John Boileau kennt die Geschichte fast aller namentlich bekannten Opfer. Der frühere Colonel der kanadischen Armee hat zum 100. Jahrestag der Katastrophe das Buch „Halifax and Titanic“ veröffentlicht, das die Verbindungen zwischen der Hafenstadt und der fatalen Reise des Luxusdampfers schildert. „Nur 713 der 2229 Menschen an Bord überlebten“, sagt er. Selbst diese Zahl ist nicht unumstritten. In der Literatur ist auch von 701 oder 705 Geretteten die Rede. „Das ergibt eine Überlebensrate von 32 Prozent. Mehr als die Hälfte hätte eine Chance gehabt, wenn die Rettungsboote bis zu ihrer Kapazität gefüllt worden wären.“ Nur drei der 20 Boote waren komplett besetzt.

 

Dass Kapitän Edward John Smith die Warnungen vor Eisbergen missachtet hatte, war nach Ansicht Boileaus der größte Fehler vor dem Zusammenstoß; dass erst eine Stunde nach der Kollision die ersten Rettungsboote zu Wasser gelassen wurden, war das schlimmste Versäumnis danach. Es blieben nur 100 Minuten, um die Boote zu füllen. Als das Schiff unterging, schwammen mindestens 1000 Menschen im Meer. Während die Carpathia, die kurz nach dem Untergang am Unglücksort eintraf, die Überlebenden aufsammelte, wurde in Halifax die Mackay-Bennett mit Särgen, Eis und Balsamierflüssigkeit beladen. John Snow, ein Bestattungsunternehmer aus Halifax, war ebenso an Bord wie ein anglikanischer Priester.

Die Rückkehr mit den Opfern

Fünf Tage nach der Katastrophe, nach einer Fahrt von 1300 Kilometern, war die Mackay-Bennett vor Ort. Ihre Besatzung war es gewöhnt, unter widrigen Verhältnissen auf hoher See zu arbeiten, die Männer verlegten Telegrafenkabel im Atlantik. Sie gingen sorgfältig an ihr schreckliches Werk. Die Leichen wurden in der Reihenfolge, in der sie geborgen wurden, nummeriert. Die gleiche Nummer erhielt ein Leinensack für die Kleidung und persönliche Gegenstände. Dieses System erleichterte die Identifizierung der Opfer ungemein.

Mit 190 Leichen an Bord kehrte das Todesschiff am 30. April nach Halifax zurück. Angehörige aus den USA und Kanada warteten schon am Pier. Die Geschäfte hatten schwarz geflaggt, Kirchenglocken läuteten. Mehr als drei Stunden dauerte das Entladen. Der Mayflower Curling Club diente als Leichenhalle: Es war der größte Raum in Halifax, der gekühlt werden konnte. Die White Star Line kaufte von der Stadt Halifax Gelände auf den Friedhöfen und gab bei dem Steinmetz Frederick Bishop die Grabsteine in Auftrag. Im Mai und Juni 1912 wurden die Toten auf den drei Friedhöfen feierlich beigesetzt.

Für Halifax ist der 100. Jahrestag der Katastrophe kein leichtes Gedenken. „Wir haben nichts zu feiern. Dies ist ein trauriges Erinnern. Wir sind der Friedhof der Titanic“, sagt Rob Gordon, Journalist des kanadischen Rundfunks CBC, der zwei entfernte Verwandte in dem Desaster verloren hat. Die Titanic und die Orte, die mit ihr in Verbindung stehen, haben die Geschichte der Stadt und der Provinz Nova Scotia geprägt: die Friedhöfe, die Kirchen, in denen Trauergottesdienste stattfanden, das Pier, an dem die Schiffe mit den Opfern anlegten, das Haus des Millionärs George Wright, der mit der Titanic unterging. Halifax bemüht sich, das Interesse der Touristen zu befriedigen und setzt gleichzeitig alles daran, einen sensationslüsternen Rummel verhindern. Im Sommer, wenn die Kreuzfahrtschiffe anlegen, werden die Touristen in Bussen zu den Friedhöfen gebracht – verbunden mit Mahnungen, sich beim Rundgang respektvoll zu verhalten.

Zwar liegt St. John’s in Neufundland näher am Unglücksort, aber Neufundland ist eine Insel. Die White Star Line, Eigentümerin der Titanic, ging davon aus, dass ein Teil der Opfer in ihre Heimat überführt werden würde, und entschied damals, die Toten an einen Ort zu bringen, der mit der Eisenbahn erreicht werden konnte.

Der Titanic-Forscher kennt fast alle Biografien

John Boileau kennt die Geschichte fast aller namentlich bekannten Opfer. Der frühere Colonel der kanadischen Armee hat zum 100. Jahrestag der Katastrophe das Buch „Halifax and Titanic“ veröffentlicht, das die Verbindungen zwischen der Hafenstadt und der fatalen Reise des Luxusdampfers schildert. „Nur 713 der 2229 Menschen an Bord überlebten“, sagt er. Selbst diese Zahl ist nicht unumstritten. In der Literatur ist auch von 701 oder 705 Geretteten die Rede. „Das ergibt eine Überlebensrate von 32 Prozent. Mehr als die Hälfte hätte eine Chance gehabt, wenn die Rettungsboote bis zu ihrer Kapazität gefüllt worden wären.“ Nur drei der 20 Boote waren komplett besetzt.

Dass Kapitän Edward John Smith die Warnungen vor Eisbergen missachtet hatte, war nach Ansicht Boileaus der größte Fehler vor dem Zusammenstoß; dass erst eine Stunde nach der Kollision die ersten Rettungsboote zu Wasser gelassen wurden, war das schlimmste Versäumnis danach. Es blieben nur 100 Minuten, um die Boote zu füllen. Als das Schiff unterging, schwammen mindestens 1000 Menschen im Meer. Während die Carpathia, die kurz nach dem Untergang am Unglücksort eintraf, die Überlebenden aufsammelte, wurde in Halifax die Mackay-Bennett mit Särgen, Eis und Balsamierflüssigkeit beladen. John Snow, ein Bestattungsunternehmer aus Halifax, war ebenso an Bord wie ein anglikanischer Priester.

Die Rückkehr mit den Opfern

Fünf Tage nach der Katastrophe, nach einer Fahrt von 1300 Kilometern, war die Mackay-Bennett vor Ort. Ihre Besatzung war es gewöhnt, unter widrigen Verhältnissen auf hoher See zu arbeiten, die Männer verlegten Telegrafenkabel im Atlantik. Sie gingen sorgfältig an ihr schreckliches Werk. Die Leichen wurden in der Reihenfolge, in der sie geborgen wurden, nummeriert. Die gleiche Nummer erhielt ein Leinensack für die Kleidung und persönliche Gegenstände. Dieses System erleichterte die Identifizierung der Opfer ungemein.

Mit 190 Leichen an Bord kehrte das Todesschiff am 30. April nach Halifax zurück. Angehörige aus den USA und Kanada warteten schon am Pier. Die Geschäfte hatten schwarz geflaggt, Kirchenglocken läuteten. Mehr als drei Stunden dauerte das Entladen. Der Mayflower Curling Club diente als Leichenhalle: Es war der größte Raum in Halifax, der gekühlt werden konnte. Die White Star Line kaufte von der Stadt Halifax Gelände auf den Friedhöfen und gab bei dem Steinmetz Frederick Bishop die Grabsteine in Auftrag. Im Mai und Juni 1912 wurden die Toten auf den drei Friedhöfen feierlich beigesetzt.

In der Nacht vom 14. auf den 15. April wird Halifax der Opfer gedenken. Für den Abend ist eine Prozession im Hafen zur Erinnerung an die Titanic geplant. Um 0.20 Uhr Ortszeit – was 2.20 Uhr am Ort des Titanic-Desasters entspricht – wird eine Schweigeminute eingelegt, Leuchtraketen werden aufsteigen, die an die letzten verzweifelten Notsignale der Titanic erinnern. Zu dieser Stunde wird auch der Dampfer Balmoral auf seiner Titanic Memorial Cruise am Ort des tragischen Geschehens eintreffen. Zwei Tage später wird die Balmoral in Halifax anlegen.

In der Nähe der Piers, wo die Kreuzfahrtschiffe ankern, ist das Maritime Museum of the Atlantic eine Magnet für alle, die sich für Schifffahrt und die Titanic interessieren. James Camerons „Titanic“-Verfilmung Ende 1997 war die beste Werbung für die Ausstellung. Vor dem Film zählte das Museum jährlich etwa 110 000 Besucher, im Jahr danach kam eine Viertelmillion. Kurator Gerry Lunn freut sich schon auf den nächsten Ansturm und das große Interesse der Touristen. Lunn weiß um die Faszination, die für viele Menschen von der Tragödie ausgeht. „Der Untergang dieses Schiffs steht auch für die Hybris der Menschheit“, sagt er, denn das Schiff sei stets als unsinkbar bezeichnet worden. „Wie klein sind wir doch im Angesicht der Naturgewalten“, gibt der Kurator zu bedenken. „Die Titanic sollte der Triumph über die Natur sein – und ein Eisberg genügte, um das Schiff zu versenken.“

Das Museum dokumentiert die Reise der Titanic, ihren Untergang, die Rettung von Passagieren und die Bergung der Opfer. Etliche Objekte von Bord sind zu sehen, darunter eine Kiste aus Mahagoni, die zur Einrichtung der Erste-Klasse-Kabinen gehörte, sowie ein Stück der legendären Treppe, die mehrere Decks miteinander verband. Auf einem Foto wird sie ihrem ganzen Prunk gezeigt. Das bemerkenswerteste Stück ist ein Deckstuhl der Titanic. Er ist zu kostbar, um ihn offen auszustellen. Unter Glas ist vor Probesitzern geschützt.

Ein Grab wird zur Pilgerstätte

Der Titanic-Kenner John Boileau kann viel erzählen über die Fundstücke und noch mehr über die Passagiere. Über Arthur Gordon McCrae, dem australischen Ingenieur, dessen Grab aufgrund eines keltischen Kreuzes das auffallendste ist. Über Ernest Freeman, dem Assistenten des White-Star-Line-Eigentümers Bruce Ismay, der von seinem Chef eine rührende Würdigung auf dem Grabstein erhielt. Über Joseph Dawson, einem Crewmitglied, dessen Grab zu einer Pilgerstätte wurde, weil er für irrtümlicher weise für jenen fiktiven Jack Dawson gehalten wird, den Leonardo DiCaprio in Camerons „Titanic“ gespielt hat. Und über das „unbekannte Kind“, das erst 2007 durch DNA-Analysen mit 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit als die 19 Monate alte Sidney Leslie Goodwin identifiziert wurde, die mit ihren Eltern und fünf Geschwistern ums Leben gekommen war.

Auf dem Fairview Lawn ist dieser Tage viel los. Der Titanic-Mythos zieht Besucher aus aller Welt an, auch Marie-France Parent und ihr Vater Guy sind gekommen, um sich einzulassen auf die Schicksale der Toten. „Alle, die nicht in Rettungsbooten saßen, wussten, dass sie verloren sind“, sagt Guy Parent. Es sei unmöglich, sich vorzustellen, was in diesen Menschen vor sich gegangen sei. „Es ist überwältigend dies hier zu sehen“, gibt seine Tochter zu und schaut gebannt auf den Grabstein des 21-jährigen Harold Reynolds. Die Inschrift hat es ihr angetan: „In der Mitte der Nacht, keine Hilfe in Sicht.“