Gefangen in 1000 Metern Tiefe: Die Bergung des schwerverletzten Höhlenforschers aus der Riesending-Schachthöhle in den bayerischen Alpen kann Tage dauern. Nicht nur der Verletzte, auch die Helfer kommen an den Rand ihrer körperlichen und psychischen Belastbarkeit. Mit Videointerview!

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Berchtesgaden - Norbert Rosenberger überlegt kurz, wie er die Situation erklären soll. „Vergessen Sie alles, was sie je über Rettungsaktionen in den Bergen gehört haben“, sagt der erfahrene Höhlenretter dann. „Wir können überhaupt kein Gerät einsetzen, um zu dem Verletzten vorzudringen.“ Und: es gebe nur eine Handvoll Retter, die körperlich, psychisch und fachlich überhaupt in der Lage sind, dem Mann in 1000 Metern Tiefe zu helfen. Dort liegt in der Riesending-Schafthöhle unweit von Berchtesgaden ein Mann aus Stuttgart.

 

Mit zwei Begleitern will er am Pfingstwochenende die wenig erforschte Höhle weiter erkunden. Am frühen Sonntag gegen 1.30 Uhr überrascht ein Steinschlag die Männer. Ein Brocken trifft den 52-Jährigen am Kopf. Auch der Helm kann den Schlag nicht abfangen. Der Mann erleidet Verletzungen an Kopf und Oberkörper. „Er ist ansprechbar, aber es geht ihm nicht gut“, heißt es bei der Bergwacht.

Es ist den erschöpften Helfern deutlich anzumerken: Sie hätten gerne bessere Nachrichten verbreitet und Hoffnung gemacht, aber die Rettung ist unglaublich kompliziert. Wie kompliziert, das wird am Montagabend im Verlauf der Pressekonferenz in Berchtesgaden sehr deutlich. Gleich am Einstieg in rund 1800 Metern Höhe muss über 300 Meter senkrecht in die Tiefe abgeseilt werden, ähnlich geht es bis in 1000 Meter Tiefe weiter. An manchen Stellen ist die Höhle so eng und verwinkelt, dass man sich nur mit allergrößter Mühe durchzwängen kann. „Ein Schwerverletzter ist nicht in der Lage, das zu schaffen“, sagt Stefan Schneider, der stellvertretende Vorsitzende der Bergwacht Bayern.

18 bis 20 Stunden für den Weg nach unten und zurück

Erschwert wird die Aktion noch dadurch, dass praktisch keine Kommunikation mit den Rettungsteams möglich ist. Inzwischen ist es zwar gelungen, ein „Höhlentelefon“ bis in rund 400 Metern Tiefe aufzubauen, dann aber verlieren die Helfer jeden Kontakt zur Außenwelt. Aus diesem Grund kann Schneider auch nicht sagen, ob der Arzt, der am Montag in die Höhle eingestiegen ist, schon bei dem Verletzten ist. „Ich kann nicht einmal dazu eine Aussagen machen“, sagt der braun gebrannte Mann und zuckt hilflos mit den Schultern. „Sie müssen sich vorstellen, es dauert zwischen 18 bis 20 Stunden, bis ein Retter zu dem Mann und wieder zurück gestiegen ist.“ Und er fügt noch an: „Wir arbeiten alle an der physischen und psychischen Grenze.“

Videointerview vom Montag mit Roman Hörfurter, Pressesprecher der Einsatzleitung:

Am Montag gegen Abend sind schließlich noch vier erfahrene Retter aus der Schweiz in die Höhle gestiegen. Schneider kann aber auch nicht sagen, wie weit sie schon vorgedrungen sind. Er kann nur versichern, dass alles getan werde, um den Mann zu retten. An die 200 Helfer sind inzwischen angereist. Allein um die 80 spezialisierten Höhlenretter der Bergwacht aus Bayern und Salzburg sind gekommen.

Tage, eine Woche – vielleicht auch länger

„Sie kannten die Höhle“, sagt Bärbel Vogel, Vorsitzende des Verbandes der deutschen Höhlen- und Karstforscher. Die drei seien Mitglied des Verbandes und zählten zu einer Stammgruppe, die immer wieder in die Riesending-Schachthöhle einstieg. „Die Leute, die dort forschen, sind alle nicht leichtsinnig“, sagt Bärbel Vogel. Das trockene Wetter an Pfingsten schien optimal für den Abstieg in das verzweigte Höhlensystem. Denn auch unter der Erde kann starker Regen gefährlich sein – wenn er in den Schächten Wassereinbrüche auslöst.

Ziel sei es nun, erklärt Schneider, mehr über den Gesundheitszustand des Mannes zu erfahren. Davon hänge ab, wie die Rettung weiter ablaufen wird. Derweil werden auf dem Weg nach oben mehrere Biwaks aufgebaut, wo sich alle ausruhen können. Ein Ende der Aktion ist nicht absehbar. Es werde Tage dauern, so Schneider, vielleicht auch eine Woche, vielleicht auch länger.

Die tiefste und längste Höhle Deutschlands

Höhle Die Riesending-Schachthöhle auf dem Untersberg in den Berchtesgadener Alpen ist die tiefste und längste Höhle Deutschlands. Das Gangsystem umfasst eine Länge von 19,2 Kilometern und ist 1148 Meter tief . Die Höhle liegt sechs Kilometer nördlich von Berchtesgaden, direkt an der Grenze zu Österreich. Der Eingangsschacht wurde bereits 1995 entdeckt, blieb zunächst aber nahezu unbeachtet. Erst von 2002 an begannen Forscher, den Schacht nach und nach zu erkunden. Die Erforschung der Höhle ist mühsam, da der Gangverlauf immer wieder durch Schluchten unterbrochen wird.

Verein Der schwer verletzte Höhlenforscher ist einer der Mitentdecker der Riesending-Schachthöhle und er ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft für Höhlenforschung Bad Cannstatt. Der Verein hat derzeit rund 35 Mitglieder und wurde 1978 gegründet. Nach eigenen Angaben widmet er sich der Erforschung, Dokumentation sowie dem Schutz von Höhlen und Karsterscheinungen im In- und Ausland. Schwerpunkte sind die Schwäbische Alb und das alpine Karstplateau des Untersberges (eben wo nun das Unglück passiert ist).

Rettung Der letzte große Einsatz in einer Höhle fand im August 2013 statt: Bergungstrupps konnten vier Höhlenforscher in Nordspanien retten, die drei Tage vermisst waren. Die drei Männer und eine Frau im Alter zwischen 32 und 49 Jahren hatten sich in dem System von unterirdischen Gängen verirrt. Als die vier nicht zurückkehrten, alarmierte ein Kollege, der draußen gewartet hatte, die Retter.