Die Bundesärztekammer ist auch beim Uniklinikum Heidelberg auf Manipulationen gestoßen: In den Jahren 2010 und 2011 ist dort bei mehr als der Hälfte der Herztransplantationen gegen die Regeln verstoßen worden. Die Patienten wurden kränker gemacht, als sie waren.

Heidelberg - „Wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen, rasch wieder gesund zu werden“, mit dieser Versicherung wirbt der Chef der Klinik für Herzchirurgie der Universität Heidelberg, Matthias Karck, aktuell im Internet auf Englisch um das Vertrauen seiner künftigen Patienten aus dem In- und Ausland. In der Vergangenheit hat man in der Heidelberger Kardiologie dafür offenbar nicht selten auch mehr getan als erlaubt und gegen die Richtlinien der Bundesärztekammer verstoßen, um eigene Schwerkranke auf der Dringlichkeitsliste für ein Spenderorgan nach vorne zu bringen.

 

Insgesamt sollen in den Jahren 2010 und 2011 in mehr als der Hälfte aller Herztransplantationen an dem Klinikum, nämlich in 34 von 58 Fällen, die Dringlichkeit durch unvorschriftsmäßige Medikamentengaben manipuliert worden sein. „Die betroffenen Patienten sind kränker gemacht worden, als sie waren, um sie früher zu transplantieren“, umschreibt der Leitende Ärztliche Direktor des Universitätsklinikums, Guido Adler, den Sachverhalt. Finanzielle Gründen hätten dabei „keine Rolle gespielt“, versichert er.

Bekannt geworden sind die Verstöße jetzt durch einen Bericht der „Süddeutschen Zeitung“. Intern waren die Unregelmäßigkeiten nach Angaben von Adler im März offenbar geworden, nachdem eine Kommission der Bundesärztekammer bei der Prüfung eines Teils der früheren Transplantationen Manipulationen festgestellt hatte, wie sie zuvor schon in der Berliner Charité aufgefallen seien. Er habe daraufhin eine zusätzliche eigene Prüfung für die Zeit von 2010 bis 2014 angeordnet. Dabei habe man dann in 34 Fällen Fehler entdeckt. Sie seien alle zwischen 2010 und September 2011 passiert. Seither habe es „keine Auffälligkeiten mehr gegeben“, sagt Adler.

Manipuliert wurde mit einem Medikament

In allen Fällen ging es laut Adler um Patienten, die auf der Dringlichkeitsliste für Hochrisikokranke standen und mit schwersten gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatten. Die Regeln von Eurotransplant sehen in diesen Fällen die Gabe des Herzstärkungsmittels Dobutamin vor – und zwar über 24 Stunden in einer bestimmten Dosierung. Wenn danach die Herzfunktion nicht besser geworden ist, erhöht dies die Notwendigkeit einer raschen Transplantation. Manipulieren könne man, indem man den Patienten das Mittel entgegen den Regeln kürzer oder länger oder nicht in der vorgeschriebenen Dosis verabreiche, wodurch sich ihr Gesundheitszustand verschlechtere, sagt Adler.

Offen ist seinen Angaben zufolge derzeit noch, wo genau die Manipulationen vorgenommen worden sind und ob sie in der internistischen Abteilung der Kardiologie oder in der Herzchirurgie stattfanden. Auch könne man noch nicht sagen, wer sie möglicherweise veranlasst und zu verantworten habe, sagt Adler. Er bestätigt aber Hinweise aus dem Kreisen des Klinikums, wonach einer der beteiligten Oberärzte seinen Dienst in Heidelberg Ende 2011 von sich aus quittiert habe. Dies habe aber seinerzeit nichts mit den Regelverstößen zu tun gehabt, von denen man damals noch nicht gewusst habe, erklärt Adler.

Profitiert von den Manipulationen haben nach Angaben von Adler Patienten aller Altersgruppen. Es seien keine Personen aus dem Ausland darunter gewesen, Privatpatienten seien bei den 34 Fällen unterdurchschnittlich vertreten.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt

Das seit 1989 laufende Herztransplantationsprogramm in Heidelberg ist nach Auskunft des Klinikums interdisziplinär angelegt und steht unter der Verantwortung zweier Ärztlicher Direktoren: des Kardiologen Hugo Katus und des Chirurgen Karck. Beide wollten sich auf Anfrage am Freitag zu dem Thema nicht äußern. Die nähere Aufklärung des Sachverhalts wolle man der Heidelberger Staatsanwaltschaft überlassen, sagt Adler. Das Klinikum habe bereits Mitte August eine Strafanzeige gegen Unbekannt erstattet. Es stehe außer Zweifel, dass in der Angelegenheit gravierend gegen die geltenden Regeln verstoßen worden sei. Daher habe das Klinikum mit der Anzeige auch dem Verdacht vorbeugen wollen, man wolle etwas verschleiern.

Der Pressesprecher der Staatsanwaltschaft wollte keine Angaben dazu machen, ob bei seiner Behörde neben der Anzeige des Klinikums auch andere Hinweise auf die Manipulationen in der Heidelberger Kardiologie eingegangen sind. Man ermittle in der Sache seit Ende August gegen mehrere namentlich bekannte Beschuldigte wegen des Verdachts der versuchten gefährlichen Körperverletzung durch Manipulation der Transplantationslisten, erklärte er. Man habe bereits Patientenakten sichergestellt, deren Auswertung werde aber noch länger dauern. Die Ermittlungen stünden insgesamt noch ganz am Anfang. Es stehe zudem außer Zweifel, dass es in dem Verfahren medizinisch wie juristisch „um höchst komplexe Fragen geht“.

Guido Adler zeigt sich zuversichtlich, dass man trotz der Vorfälle das Vertrauen in die Transplantationsmedizin seines Hauses aufrechterhalten könne. Die Situation in der Herzchirurgie habe sich seit 2012 grundlegend geändert, versichert er. Dies liege auch daran, dass seitdem ein Herzunterstützungssystem zu Verfügung stehe, durch das die schwere Wartezeit der Patienten bis zu einer Transplantation mit eine künstlichen Herzen überbrückt wird.