Die Stadt Remseck treibt die Pläne für eine neue Westrandbrücke über den Neckar voran. Gleichzeitig beschließt der Gemeinderat, einen Bürgerentscheid über den umstrittenen Bau abzuhalten. Doch diskutiert wird vor allem über einen alten, sehr umstrittenen Bekannten.

Remseck - Auch wenn man mit dem Wort historisch vorsichtig umgehen sollte, wurde am Dienstag die Ortschronik der Stadt Remseck ohne Zweifel um ein wichtiges Kapitel erweitert: Einstimmig beschloss der Gemeinderat, den ersten Bürgerentscheid der Geschichte auf den Weg zu bringen – und das vor denkwürdig vollem Haus. Gut 200 Zuschauer kamen in die Aldinger Gemeindehalle, in welche die Sitzung wegen des großen Interesses der Bürger verlegt worden war.

 

Läuft alles so, wie sich Kommunalpolitiker und Stadtverwaltung das vorstellen, stimmen die Remsecker im Mai 2020 über den Bau der Westrandbrücke ab. Das hatte das Rathaus vorgeschlagen, auch, um damit einem Bürgerbegehren zuvorzukommen. Von einer „positiven Wirkung“, die der Entscheid haben könnte, sprach Steffen Kirsch (CDU), von einer „echten Chance“ der Grünenchef Karl Burgmaier.

Großes Interesse: Gemeinderat tagt in Halle

Weniger einig waren sich die Gemeinderäte beim Projekt selbst, dem wenigstens 20 Millionen Euro schweren Brückenbauwerk. Die Stadt will die Pläne für die Neckarquerung weiter voranzutreiben, damit die Bürger „anhand von Fakten“ im kommenden Jahr entscheiden könnten, sagte die Baubürgermeisterin Birgit Priebe. Dafür seien noch einige Punkte zu klären, unter anderem die Eingriffe in die Natur, eine Verkehrszählung und ein Gutachten zum Lärmschutz auf der neuen Brücke.

Bisher steht für die allenfalls der grobe Rahmen: Sie soll einige Hundert Meter flussaufwärts der bisherigen Brücke in Richtung Stuttgart gebaut werden, 140 Meter lang, 13 Meter hoch und mehr als 16 Metern breit. Die bestehende Landesstraße wird deshalb vom Rand des Stadtteils Neckargröningen nach Westen verschoben, was den Namen des Bauprojekts erklärt.

Vor wenigen Wochen einigten sich Stadt und Land nach langem Hin und Her darauf, dass die Brücke zwei Fahrspuren aus Richtung Ludwigsburg kommend und eine in die Gegenrichtung haben wird, dass auf ihr ein Tempo-50-Limit gelten wird und dass ihr Bau unabhängig vom Nordostring, eine großen Umfahrung zwischen Waiblingen und Kornwestheim, zu sehen ist.

„Die Nachbarn lachen sich ins Fäustchen“

Und genau hier ist für viele Remsecker Räte der Knackpunkt: Kaum ein Wort wurde in der mehr als zweistündigen Debatte häufiger gebraucht als das des Nordostrings. Während CDU und Freie Wähler seinen Bau unabhängig von einer Westrandbrücke fordern, wollen ihn die Grünen gar nicht und die SPD nur in abgespeckter Form. Die FDP lehnt die Westrandbrücke gar ab, weil nicht garantiert sei, dass der Nordostring trotzdem komme, sagt der Fraktionschef Gustav Bohnert. Er sprach von einem „Kuckucksei, das uns vor einigen Jahren ins Nest gelegt wurde“. Die neue Brücke helfe allenfalls den Gegnern des Nordostrings aus den Nachbarkommunen – weil die darauf hoffen könnten, das der Ring gar nicht gebaut werde, wenn in Remseck eine neue Neckarbrücke entstehe. Ähnlich sehen das die Freien Wähler: Die Umfahrungs-Gegner in Fellbach und Waiblingen (Rems-Murr-Kreis) würden sich „ins Fäustchen lachen“, wenn Rems-eck die Westrandbrücke baue, sagte der Fraktionsvorsitzende Gerhard Waldbauer.

Die Grünen, deren Parteifreund und Verkehrsminister Winfried Hermann ein erklärter Gegner der Nordostumfahrung ist, wollen die Westrandbrücke. Die Alternative sei, alles so zu lassen wie bisher. „Seit 60 Jahren wurde in Remseck keine Neckarbrücke mehr gebaut. Und deshalb ist die überlastet“, sagte Burgmaier.

Gegenstimmen für die Westrandbrücke

Von einem „Dauerstau“ und „völligem Verkehrschaos“ auf der aktuellen Brücke sprach der Oberbürgermeister Dirk Schönberger, nur die neue Brücke „kann sofort Abhilfe schaffen“. Letztlich stimmte die Mehrheit der Räte dieser Sicht zu, Gegenstimmen kamen von CDU und FDP.

Derzeit rollen mehr als 30 000 Fahrzeuge täglich in Remseck über den Neckar, knapp 40 000 werden es im Jahr 2030 sein. Für diese Menge ist die neue Brücke ausgelegt, die Planer haben aber auch ein Szenario durchgerechnet, in dem ein hypothetischer Nordostring berücksichtigt ist. Ergebnis: Der Zahl der Autos auf der Rems-ecker Brücke würde zurückgehen – um ganze 9000 Fahrzeuge pro Tag.

Voraussetzungen
Ein Bürgerentscheid kann entweder, wie jetzt in Remseck, durch den Gemeinderat auf den Weg gebracht werden. Dafür ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Stimmen nötig. Er kann auch durch ein Volksbegehren erzwungen werden. Dazu müssen sieben Prozent der Wahlberechtigten das Anliegen mit ihrer Unterschrift unterstützen. Ausgenommen sind Themen, über die laut Gesetz nur der Bürgermeister entscheiden darf.

Quorum
Ein Bürgerentscheid ist bindend, wenn mehr als 20 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen haben. Die Frage muss dabei mit Ja oder Nein zu beantworten sein.

Geschichte
Im vergangenen Jahr gab es drei Bürgerentscheide im Kreis: Im Juni stimmten die Walheimer gegen den Bau einer Lärmschutzwand entlang der Bahnstrecke, im März votierten die Vaihinger gegen den Bau eines Wohn- und Geschäftshauses aus dem Enßle-Areal. Ende Juli entschied die Mehrheit der Mundelsheimer, auf dem Areal Seehofen IV Platz zu machen für neue Häuser – anders als von einer Bürgerinitiative verlangt. Alle drei Entscheide kamen durch Bürgerbegehren zustande.