„Sandmännchen“ gucken und dann ab ins Bett: Seit 60 Jahren ist dies für viele Kinder das Ritual schlechthin kurz vor dem Einschlafen. Die Serie wurde im November 1959 erstmals ausgestrahlt - im DDR-Fernsehen.

Berlin - Plötzlich musste alles ganz schnell gehen mit dem Sandmännchen: Die Puppe stellte der Bühnen- und Kostümbildner Gerhard Behrendt in nur zwei Wochen fertig, die Musik zur Serie komponierte Wolfgang Richter an nur einem Abend.

 

Grund für die Eile vor 60 Jahren: Der Deutsche Fernsehfunk (DFF), beheimatet im Ostteil Berlins, hatte von einem West-Sandmännchen erfahren, das beim Sender Freies Berlin (SFB) in Planung war, und wollte dem zuvor kommen - was auch gelang: Am 22. November 1959 strahlte der DDR-Sender die erste Folge von „Unser Sandmännchen“ aus. Erst neun Tage später, am 1. Dezember 1959, zog auch der SFB in der Bundesrepublik nach. Der rbb, der die Serie mittlerweile produziert, feiert das Jubiläum am Freitag mit einer abendfüllenden Dokumentation über die Geschichte der Kultfigur sowie einer langen Sandmann-Nacht.

So entstand die Kultfigur

„Kindliches, als auch das Merkmal der Weisheit und der Würde des Alters“ sollte der kleine Schlafbringer haben, so stellte es sich sein Schöpfer Behrendt vor. Entsprechend kreierte er ein kleines Männchen mit Zipfelmütze, wolligem Haar, Knopfaugen und weißem Bart, das den Kindern hilft und jungen Damen gegenüber stets galant ist. Zehn Minuten dauert eine Folge der Kinderserie, die bis heute verlässlich im Vorabendprogramm diverser öffentlich-rechtlicher Sender läuft.

Auch 60 Jahre nach der ersten Folge schauen nach Angaben des rbb täglich mehr als eine Million Kinder und Erwachsene „Unser Sandmännchen“. Das relativ ähnlich aussehende, aber mit sportlicher Schirmmütze etwas moderner anmutende West-Sandmännchen kann dagegen nur noch im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main besichtigt werden: Nach der Wende setzte sich die DDR-Figur im vereinten Deutschland durch.

Märchen macht den Anfang

Literarischer „Vorgänger“ des Fernseh-Sandmännchens ist der „Sandmann“ aus dem gleichnamigen Märchen von Hans Christian Andersen. Dort hieß der Kobold eigentlich „Ole Lukoje“, was mit „Ole Augenschließer“ übersetzt werden kann. Zwar ist im dänischen Original nicht von Schlafsand die Rede, sondern von „süßer Milch“, die der Wicht den Kindern in die Augen sprüht. Aber schon „Ole Augenschließer“ versüßte das Schlafengehen mit kleinen Geschichten.

Die Rahmenhandlung der Serie ist dabei immer dieselbe, ritualisiert wie eine Einschlafgewohnheit: Das Sandmännchen kommt aus dem Nirgendwo, lässt sich am Bildschirm nieder, verfolgt darauf den „Abendgruß“ - einen kurzen Kinderfilm im Film - um dann wieder im Nirgendwo zu verschwinden. „Woher es kam und wohin es entschwand, darüber haben die kleinen Zuschauer seit der ersten Folge oft gerätselt“, heißt es darüber auf der „Sandmännchen“-Webseite des rbb. „Deshalb haben mehrere seiner Filme die Frage seines Wohnortes aufgegriffen. Die genaue Lage seines Domizils, ob fern, ob nah, wird aber wohl ewig ein Geheimnis bleiben.“

Viel unterwegs

Ob in Kutsche, historischem Schneepflug, Trabant oder Forstfahrzeug: In den bis zum Ende des Deutschen Fernsehfunks 1991 produzierten 350 Rahmenhandlungen benutzt das Sandmännchen bei An- und Abreise über 240 Vehikel der unterschiedlichsten Art. Zu DDR-Zeiten reiste es vornehmlich in sozialistische Länder, aber auch ins Weltall - der Astronaut Sigmund Jähn hatte im Gepäck den Sandmann, um im Orbit Filmaufnahmen für die Kindersendung zu machen.

Von der SED verboten wurde dagegen die Episode, in der das Sandmännchen im Heißluftballon landet: Zwei Tage vor Ausstrahlung der Sendung waren zwei Familien mit einem selbst gebauten Heißluftballon von Thüringen nach Bayern geflohen - ein illegaler Grenzübertritt.

Melodie mit Ohrwurmpotenzial

Kultstatus hat das Sandmännchen in Ost und West. Vor allem zwei Elemente der Sendung sind hängengeblieben: Die Ohrwurm-Melodie des Titelsongs mit den Worten „Sandmann, lieber Sandmann, es ist noch nicht so weit“, die der Ost-Version entstammt sowie der Satz „Nun, liebe Kinder, gebt fein acht, ich hab euch etwas mitgebracht“, mit dem das Sandmännchen in der West-Variante die Kinder begrüßte.

Ende 1991, als der DFF seine Tätigkeit einstellte, schien auch das Sandmännchen vor seiner Entlassung zu stehen. Es waren die Proteste seiner Zuschauer, die sein Ende erfolgreich verhinderten.