele.

Rückendeckung von Bischof Fürst

Erschwert werde diese durch die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, beklagen die Buchautoren. Viele Einrichtungen hielten deshalb immer noch Abstand zum Milli-Görüs-Nachwuchs – so wie in Mannheim, wo dessen Aufnahme als Vollmitglied in den Stadtjugendring scheiterte. Dabei wäre es „an der Zeit, die Entwicklungen der letzten Jahre in der IGMG zu honorieren“. Auch wenn es noch bedenkliche Aspekte gebe, sollten zumindest auf kommunaler Ebene mehr Kooperationen ermöglicht werden. In diesem Sinne gelte es ebenso die Einschätzung der Muslimischen Jugend zu überprüfen.

Rückendeckung bekommt die Akademie von der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Bischof Gebhard Fürst lege großen Wert auf einen „kritisch-konstruktiven Dialog“, der einer Ausgrenzung auch junger Muslime entgegenwirken solle, sagt sein Sprecher. Die Akademie sei grundsätzlich autonom, man vertraue ihrer Erfahrung auch auf schwierigen Feldern, „die etwa politischen Ebenen versperrt sein können“. Anders als die Politik pflegt die Kirche selbst den Dialog auch mit Milli Görüs. Der Verband gebe „dem interreligiösen Dialog wertvolle Impulse“, sagt der Sprecher. Gewalt unter Berufung auf den Islam lehne er nicht nur ab, sondern wolle „junge Leute auch vor solchen Irrwegen . . . bewahren“.