Aufgrund einer Studie des Fraunhofer-Instituts Umsicht sind mit Mikroplastik befüllte Fußballfelder in die Kritik geraten. Zu unrecht – sagen drei Hersteller.

Stadtleben und Stadtkultur : Alexandra Kratz (atz)

Filder - Die Aufregung ist groß. Vor Kurzem kündigte die Europäische Chemikalienagentur der Europäischen Kommission an, die Verbreitung von Schüttgut aus Kunststoff von 2022 an deutlich zu reduzieren oder gar ganz zu verbieten. Solches Schüttgut kommt auf Kunstrasenplätzen zum Einsatz. Es ist erforderlich, damit der grüne Teppich ähnlich federnde Eigenschaften bekommt, wie ein Naturrasen.

 

Wie ist die Situation bei den Vereinen auf der Filderebene?

Auch auf der Filderebene sind in den vergangenen Jahren zahlreiche mit Mikroplastik verfüllte Kunstrasenplätze gebaut worden. Nun beschäftigen sich die Kommunen mit den Folgen eines möglichen Verbots. In Filderstadt wären sechs Fußballfelder betroffen. Oberbürgermeister Christoph Traub bestätigt, dass sich die Vereine und die Stadtverwaltung bereits mit dem Thema befassen. In Leinfelden-Echterdingen sind es fünf Kunstrasenplätze. Bürgermeister Carl-Gustav Kalbfell will erst einmal abwarten, ob das Verbot kommt. Er fordert aber zumindest einen Bestandsschutz für frisch sanierte Kunstrasenplätze. Auch der Stuttgarter Sportausschuss hat sich jüngst mit dem Thema beschäftigt. In der Landeshauptstadt gibt es aktuell 53 mit Mikroplastik verfüllte Kunstrasenplätze.

Was spricht für und was gegen Kunstrasenplätze?

Kunstrasenplätze sind aus der deutschen Sportlandschaft kaum wegzudenken, vor allem, weil sie hohen Belastungen Stand halten und das ganze Jahr über bespielbar sind. Der Nachteil ist, dass die kleinen Plastikteilchen in die Umwelt gelangen können. Der Wind weht sie davon, Regen spült sie vom Platz, an der Kleidung und Haut der Sportler bleiben sie kleben. Das Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik, kurz Umsicht, hatte in einer Studie von 8000 bis 11 000 Tonnen Mikroplastik geschrieben, die auf diese Weise ins Grundwasser gelangen würden.

Wie belastbar sind die in der Studie genannten Zahlen?

Die RAL Gütegemeinschaft Kunststoffrasen und Kunststoffbeläge widerspricht diesen Zahlen. Lege man die in der Fraunhofer-Sudie genannten Daten zugrunde, so würde sich für die etwa 3500 Großspielfelder mit Kunstrasen eine jährliche Verlustmenge von etwa vier Tonnen pro Jahr und Platz ergeben. „Diese Verlustmenge ist absolut unrealistisch und nicht zutreffend“, schreibt die RAL in einer Stellungnahme und ergänzt: Die nach diesen Annahmen erforderlichen Nachfüllmengen würden sich im Haushalt einer Kommune mit etwa 7200 Euro pro Jahr und Platz niederschlagen. „Es ist davon auszugehen, dass die Belastung der Umwelt mit Mikroplastik mindestens um den Faktor zehn niedriger liegt als vom Fraunhofer-Institut behauptet“, so das Fazit der Gütegemeinschaft.

Das Unternehmen Polytan, einer der führenden Hersteller von Kunstrasen, sieht es ähnlich. Die Fraunhofer-Wissenschaftler würden davon ausgehen, dass in Deutschland pro Einwohner und Jahr 137 Gramm Granulat von Kunstrasenplätzen in die Umwelt gelangen. Nach eigenen Berechnungen und Erfahrungen komme das Unternehmen aber auf einen Wert von lediglich 13 Gramm – also etwa ein Zehntel. Das Institut habe unter anderem die in Deutschland übliche Bauweise von Kunstrasensystemen nicht berücksichtigt, die deutlich weniger Granulat als Füllmaterial brauche. Mittlerweile hätten die Fraunhofer-Wissenschaftler eingeräumt, dass es sich nicht um eine empirische Studie handele, schreibt Polytan in einer Pressemitteilung.

Sind Kunstrasenplätze dann doch gar kein Problem?

Auf Nachfrage sagt Jürgen Bertling, der stellvertretende Leiter der Abteilung Nachhaltigkeits- und Ressourcenmanagement bei Fraunhofer Umsicht, dass die Studie nicht auf empirischen Daten beruhe, sondern sich auf Zahlen aus der Literatur stütze. Eine weitere, vertiefende Analyse sei erforderlich und in Arbeit. „Es gibt noch viele offene Fragen“, sagt Bertling. Er gehe davon aus, dass die tatsächliche Menge an von Kunstrasenplätzen freigesetzten Plastikteilchen in Deutschland zwischen 1000 und 10 000 Tonnen pro Jahr liege. Wichtig ist für ihn: „Auch wenn es 1000 Tonnen im Jahr sind, kann man keine Entwarnung geben.“ Denn auch diese 1000 Tonnen an Mikroplastik seien schädlich. „Man muss sich auch dann weiter mit dem Thema beschäftigen“, betont Bertling. Dazu gehöre freilich auch eine Abwägung der sozioökonomischen Effekte. Also eine Kosten-Nutzen-Rechnung beziehungsweise die Auseinandersetzung mit der Frage, was es für die Gesellschaft bedeuten würde, wenn der Bau von Kunstrasenplätzen mit Mikroplastik verboten oder an strenge Bedingungen geknüpft werden würde. „Das ist dann aber keine wissenschaftliche Aufgabe mehr, sondern eine politische Abwägung.“

Die Allianz baut einen Kunstrasenplatz. Kann dieser Bestand haben?

Nicht betroffen von der Diskussion ist der Kunstrasenplatz, den die Allianz aktuell an der Heßbrühlstraße baut. Dieser kommt vor allem dem TSV Georgii Allianz zugute. Der Sportverein muss sehr wahrscheinlich weichen, weil das Versicherungsunternehmen auf ihrem Gelände am Schwarzbach ihre neue Zentrale bauen will. Noch ist das Genehmigungsverfahren nicht abgeschlossen. Das Fußballfeld entsteht aber bereits. Die Allianz habe sich für ein teureres Quarz-Sand-Gemisch entschieden, damit kein Mikroplastik in das Grundwasser gelange, schreibt die Pressestelle des Unternehmens in einer schriftlichen Stellungnahme. Die Befüllung verhalte sich ähnlich wie natürlicher Rasen. Wasser könne versickern. Der Allianz sei es wichtig gewesen, dem Wunsch des TSV Georgii zu entsprechen und einen Platz zu schaffen, der ganzjährig genutzt werden könne, so die Pressestelle.