Bundestagspräsident Norbert Lammert will den ägyptischen Staatspräsidenten bei dessen geplantem Besuch in Berlin nicht treffen. Er kritisiert statt dessen scharf die Menschenrechtslage und brüskiert damit al-Sissi.

Kairo - Der geplante Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sissi in Berlin steht auf der Kippe. Quer durch alle Parteien in Deutschland wächst die Kritik. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der zweithöchste Repräsentant des Staates, hatte am Mittwoch mit ungewöhnlich scharfen Worten ein Treffen mit dem Ex-Feldmarschall abgesagt und dies mit der Menschenrechtslage am Nil begründet. „Statt der seit langem erwarteten Terminierung von Parlamentswahlen erleben wir seit Monaten eine systematische Verfolgung oppositioneller Gruppen mit Massenverhaftungen, Verurteilungen zu langjährigen Haftstrafen und einer unfassbaren Anzahl von Todesurteilen, darunter der ehemalige Parlamentspräsident Katatni“, schrieb Lammert an den ägyptischen Botschafter in Berlin. Angesichts dieser Situation, die weder zur inneren Befriedung des Landes noch zu einer demokratischen Entwicklung beitrage, sehe er derzeit für ein Gespräch mit Präsident As-Sissi keine Grundlage.

 

Zuvor hatten sich schon Vertreter der SPD und der Grünen kritisch geäußert. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, forderte in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von dem ägyptischen Staatschef, sich von dem „unangemessenen und völlig überzogenen Urteil“ gegen Mursi zu distanzieren, sonst könne sein Besuch „im Extremfall sogar in Frage gestellt werden“.

Stuttgarter Abgeordnete lobt Lammert

Die Vorsitzende der Deutsch-Ägyptischen Parlamentariergruppe, die Stuttgarter Abgeordnete Karin Maag, erklärte gegenüber dieser Zeitung, Lammert habe Recht mit seinem Schritt und ein wichtiges Zeichen gesetzt. „Seit drei Jahren ist das Parlament aufgelöst und gibt es niemanden mehr in Ägypten, der die Regierung kontrolliert“, sagte die CDU-Politikerin. Auch das Agieren der Justiz sei sehr weit weg von dem, „was wir als rechtsstaatlich empfinden“. Man könne nicht behaupten, das Ägypten auf einem guten Weg sei.

Andererseits gab Maag zu bedenken, dass es für die Regierung wichtig sei, mit Ägypten im Gespräch zu bleiben. Gleichzeitig signalisiere Deutschland damit auch der noch verbliebenen Demokratiebewegung, dass man sie nicht im Stich lasse. Und so ließ Kanzlerin Angela Merkel, die Sissi eingeladen hatte, am Mittwoch erklären, sie halte an dem Treffen am 3. und 4. Juni fest. „Die Einladung der Kanzlerin an Al-Sissi steht“, sagte der Regierungssprecher.

Rabiates Vorgen gegen deutsche Stiftungen

Auslöser von Lammerts Intervention, die den Staatsbesuch zu einem diplomatischen Desaster machen könnte, sind die Todesurteile, die ein Gericht am Samstag verhängte. Demnach sollen zusammen mit 104 Angeklagten auch der erste frei gewählte Präsident, Mohammed Mursi, sowie der Präsident des ersten frei gewählten Parlamentes, Saad al-Katatni, am Galgen sterben. Mursi war im Juli 2013 durch die Armee unter dem Kommando des damaligen Verteidigungsministers Sissi gestürzt worden. Bereits ein Jahr zuvor hatte das Verfassungsgericht in einem dubiosen Urteil das Mitte Januar 2012 gewählte Parlament nach vier Sitzungsmonaten aufgelöst. Sollte das Todesurteil für Mursi und Katatni am 2. Juni verkündet werden, wäre das einen Tag vor dem Staatsbesuch. Verärgert ist Berlin auch über die Schließung der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie das rabiate Vorgehen gegen die Friedrich-Naumann-Stiftung. Der Kairoer Chef der CDU-nahen Stiftung wurde im Juni 2013 in Abwesenheit zu fünf, eine Mitarbeiterin zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Naumann-Stiftung darf faktisch nicht arbeiten. .