Trotz der Niederlage vor Gericht sieht das Regierungspräsidium keinen Handlungsbedarf mehr – und erklärt plötzlich, die Luft in Ludwigsburg sei jetzt ausreichend sauber. Die Deutsche Umwelthilfe hält das für „grandiosen Unsinn“. Wer hat Recht?

Nachrichtenzentrale: Tim Höhn (tim)

Ludwigsburg - Das Stuttgarter Regierungspräsidium (RP) hat am Dienstag völlig überraschend erklärt, dass es keine rechtliche Grundlage mehr für ein Diesel-Fahrverbot in Ludwigsburg gebe. Auf Basis dieser Einschätzung hat die Behörde jetzt entschieden, alle Vorbereitungen für die Fortschreibung des Luftreinhalteplans einzustellen, das bedeutet: Das RP wird keinerlei Anstrengungen unternehmen, Fahrverbote – egal ob flächendeckend oder partiell – in die Wege zu leiten. Begründet wird dies in Stuttgart damit, dass die Luft im Umfeld der wichtigsten Messstelle in Ludwigsburg inzwischen ausreichend sauber sei und der Stickoxid-Grenzwert eingehalten werde. Dies hätten neue Messergebnisse der Landesanstalt für Umwelt zweifelsfrei belegt.

 

Die Aussagen bergen erheblichen Zündstoff, denn erst Ende November hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim unmissverständlich klar gemacht, dass das Land für die Stadt Ludwigsburg einen Luftreinhalteplan entwickeln müsse, der unter anderem ein Diesel-Fahrverbot beinhaltet. Für das RP war der Prozess eine krachende Niederlage gegen die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die wegen der Luftverschmutzung in Deutschland zahlreiche Gerichtsverfahren angestrengt hat.

Der Jubel in Ludwigsburg kommt viel zu früh

Rein rechtlich ist Baden-Württemberg aber vorerst nicht verpflichtet, etwas zu unternehmen, weil das RP Revision eingelegt hat und das Mannheimer Urteil somit noch nicht rechtskräftig ist. Dass die Behörde jetzt erklärt, es gebe keinen Handlungsbedarf, ist dennoch bemerkenswert. „Das Land hat schon viel Unsinn erzählt, aber das ist grandioser Unsinn“, sagt der DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch.

In Ludwigsburg indes wird die Ankündigung des Regierungspräsidiums begrüßt. Die FDP verbreitete in den Sozialen Medien sofort ein Foto von einer Stickoxid-Messstelle und darunter den Schriftzug: „Gute Nachricht für LB: Keine Fahrverbote!“ Für eine endgültige Bewertung ist es allerdings viel zu früh, weil die Erfolgsaussichten in Revisionsverhandlungen stets gering sind. Und in diesem Fall kommt erschwerend hinzu, dass die Messergebnisse nicht eindeutig sind.

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So wurde an der Hauptmessstelle an der Friedrichstraße ein Jahresmittelwert von 46 Mikrogramm Stickoxid pro Kubikmeter Luft ermittelt, erlaubt sind nur 40 Mikrogramm. Das Dilemma löst das RP, indem es den Wert für „nicht mehr repräsentativ“ erklärt und dies damit begründet, dass der Grenzwert an anderen Messpunkten an der Straße eingehalten werde. Folglich liege „keine Überschreitung“ vor.

Die Zahlen sind neu, die zugrunde liegende Argumentation ist es nicht. Schon in Mannheim hatte das RP auf exakt die gleiche Argumentationskette zurückgegriffen, damals auf Basis vorläufiger Zahlen. „Wenn man die gesamten 100 Meter rund um die Messstelle betrachtet, halten wir die Grenzwerte ein“, sagte der Anwalt vor Gericht, drang damit aber nicht durch: „Das ist nicht korrekt“, erwiderte der Richter, der auch sonst kein gutes Haar an der Strategie des Landes ließ. Das Fazit: In Ludwigsburg sei jahrelang viel zu wenig gegen die Luftverschmutzung unternommen worden.

„So etwas haben wir noch nie erlebt“

Entsprechend verwundert reagiert die Umwelthilfe auf die Ankündigung aus Stuttgart, dass kein Fahrverbot nötig sei. Die Probleme „weiter schönzureden“, werde nicht funktionieren, sagt Resch. Rechtlich sei die Sache eindeutig: „Entscheidend ist der Messwert der am höchsten belasteten Stelle, und dort schafft Ludwigsburg den Grenzwert nicht.“

Zumal sich am Horizont schon die nächsten Probleme für die Stadt abzeichnen. Auch anderswo, etwa an der B 27, wurden vor einigen Monaten Messgeräte aufgebaut. Noch liegen dafür keine Jahresmittelwerte vor, aber es deutet sich an, dass auch dort der Grenzwert nicht eingehalten wird. Die Revisionsverhandlung in Leipzig wird voraussichtlich im Herbst oder Winter stattfinden, und Resch hat keinen Zweifel, dass er erneut gewinnt. „Das Land versucht, die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen. So etwas habe ich noch in keinem unserer Verfahren erlebt.“ 39 Prozesse wegen Luftverschmutzung hat die DUH bis dato angestrengt, und nach eigenen Angaben alle gewonnen.

Stuttgart lehnt Verhandlungen mit der Umwelthilfe ab

In einigen Fällen, etwa in Essen, Dortmund, Bonn oder Darmstadt, ließ sich die Organisation auf außergerichtliche Vergleiche ein. Mit der Folge, dass in den jeweiligen Kommunen zwar Fahrverbote verhängt wurden, aber in abgemilderter Form. Ähnliches könnte sich Resch für Ludwigsburg vorstellen, aber das Regierungspräsidium verweigert Gespräche und Verhandlungen mit der DUH.

Auch die Stadt setzte früher voll auf die harte Linie. Und wie jetzt das RP hat einst auch der damalige Ludwigsburger Oberbürgermeister Werner Spec verkündet, er habe Fahrverbote abgewendet, obwohl diese Aussage jeglicher Grundlage entbehrte. Sein Nachfolger Matthias Knecht ist kompromissbereiter und hat sich mit Resch getroffen, und auch der für Mobilität zuständige Bürgermeister Michael Ilk sagt: „Die Lebenserfahrung zeigt, dass es nie verkehrt ist, miteinander zu reden.“

Gleichwohl sind der Stadt im Machtkampf zwischen RP und DUH weitgehend die Hände gebunden, weil das Land für den Luftreinhalteplan zuständig ist. Auf die neuerlichen Aussagen aus Stuttgart reagiert das Ludwigsburger Rathaus zurückhaltend. Man nehme diese „mit Interesse zur Kenntnis“, sagt Ilk. Die Stadt sei sich aber darüber im Klaren, dass die Einschätzung des Regierungspräsidiums nicht neu sei und vor dem Verwaltungsgerichtshof keinen Erfolg gebracht habe. Nun gelte es, auf die Revisionsverhandlung zu warten und die Zeit bis dahin zu nutzen. Schärfere Tempolimits, mehr Busse, separate Busspuren, Parkraum-Management – die Verwaltung hat ein Maßnahmenpaket geschnürt, das möglichst schnell Wirkung zeigen soll. „Die Umwelthilfe will saubere Luft, und wir wollen saubere Luft, wir liegen also gar nicht so weit auseinander“, sagt Ilk. Mit einem Unterschied: „Wir wollen Fahrverbote unbedingt vermeiden.“