Ohne Kapp’ ging er nie aus dem Haus. Hans-Dieter Reichert trägt sie jetzt im Sarg – dies war sein letzter Wunsch. Der prägende Kopf großer SDR-Zeiten blieb eigensinnig bis zum Schluss: Die Rede an seinem Grab schrieb er selbst.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Seine letzten Worte, so hat es Hans-Dieter Reichert aufgeschrieben, möge jemand vorlesen, „der nicht vor lauter Rührung gleich flennen wird“. Sein einziger Sohn Christoph Reichert hätte sich das nicht zugetraut. Für die Beerdigung am Freitag auf dem Bergfriedhof im Stuttgarter Osten engagierte er also lieber einen freien Trauerredner. Ein „Pietist der Kirche“, dies war dem Vater wichtig, sollte es auf keinen Fall sein.

 

Reichert, Spross aus rotem Holz, war bis zuletzt ein Rebell. Als „kantigen Brummbären“ schätzten die Kollegen dieses Urgestein des Rundfunks, der es auf 55 Jahre Radio (als Funkkind fing er an) und über 30 Jahre Fernsehen gebracht hat.

Wo sich der Tod mit dem geschäftigen Leben verbindet

Der Mann mit der Datschkapp’ gehörte zu den bekanntesten Gesichtern des Südfunks. Millionen mochten ihn. Abschied nehmen am Grab kann aber – Pandemie-bedingt – dann nur ein sehr kleiner Kreis. Im Alter von 85 Jahren ist ein schwäbischer Charakterkopf gestorben. In der Grabrede, die Reichert selbst schrieb, drückt er die Freude aus, künftig an einem Ort zu sein, den er „geliebt“ und nicht nur zur Grabpflege oft aufgesucht hat. Hier verbinde sich der Tod mit dem geschäftigen Leben der Ostendstraße, das hinter den Friedhofsmauern herrscht. Hier sei er in einem „Gedränge“ zwischen seinen Lieben gut aufgehoben. Im Arbeiterviertel des Stadtteils Ostheim ist er groß geworden – mit Stolz auf seine linken Vorfahren und mit einem starken Hunger nach Bildung. Dies alles machte das Kriegskind zum Kämpfer.

Sein Vater, seine Mutter, seine Frau, seine Großmutter, sein Großvater sowie weitere Verwandtschaft ruhen auf diesem Friedhof. Damit schließt sich der Kreis für ihn. Er kehre zurück zu den „irdischen Geistern“, an die Mauer zur Ostendstraße. „Wozu also trauern?“, fragt Reichert posthum in der Rede, „ich bin angekommen – und, wenn Sie es so wollen, auch mit Gottes Hilfe.“

„Du musst in Dich reinhören, dann hörst du mich“

Man muss tief schlucken. Seine letzten Worte gehen unter die Haut. Für den Sohn Christoph Reichert, der beim SWR als Multihelfer für Studio und Außenübertragung arbeitet, ist es besonders hart. Er lebt allein, hat keine Kinder. „Wen soll ich fragen, wenn Du weg bist?“, wollte er vom Vater vor dessen Tod wissen – und bekam eine starke Antwort: „Du musst nur in Dich reinhören, dann hörst Du mich.“

Mit 85 sei er älter, als es die meisten werden, sagte Hans-Dieter Reichert am Ende eines erfüllten Lebens. Herz, Nieren und Augen stellten immer mehr ihre Arbeit ein, nicht aber sein Kopf. Einen Schlaganfall hatte er Jahre zuvor gut überstanden. Doch dann wurde es schlimmer. Weitere Operationen lehnte er ab. Die Konsequenz, seinen Weg strikt zu gehen, zeichnete ihn aus. Deshalb entschied er selbst: Mein Leben war schön, aber jetzt ist Schluss.

1969 führte er die krawattenlose Moderation beim SDR ein

Erfreuen wir uns also an den schönen Erinnerungen! In der „Abendschau“ des SDR-Fernsehens hat er 1969 die krawattenlose Moderation eingeführt. Ohne Schiebermütze und Stulpenstiefel trat er nicht vor die Kamera. Zuvor war er als Sportreporter fürs Radio unterwegs. Auch für den „Treffpunkt“ hat er gearbeitet. Sein früherer Kollege Siegfried Walz rühmt ihn so: „Er setze sich stets für die Schwachen ein, unterstützte zuletzt rührend die türkische Familie seiner Putzfrau.“ Ein Schwabe durch und durch sei er gewesen, also sparsam, aber auch spendabel, wenn er den „armen Volontär“ nach Drehschluss zum Bier einlud.

In all den Jahrzehnten war Reichert immer freier Mitarbeiter. Eine Karriere in der Senderhierarchie kam für ihn nicht infrage. Er wollte der Lonesome Cowboy bleiben. Darüber hat er ein Lied geschrieben: „I ben a schwäbischer Kauboi, / der Karussellgaul ghört mir / I reit emmer em Kringel /En mein Jahrmarktsrevier.“

Danke, Reichert, gut gemacht!

Reichert liebte den Zirkus, fuhr mit einem Bären auf dem Sozi durchs Studio, ritt freihändig ohne Helm und Zaumzeug auf einem Elefanten oder übte mit zwei Tigern im Käfig eine Nummer ein. Für waghalsige Einsätze war er bekannt – ob beim Fallschirm-Tandemsprung, beim Drachenflug oder Vierfach- Looping auf dem Wasen.

Ungemein belesen war er, im Ruhestand las der Mann noch mehr. Der Rentner legte sich mit Kirchenoberen an, die Missbrauchsfälle nicht konsequent genug verfolgten, schrieb Leserbriefe, die sich oft reimten, rief den Schreiber dieser Zeilen an, um ihm Tipps zu geben. „Wär’ das nicht ein Thema für Ihre Kolumne?“, fragte er.

Jetzt ist seine Beerdigung ein Thema für diese Kolumne. Charakterköpfe, die sich nicht verbiegen lassen, gibt es immer weniger. Danke, Reichert, gut gemacht! Wir Schwaben sind stolz auf unseren „Kauboi“.