Falsche Erwartungen und eine unrealistische Einschätzung der eigenen Leistungen sind nach einer Auswertung der Uni Stuttgart die Hauptgründe, ein Studium vorzeitig zu beenden oder das Fach zu wechseln.

Stuttgart - Nicht ohne Stolz verkündet die Uni Stuttgart, dass der Schwund an Studierenden zurückgegangen sei. Die Hochschule liege mit einer Abbrecherquote von 21 Prozent deutlich unter dem Bundesschnitt von 33 Prozent. Dennoch verlassen in zulassungsfreien Fächern wie Mathematik bis zu 70 Prozent der Studierenden das Fach schon in den ersten Semestern. Als Grund nennt die Uni falsche Erwartungen und eine unrealistische Einschätzung des eigenen Leistungsniveaus.

 

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Die Stabsstelle Qualitätsentwicklung der Uni Stuttgart hatte 2012 und 2013 eine Untersuchung zum Studienabbruch und zum Studiengangwechsel durchgeführt, jetzt hat sie diese der Öffentlichkeit vorgelegt. Es sei deutlich geworden, dass wesentlich weniger Studierende das Hochschulsystem endgültig verlassen als bisher angenommen, sagt Susanne Klöpping, die Leiterin der Stabsstelle. Diese Erkenntnis gewinne man aus der Befragung von 2780 abgängigen Studierenden, von denen 563 den Fragebogen beantwortet haben.

Nicht alle „verschwundenen“ Studenten sind Abbrecher

Aus der Auswertung ergibt sich, dass bei den Studienanfängern der Wintersemester 2008/9 bis 2010/11 der Schwund unter den Bachelorstudierenden zwar bei rund 40 Prozent, die tatsächliche Zahl der Abbrecher jedoch deutlich darunter lag. Sie habe sogar abgenommen, und zwar von 24,9 auf 21,9 Prozent. Der übrige Schwund erkläre sich aus Hochschulwechslern (von 10,2 auf 7,3 Prozent) sowie aus Fachwechslern, deren Zahl ebenfalls gesunken sei (von 10,2 auf 7,2 Prozent).

Anders als befürchtet sei die Schwundquote mit der Umstellung auf das Bachelor-/Mastersystem und mehr Studienanfängern nicht nach oben gegangen. Daraus schließt Klöpping: „Die Umstellung auf Bachelor und Master war erfolgreich.“ Die meisten Abbrecher und Wechsler verzeichnet die Uni nach dem ersten und zweiten Semester, wenn die Orientierungsprüfung komme. Mit Überraschung habe man festgestellt, dass viele Studierende, die in der internen Statistik als Abbrecher gewertet werden, weil sie ohne weitere Infos exmatrikuliert worden seien, tatsächlich ihr Studium nicht abgebrochen, sondern nur die Hochschule gewechselt hätten. Dies äußerten fast 70 Prozent der Befragten.

Viele Abiturienten haben falsche Erwartungen

Als Gründe für das vorzeitige Beenden eines Studienfachs geben mehr als 20 Prozent an, sie hätten mit falschen Erwartungen begonnen. Manchen sei auch nur der Status als Student wichtig. Den höchsten Schwund haben zulassungsfreie Fächer wie Englisch, Deutsch oder Mathematik. Dafür gebe es unterschiedliche Gründe. Viele Studienanfänger gingen offenbar davon aus, es gehe an der Uni weiter wie an der Schule – „aber das ist nicht so“, sagt Klöpping. Beim Studium einer Sprache gehe es nicht darum, die Sprache zu lernen. „Sondern man muss die Sprache schon können, um sie studieren zu können.“ Es gehe um wissenschaftliche Themenstellungen.

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Das gelte auch für Mathematik. So täten sich selbst manche Studienanfänger mit guten Mathe-Schulnoten schwer, in die komplexen Gebilde des Studienfachs einzusteigen, berichtet Marlene Scherfer, die die Studie betreut hat. Dies sei allerdings kein spezifisches Stuttgarter Problem.

Uni reagiert mit Ausbau des Beratungsangebots

Dennoch muss auch die Uni Stuttgart sich diesem Problem stellen. Doch wie? „Eine Absenkung des Niveaus kann keine Antwort darauf sein“, versichert Klöpping. Man habe aber die Beratungsangebote ausgeweitet, berichtet der Unisprecher Hans-Herwig Geyer. Insbesondere in den Mint-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) gebe es viele studienvorbereitende und -begleitende Unterstützungsinstrumente, etwa das Mint-Kolleg. „Auch der Vorkurs und die Brückenkurse werden großflächig genutzt“, berichtet Klöpping. Letzteres sei eine Art Nachhilfe während des Studiums. 35 Studierende nutzten derzeit auch die Möglichkeit eines „integrierten Propädeutikums“ – das bedeutet, sie machen ihren Bachelor nicht in sechs, sondern in acht Semestern, belegen jedoch zusätzliche Unterstützungskurse.

Schnupperstudium hilft bei der Entscheidung

Am niedrigsten ist die Schwundquote übrigens in der Luft- und Raumfahrttechnik, die mit mehr als 1000 Bewerbern zu den gefragtesten Studiengängen gehört. Nur 17 Prozent verlassen dieses Fach vorzeitig, im Maschinenbau sind es knapp 20 Prozent. Dort unterstützen Mentoren die Erstsemester, außerdem habe man ein Studienbüro als Anlaufstelle eingerichtet.

Mit Herzblut und Berufsperspektive studiert man besser

Gering sei die Schwundquote auch in den Sozialwissenschaften. Dort würden regelmäßig Ehemalige eingeladen, um zu erzählen, wie sie zu ihrem Beruf gefunden haben. Frühzeitig eine berufliche Perspektive zu haben wirke sich positiv auf das Studierverhalten aus, meint die Studienberaterin Jeanette von Wolff. Entscheidend sei auch: „Fließt bei einem Studiengang Herzblut oder nicht?“ Dies könnten Schüler bereits bei einem Schnupperstudium oder bei beruflichen Praktika feststellen. „Man kann sich ohne Formalitäten in alle unsere Veranstaltungen setzen“, so Geyer.

Auch die Uni selbst versucht ihre Angebote zu optimieren. „Wir haben ein internes Qualitätsmanagementsystem für die Lehre in allen Studiengängen“, berichtet Klöpping. So frage man regelmäßig die Zufriedenheit mit der Veranstaltung bezüglich der Organisation ab, aber auch, ob sie das Interesse der Studierenden geweckt habe und wie effizient die Module aufeinander abgestimmt seien. Im vergangenen Jahr habe der Prorektor für Lehre eine AG Studienabbruch eingerichtet, dort überlegen sich Fachleute weitere Maßnahmen.