China hat sich in Rekordzeit zum größten Markt für private Fahrdienste wie Uber entwickelt. Die Regierung in Peking will die Fahrdienst-Apps nun regulieren – und stößt damit auf Widerstand seiner Bürger.

Peking - Herr Sun hat ganz offensichtlich keine Ahnung, wo das Botschaftsviertel liegt. „Ich verlasse mich sonst immer auf das Navi in meinem Handy, aber heute funktioniert das GPS nicht“, sagt der 46-Jährige und kratzt sich an der Glatze. Sein schöner Toyota Avensis mit cremefarbenen Ledersitzen entschädigt zwar ein wenig für Herrn Suns Defizite als Fahrer, dafür muss der Fahrgast ihm den Weg durch die Pekinger Innenstadt bis ans Ziel weisen – Kreuzung für Kreuzung.

 

  Die Ahnungslosigkeit von Herrn Sun ist zwar einerseits verständlich, es ist schließlich erst vor einem halben Jahr in die Megametropole Peking gezogen. Andererseits ist seine mangelnde Ortskenntnis etwas erschreckend, denn er sagt auch: „Ich sehe Uber zurzeit als meinen Hauptberuf.“ Das bringe ihm 15 000 Yuan im Monat ein, gut 2000 Euro. Sozialleistungen zahlt er nicht. Um auf diese Summe zu kommen, hilft es, dass Uber jede Fahrt bezuschusst, um sich im Markt zu verankern. „Ich hoffe, das hält noch eine Weile so an“, sagt Sun.

China ist der größte Markt für private Fahrdienst-Anbieter

Die Großzügigkeit des amerikanischen App-Betreibers gegenüber Sun hat einen guten Grund: China hat sich in Rekordzeit zum größten Markt für private Fahrdienste entwickelt. Taxi-Apps aller Art sind in China auf besonders technikbegeisterte und unvoreingenommene Kunden gestoßen. Weit mehr als eine Millionen Fahrgäste nutzen täglich Uber, die umstrittene App für private Personentransporte. Der Dienst fährt damit in der Volksrepublik ein Drittel des Gesamtgeschäfts ein, ebenso viel wie in den USA.   Die Wachstumsraten wiederum übertreffen den amerikanischen Heimatmarkt um ein Vielfaches. Maßstab von Uber ist New York. Die zentralchinesische Stadt Chengdu beispielsweise verzeichnete neun Monate nach ihrer Einführung 479-mal mehr Fahrten als die US-Metropole. In Peking sind es immerhin 29-mal so viele Fahrten.

In einer internen Mail spricht Uber-Chef Travis Kalanick von „enormen Möglichkeiten“ in China. Er plant weitere Milliardeninvestitionen in den Markt – die Subventionen für Herrn Sun müssen schließlich irgendwo herkommen.   Grund für Kalanicks Optimismus ist nicht nur die Begeisterung der Chinesen für alles Neue und Technische, sondern auch die schwierigen Verhältnisse im Personentransport. Wie komme ich von A nach B? Dieses Thema nimmt in Gesprächen in Peking oder Shanghai einen überproportional großen Raum ein. Das U-Bahn-Netz hat noch gewaltige Lücken. Die Fahrten sind zwar billig, die Züge jedoch überfüllt. Busse stehen genauso im Stau wie Privatautos, mit dem zusätzlichen Nachteil, auf Tuchfühlung mit Dutzenden Mitfahrern gehen zu müssen.   Reguläre Taxen sind verraucht, die Fahrer sind anders als Herr Sun unfreundlich, und genau wie er kennen sie sich oft nicht sonderlich gut aus. Außerdem halten sie nicht immer an, wenn jemand am Straßenrand winkt. Oft weisen sie Kunden ab, wenn sie in eine Richtung wollen, die dem Fahrer gerade nicht passt.  

Die Wagen der Privatanbieter sind sauberer und günstiger

Die Freude war groß, als die Möglichkeit aufkam, sich beim Kampf um die Beförderung einen Vorteil zu verschaffen. Party-Gespräche drehen sich häufig darum, welches System nun besser ist: die Amerikaner mit Uber oder der chinesische Herausforderer Didi Kuaiche, der selbst aus der Fusion zweier erbitterter Konkurrenten hervorgegangen ist? Andere schwören auf Online-Limousinendienste wie Yidao Yongche oder UCAR. Oder ist nicht doch die offizielle App der Pekinger Taxigesellschaft zu bevorzugen – aus Mitleid mit den legalen Fahrern? Eher nicht, lautet meist das Urteil. Die freien Wagen sind nicht nur sauberer, sondern auch günstiger.

  Doch schon droht den neuen Anbietern Gefahr von oben. Wie in anderen Ländern auch wachen den Behörden langsam auf und wollen den App-Wildwuchs in den Griff bekommen. Das Verkehrsministerium hat nun einen Regulierungs-Entwurf veröffentlicht. Die Vorgaben klingen vernünftig, doch sie entziehen den Apps das Geschäftsmodell: Die Fahrgäste sollen versichert sein, die Fahrer müssen Arbeitsverträge haben, Sozialleistungen zahlen und einen Taxilizenz vorweisen können.   Die Öffentlichkeit hat bisher verärgert auf den Regulierungsversuch reagiert – die Mehrzahl der Kunden findet es toll, dass die chronisch pampigen Taxifahrer jetzt Konkurrenz haben. Das Ministerium wird noch im November endgültig über die Regelung entscheiden. Solange, das stellen Staatsmedien klar, ist Uber in China streng gesehen illegal, weil Taxidienstleistungen eigentlich an gesetzliche Bestimmungen gebunden sind.   Grund für den Eingriff ist jedoch vor allem die Lage der etablierten Taxigesellschaften – es sind durchweg Staatsbetriebe im Besitz der jeweiligen Städte. Die Fahrer beklagen sich schon lange über niedrige Löhne. Kein Wunder, denn sie müssen große Summen an die Betriebe abgeben – oft zwei Drittel der Einnahmen.

Viele Taxifahrer kündigen und fahren für Uber weiter

Die Stadt Hangzhou, in der Uber besonders erfolgreich ist, erlässt den Taxifahrern nun einen Teil der Gebühren. Die Fahrer dort berichten, dass viele Kollegen kündigen und für Uber weiterfahren. Hier können sie die Einnahmen dank der hohen Subventionen abzüglich Sprit- und Instandhaltungskosten selbst behalten. Oft verdienen sie am Ende einer Fahrt sogar mehr, als der Fahrgast zahlen muss.  Die Taxifahrer hatten zuvor – wie in anderen Ländern auch – in mehreren Städten gegen Uber protestiert.

In China verläuft der Streit zwischen der traditionellen Wirtschaft und den Vorreitern der digitalen Welt besonders heftig. Da die Wirtschaft des Landes und der Lebensstil seiner Bürger sich ohnehin so rasend schnell verändern, akzeptieren die Menschen auch weitere Umwälzungen viel leichter. China hat aber auch ein besonders hohes Potenzial an Schlaumeiern, die das System maximal ausnutzen wollen. Sowohl die Taxiruf-App Didi Kuaiche als auch Uber leiden unter Betrügern, die mithilfe mehrerer Handys Fahrten nur simulieren. Sie bezahlen die Fahrten mit Coupons, die sie eigentlich als Werbegeschenke verteilen sollten – und kassieren auch noch Subventionen.   Uber will sich weder von Behörden noch von Betrügern aufhalten lassen. Auf Razzien in Büros der Firma hat Kalanick mit der Gründung einer neuen Tochtergesellschaft reagiert. Auch die neuen Probleme werde das Unternehmen überwinden, ist er überzeugt. Im kommenden Jahr will er den Dienst auf 50 weitere chinesische Millionenstädte ausweiten. „Sie brauchen Uber noch nötiger als andere Städte auf der Welt“, will Kalanick beobachtet haben.