Trotz der Veto-Drohung der USA werben die Palästinenser bei der UN-Generalversammlung bis zuletzt für eine Anerkennung als Staat.

New York - Joseph Aoun ist Spezialist für Diplomatengesichter. Er weiß genau, welchem Land er sie zuordnen muss, die Herren in den feinen Anzügen, die grüppchenweise an ihm vorüberlaufen. Gerade hat er die Delegation der Vereinigten Arabischen Emirate erspäht, er formt seine Hände zu einem Trichter und ruft quer über die First Avenue: "Habt Mut! Stimmt für Palästina!"

 

Den ganzen Tag steht der Medizinstudent auf der Dag Hammarskjöld Plaza, dort, wo die Sperrzone der Festung UN beginnt. Graue Metallgitter, schwere Betonblöcke und ein provisorisch in die Straßenmitte geklotzter Polizeiwachturm trennen ihn vom Glaskasten der Vereinten Nationen. Aoun hat zwei Fähnchen an sein Poster geklebt, ein israelisches und ein palästinensisches. Und darunter drei Sätze mit Ausrufezeichen. "Reicht euch die Hände! Schließt einen Deal! Keine Ausflüchte mehr!" Geboren in Hebron, lebt Aoun seit frühen Kindheitstagen in New York.

Landminen sind nur Nebensache

Hinter Aoun protestieren Exiliraner lautstark gegen die Ajatollahs, Falun-Gong-Anhänger weitaus leiser gegen die Regierung Chinas. Zwei Afroamerikaner aus Harlem lassen Robert Mugabe hochleben, weil der die weißen Farmer Simbabwes enteignet. Eine Bewegung zum Schutz der Nomaden in Tibet drückt jedem ein Flugblatt in die Hand. Und auch ein Streifzug durch die Korridore der Vollversammlung macht deutlich, dass der Planet noch andere Probleme hat als den Streit zwischen Israelis und Palästinensern. In Glasvitrinen liegen Landminen, an der Wand hängen Beinprothesen. Ein großformatiges Foto zeigt einen Jungen mit Kalaschnikow, verbunden mit dem Hinweis, dass weltweit 250.000 Minderjährige in Armeen oder Milizen gepresst werden. Jeder, der in der Vollversammlung spricht, läuft durch diese Flure. Und doch sind Minen, Prothesen und Kindersoldaten diesmal nur Nebensache, genauso wie Afghanistan.

Und Guido Westerwelle.

Der deutsche Außenminister hat in die UN-Vertretung der Bundesrepublik geladen, um über den Konflikt am Hindukusch zu beraten. Die Konferenz trägt einen poetisch klingenden Titel: Initiative Neue Seidenstraße. Hillary Clinton ist da und beschwört die Vision afghanischer Aprikosen auf den Märkten indischer Metropolen. Kaum hat sie geredet, rauscht die US-Außenministerin wieder davon, um in Hotelzimmern an Nahostpapieren zu feilen. Und als Westerwelle hinterher die Fragen von Journalisten beantwortet, interessiert sich keiner für die Seidenstraße. Was interessiert, ist die neue Nahostskizze von Nicolas Sarkozy.

Ein wenig resigniert

Der französische Präsident hat Plan B aus der Tasche gezogen, eine Alternative zur Vollmitgliedschaft Palästinas in der UN, die am Veto Washingtons scheitern wird. Sarkozy möchte den Status der Palästinenser anheben, von Beobachter zu Nichtmitgliedstaat, durch ein politisch weniger heikles Votum in der Vollversammlung. In der Hauptsache aber setzt er Fristen für Friedensgespräche: sechs Monate bis zu einer Einigung über die Grenzen zwischen Israel und Palästina, weitere sechs Monate, um die restlichen Streitpunkte zu klären, darunter die Zukunft Jerusalems. Es ist nicht das erste Mal, dass ein potenzieller Vermittler einen Zeitrahmen nennt, doch bisher war dies meist ein Privileg amerikanischer Präsidenten. Unter Amerikanern und Europäern löst Sarkozy Irritationen aus, weil er offenbar vorpreschte, ohne die anderen vorab einzuweihen.

Was der Franzose vorschlage, "sind Aspekte von Überlegungen, die schon lange angestellt werden", kommentiert Westerwelle einsilbig. Deutschland unterstütze im Übrigen sehr, was Obama zu dem Thema gesagt habe. "Heißt das, Sie sagen Nein zum Antrag der Palästinenser?", will eine amerikanische Reporterin wissen. "Ich muss jetzt in den Sicherheitsrat", kommt als Antwort.

Und die Hauptakteure? Abbas? Netanjahu? Der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde will sich nicht davon abbringen lassen, im Sicherheitsrat um die Vollmitgliedschaft zu bitten. "Wir wollen ja nicht der Mafia beitreten oder Al-Kaida", entgegnet einer seiner Vertrauten. Der Rat möge sich ruhig Zeit nehmen. Man werde nicht versuchen, eine schnelle Abstimmung zu erzwingen. Das klingt schon ein wenig resigniert. Netanjahu wiederum lobt Obama überschwänglich für seine Standfestigkeit, den klaren Schulterschluss mit Israel.