Die Konservativen im Europaparlament blockieren wichtige Umweltgesetze, weil sie die Bürger überfordert sehen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Peter Liese ist der Grüne unter den Schwarzen. Oft genug sorgt der CDU-Europaparlamentarier in der eigenen, konservativen EVP-Fraktion für Zähneknirschen, wenn er sich wieder einmal für mehr Umweltschutz in der EU stark macht. Umso größer ist das Erstaunen, dass Liese plötzlich geradezu euphorisch das Aufweichen der angestrebten Klimaziele feiert. „Das ist eine Zeitenwende im Umweltausschuss“, erklärte der umweltpolitische Sprecher der EVP, nachdem die Parlamentarier am Donnerstag einen Vorschlag der EU-Kommission zur Richtlinie für Industrie-Emissionen „in allen relevanten Punkten substanziell abgeschwächt“ hatten.

 

Empörung bei den Grünen

„Darauf bist Du stolz? Dass ihr jetzt den Klimaschutz abschwächt?“, konterte der Grünen-Politiker Michael Bloss seinen Kollegen postwendend auf Twitter. Aus dem Tweet spricht eine gehörige Portion Empörung, denn Bloss und Liese sind zwei Politiker, die nicht immer einer Meinung sind, aber beim Umweltschutz und im Kampf gegen den Klimawandel im Grunde stets auf derselben Seite stehen. „Was ist nur los bei euch?“ fragt der Grüne schließlich an die Adresse seines CDU-Kollegen.

Tatsächlich hat sich in den Reihen der Konservativen im Europaparlament zuletzt einiges verändert. Die ersten Ausläufer des beginnenden Wahlkampfes für die Europawahlen im Juni 2024 sind zu erkennen. Auf der Suche nach zündenden Themen lauschen die Verantwortlichen natürlich auf Signale, die sie aus ganz Europa vernehmen. Die deutschen Abgeordneten lesen vor allem aus den letzten Landtagswahlen, dass das Stimmungshoch der Grünen ein Ende hat. Noch deutlicher ist die Botschaft aus den Niederlanden. Dort konnte die rechts-konservative Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) nach heftigen Protesten gegen verschärfte Stickstoffgrenzwerte bei den Provinzwahlen geradezu erdrutschartig Stimmen einfahren.

Aufweichen der Gesetze zum Umweltschutz

Die EVP habe geholfen, ambitionierte Klimaziele in Europa durchzusetzen, betont Peter Liese, nun seien die Menschen insbesondere im ländlichen Raum aber von den Vorschlägen überfordert. Damit fasst er zusammen, was die europäischen Christdemokraten vor einigen Tagen bei einem Konvent in München beschlossen haben. Sie verabschiedeten ein Positionspapier, das die Klima- und Umweltschutzgesetze der EU massiv ausbremsen könnte. Konkret geht es um zwei Projekte, die vor allem der CDU/CSU ein Dorn im Auge sind. Zum einen ist von Brüssel geplant, den Verbrauch von Pestiziden bis 2030 zu halbieren. Zum anderen sollen beschädigte Naturlandschaften wieder hergestellt werden. Landwirte und Agrarindustrie laufen dagegen Sturm und verweisen auf die ohnehin hohen Erzeugerpreise. Die Blockaden in mehreren Ausschüssen im Parlament zeigen, dass die konservativen Politiker entschlossen sind, ihre Marschroute umzusetzen.

Verstört darüber sind nicht nur die Grünen, außergewöhnlich deutlich äußert sich auch der zuständige EU-Umweltkommissar Frans Timmermans. Er sieht durch den Kurs der Konservativen den gesamten Green Deal in Gefahr, den von Brüssel angestrebten Umbau Europas hin zu einem klimaneutralen Kontinent. „Das ist kein Menü à la carte“, betonte der Niederländer, als die EVP aktuell den Vorschlag zur Reduzierung von Pestiziden in der Landwirtschaft blockierte.

Die CDU schadet dem eigenen Personal

Eine überaus pikante Note bekommt dieses Torpedieren der ehrgeizigen Ziele des Green Deals, weil die EVP dadurch ihre eigene EU-Kommissionspräsidentin schwächt. Der Kampf gegen den Klimawandel wurde von der CDU-Politikerin Ursula von der Leyen kurz nach ihrem Amtsantritt zum zentralen politischen Projekt der EU ausgerufen. Doch schon damals musste sie sich gegen manchen Widerstand in der eigenen Partei durchsetzen. Erwartet wird, dass die Deutsche 2024 erneut an die Spitze der Kommission strebt, im Kampf um die nötige Unterstützung kommen ihr die Knüppel aus dem eigenen Lager natürlich eher ungelegen.

Inzwischen mehren sich allerdings die Zeichen, dass nicht nur im Europaparlament der anfängliche Elan in Kampf gegen den Klimawandel nachlässt. Auch im Rat, der Vertretung der Staaten, verschieben sich die Gewichte. Bereits Anfang Mai hatte der französische Präsident Emmanuel Macron in einer Rede vor Industrievertretern zu einer „Pause“ bei den EU-Umweltgesetzen aufgerufen. „Was die Regelungen angeht, sind wir vor den Amerikanern, den Chinesen und allen anderen Weltmächten“, kritisierte der Staatschef.

Klimaschutz auch in den Staaten unter Druck

In dasselbe Horn stieß in diesen Tagen der belgische Regierungschef Alexander De Croo. „Wir müssen verhindern, dass der Wagen überladen wird“, sagte er im flämischen Fernsehsender VRT. Als Beispiel für Überregulierung nannte der Liberale das geplante EU-Gesetz zur Wiederherstellung der Natur und der Biodiversität. Die Verordnung sieht unter anderem vor, 20 Prozent der europäischen Land- und Meeresfläche bis 2030 zu renaturieren. Wie dieses Gesetz am Ende aussehen wird, ist inzwischen allerdings mehr als ungewiss. Im maßgeblichen Umweltausschuss des Europaparlaments droht der Gesetzentwurf durchzufallen – vor allem mit den Stimmen der Konservativen.