In Europa beginnt eine Revolution auf dem stillen Örtchen: Anbieter von Trockentoiletten drängen auf den Markt. Sie produzieren aus Fäkalien Dünger – wie funktioniert das?

Beim ersten Mal müssen die Besucher stark sein. Eben noch ausgelassen mit Tausenden anderen vor der Festivalbühne getanzt, plötzlich ein menschliches Bedürfnis verspürt und dann ab in die Schlange vor den Dixiklos. Nur, dass da kein Dixiklo steht, sondern der Mitarbeiter eines etwas anderen Sanitärbetriebs. Dieser drückt dem Festivalbesucher einen Becher mit Sägespänen in die Hand und klärt ihn darüber auf, dass es nach dem Toilettenbesuch keine Wasserspülung geben wird. Er möge doch bitte nach dem Toilettengang die Sägespäne „drüberstreuen“. Willkommen in der Welt der Trockentoiletten.

 

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Tanja Wente lächelt. Sie ist es gewohnt, jeden Tag über genau die Dinge zu reden, die normalerweise ungesagt bleiben: Der Gang aufs Klo taugt normalerweise nicht gerade für eine Feierabendunterhaltung. „Aber ich rede ständig darüber“, sagt Tanja Wente, die für das Unternehmen Goldeimer arbeitet. Der Name des Unternehmens ist Programm: Das, was bei den Trockentoiletten an Ausscheidungen aufgefangen wird – im übertragenen Sinn im Eimer landet –, ist anschließend kein Fall für die Entsorgung. Es wird so aufbereitet, dass Kot und Urin in natürlichen Dünger umgewandelt werden.

Forschen an der Klorevolution

Während ganz Deutschland über die Energiewende diskutiert, setzen Wissenschaftler und gemeinnützige Betriebe in Deutschland auch die Sanitärwende in Gang. „Wir haben bisher ein lineares Sanitärsystem“, erklärt Tanja Wente. Urin und Fäkalien werden mit großen Mengen Wasser in das Abwassersystem geleitet. Rund ein Drittel des durchschnittlichen Frischwasserverbrauchs eines deutschen Haushalts wird von der Toilettenspülung beansprucht. „Wir zeigen mit unseren Trockentoiletten, dass es auch anders geht“, sagt Wente. Weniger stark riechen sollen die Trockenklos im Vergleich zu herkömmlichen Toiletten auch.

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Die Klorevolution ist eine Sache für ernsthafte Forschung. In einem Wissenschaftsverbund untersuchen unter anderem Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik und der ETH Zürich, welche Potenziale eine neue Generation von Toiletten hat. Im Norden Brandenburgs gibt es einen ersten Feldversuch, in dem Düngemittel eingesetzt werden, die aus Trockentoiletten gewonnen wurden.

Alle Bakterien werden abgetötet

Das ist in Deutschland kein einfacher Schritt – der Einsatz von menschlichen Fäkalien in der Landwirtschaft ist laut der Düngemittelverordnung verboten. Doch in Eberswalde arbeiten Mitarbeiter des Unternehmens Finizio daran, dass sich das ändern könnte: Die in den Trockentoiletten aufgefangenen Exkremente werden in einem Kompostierungsprozess so stark erhitzt, dass der thermische Prozess alle darin enthaltenen Bakterien abtötet. „Daraus entsteht 1-a-Dünger, der nährstoffreich ist und viel Wasser speichern kann“, sagt Wente. Diese Aussage steht seit Juni 2021 beim Pilotversuch auf dem Prüfstand. Acht Wochen dauert es, bis dank mikrobiologischer Prozesse und der Zugabe von Sauerstoff verwertbarer Dünger entsteht. Im Spätsommer 2021 wurde erstmals Roggen geerntet, der mit Humus aus Trockentoiletten gedüngt wurde. Das Ergebnis: Der natürliche Dünger übertraf beim Ertrag deutlich jenes Feld, auf dem kein Dünger ausgebracht wurde. Auf Feldern, die mit chemischem Dünger behandelten wurden, war der Ertrag aber höher.

Auch für die Raumfahrt interessant

Dass ihr ungewöhnliches Düngemittel funktioniert, zeigen die Macher von Goldeimer momentan den Besucherinnen und Besuchern der Digital- und Gesellschaftskonferenz Republica in Berlin: Unweit der Spree gibt es dort Tomaten und Salatpflänzchen zum Mitnehmen. Und den Hinweis, dass der Spezialdünger auch für künftige Langzeitmissionen im All interessant sein könnte. An Bord eines Raumschiffs ist es auf engstem Raum entscheidend, wie menschliche Ausscheidungen wieder verwendet und von den Astronauten genutzt werden können.

„In erster Linie geht es für uns aber natürlich darum, wie wir auf der Erde unsere wertvollen Nährstoffe zurückbekommen“, sagt Anastasia Papangelou von der Universität Rennes in Frankreich. Von dieser Kreislaufwirtschaft könnten die von der industriell genutzten Landwirtschaft oft ausgelaugten Böden profitieren – die Macher der Sanitärwende hoffen, dass Bauern perspektivisch auf 25 bis 30 Prozent der künstlichen Düngemittel verzichten könnten. Davon würde das Klima profitieren: Bei der Produktion von künstlichem Stickstoffdünger werden fossile Energien verbraucht und CO2 freigesetzt. Von ihren Zielen sind die Macher der Sanitärwende aktuell noch weit entfernt. Sie betreiben Lobbyarbeit, um die Politik davon zu überzeugen, dass das Düngemittelverbot für menschliche Ausscheidungen aufgehoben wird. Papangelou weiß, warum dieser Schritt der Politik schwerfällt: „Wie wir heute über Sanitärsysteme denken hat viel mit der Vergangenheit zu tun. Die Menschen denken an die Zeit zurück als es noch keine Abwassersysteme gab und menschlicher Kot zur Bedrohung für die Gesundheit wurde: Er brachte Krankheiten und Gestank in die Städte.“

Krankheiten und Gestank in den Städten

Goldeimer und Co. wollen dem eine ganz andere Geschichte entgegensetzen. Eine Geschichte, die Kot und Urin als Wertstoffe beschreibt. In diesem Sommer sind die Trockentoiletten auf neun großen Festivals im Einsatz – unter anderem Mitte Juni auf dem Southside-Festival in der Nähe von Freiburg. Die Sägespäne stehen schon bereit.